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Der PiS-Kandidat Karol Nawrocki für Polens Präsidentenamt: Er spricht wie Trump

Der Historiker Karol Nawrocki war nie Politiker, aber er will für die PiS Polens Präsident werden. Er inszeniert sich als Mann des einfachen Volkes. Die Analyse.

Karol Nawrocki: Er möchte im Mai 2025 für die PiS-Partei Polens Präsident werden.
Karol Nawrocki: Er möchte im Mai 2025 für die PiS-Partei Polens Präsident werden.Artur Widak/imago

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Ein Boxer, ein Museumsdirektor, ein gewöhnlicher Junge aus einem armen Viertel, Putins persönlicher Feind – so stellt die polnische Rechte Dr. Karol Nawrocki dar, den von Jaroslaw Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützten Kandidaten für das Amt des polnischen Staatspräsidenten bei den nächsten Wahlen im Mai 2025.

Nawrocki ist ein „Kandidat des bürgerlichen Millieus“, „unterstützt von der PiS“, aber kein „PiS-Kandidat“, betonen die Anhänger der Partei von Jaroslaw Kaczynski, die Polen in den vergangenen acht Jahren regiert hat (bis 2023). Die PiS, die rund 34 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigt, weiß, dass sie viele derjenigen Wähler überzeugen muss, die bei den letzten Wahlen nicht für die PiS gestimmt haben. Und obwohl niemand bezweifelt, dass die Entscheidung, Nawrocki zu wählen, von PiS-Chef Jarosław Kaczyński persönlich getroffen wurde, lautet die Botschaft, dass Nawrocki „unabhängig“ ist – weil er offiziell nicht der Partei angehört.

Die Wahrheit ist aber: Nawrocki gehört zu den wichtigsten Vollstreckern der Geschichtspolitik der PiS – er ist immer noch Direktor des Instituts des Nationalen Gedenkens, einer Einrichtung, die die Rolle eines Archivs einnimmt und Akten des ehemaligen kommunistischen Sicherheitsdienstes versammelt. Das IPN weist Kompetenzen eines Forschungsinstituts auf und verfügt über ein gigantisches Budget für Bildungs- und Propagandaaktivitäten. Zuvor war Nawrocki auf Wunsch des Kulturministers von Recht und Gerechtigkeit (PiS) Leiter des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig, das zu einem Symbol für die von der PiS eingeleiteten Veränderungen in der Geschichtspolitik wurde.

Danzig im November 2024: Der Leiter des Polnischen Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN), Karol Nawrocki, und der ehemalige Bildungsminister Przemyslaw Czarnek posieren für ein Foto während des Pommerschen Kongresses des Nationalen Gedenkens.
Danzig im November 2024: Der Leiter des Polnischen Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN), Karol Nawrocki, und der ehemalige Bildungsminister Przemyslaw Czarnek posieren für ein Foto während des Pommerschen Kongresses des Nationalen Gedenkens.Adam Warøawa/PAP/dpa

Nawrocki präsentiert sich als Mensch der Arbeiterklasse

Die rechtsgerichteten Medien präsentieren, wenn sie Nawrocki zeigen, zugleich auch Videos, die die Zerstörung von sowjetischen Denkmälern in ganz Polen darstellen – Aktionen, die vom Institut des Nationalen Gedenkens durchgeführt wurden. Der Sinn dahinter? Der Kampf gegen den Kommunismus und gegen Hitler wird gleichgesetzt mit dem Kampf gegen Putins Angriff auf die Ukraine. Nawrockis Kampf soll ein Symbol nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen den Kommunismus sein – und „Kommunismus“ kann in den polnischen Kulturkriegen von heute sowohl „Abtreibungsrechte“, „LGBT+-Rechte“ als auch „Umweltschutz“ bedeuten.

In der Politik geht es oft um Worte und Symbole, aber Nawrockis inszenierte „Unabhängigkeit“ ist ein besonders krasses Beispiel für eine Instrumentalisierung von Worten – und eine ziemlich unwirksame noch dazu. Nawrockis politische Förderer setzen auf bestimmte Qualitäten des Kandidaten. Bei einer Feierstunde in Krakau am Sonntag betonten die Konservativen dreimal, dass Nawrocki „Wurzeln in der Arbeiterklasse“ habe. Sie sprachen von der harten Arbeit, die er geleistet habe, um erfolgreich zu sein.

Karol Nawrocki
Karol NawrockiJANEK SKARZYNSKI/AFP

Polnische Rechte kopiert den amerikanischen Culture-War-Diskurs

Nawrocki will sich als Kandidat der älteren polnischen Millennials präsentieren, die in einer schwierigen Übergangszeit aufgewachsen sind. Er sprach über den zerstörten Sportverein – in einem, wie er betonte, „Arbeiterviertel“ –, in dem er als Jugendlicher trainierte. „Ich habe kein Selfie gemacht, als ich jeden Tag mit der Straßenbahn gefahren bin“, sagte Nawrocki, der betont, dass er der Sohn eines Turners ist. Das ist eine Anspielung auf Memes von seinem Rivalen, dem Wahlfavoriten Rafal Trzaskowski, dem Kandidaten von Donald Tusks Bürgerplattform. Trzaskowski hat Selfies gemacht, als er in Warschau mit der Tram gefahren ist, um sich als volksnah zu zeigen. Leute von der Partei Recht und Gerechtigkeit vergleichen Nawrocki gerne mit dem designierten Vizepräsidenten JD Vance, dem Autor der „Hillbilly Elegien“. Trzaskowski – Sohn eines berühmten Jazzpianisten, der in Oxford und Paris studiert hat – wird demgegenüber als „Kandidat der Eliten“ präsentiert.

Die polnische Rechte kopiert seit Jahren den amerikanischen Culture-War-Diskurs und übertrifft ihn mitunter an Radikalität. Seit dem jüngsten Sieg des von der polnischen Rechten verehrten Donald Trump ist dieser Import von Ästhetik und Themen aus Übersee noch stärker geworden. „Umweltschutz – ja, Klimawahnsinn auf Kosten der polnischen Haushalte, Unternehmer und Arbeiter: dazu sagen wir nein“, sagte Nawrocki. Er kopierte auch eine konkrete Forderung von Trump – er kündigte an, dass Einkommen aus Überstunden am Arbeitsplatz nicht besteuert werden sollen.

Karol Nawrocki in Krakau
Karol Nawrocki in KrakauBeata Zawrzel/imago

Es erklang Musik aus dem Film „Rocky“

Doch anders als der ehemalige und künftige US-Präsident hat Karol Nawrocki so gut wie keine Erfahrung mit politischen Ämtern oder Wahlkämpfen. Er war weder Abgeordneter, Bürgermeister noch Senator – und er hat auch nie bei solchen Wahlen kandidiert. In Danzig war er Mitglied des Bezirksrats – im polnischen Modell der Kommunalverwaltung ist dies ein unbedeutendes Nebenorgan. „Er ist kein Politiker, er ist einfach ein Staatsmann, ein Patriot, ein guter Organisator und ein harter Kerl. Man braucht einen harten Mann für schwierige Zeiten“, sagte Marek Suski von der Partei Recht und Gerechtigkeit, ein enger Vertrauter von Kaczyński, über Nawrocki.

Die der Partei Recht und Gerechtigkeit nahestehenden Kommentatoren betonen, dass Nawrocki Boxtraining absolviert und 2004 sogar den polnischen Juniorenpokal gewonnen hat. Im rechtsextremen Fernsehsender Republika (der sich als polnische Fox-News-Variante versteht) trat Nawrocki in einem Boxring auf, mit Handschuhen und in Sportkleidung. Auch der Boxbegriff „Schwergewicht“ taucht immer wieder auf. Nawrocki lädt Videos aus seinem Fitnessstudio, in dem er Gewichte stemmt, auf das X-Portal hoch, und bei der Ankündigung seines Starts im Präsidentschaftswahlkampf erklang Musik aus dem Film „Rocky“.

Diese Präsidentschaftskampagne wird eine ganz klare geschlechtsspezifische Dimension haben – Nawrocki wird als starker Mann, Macho und gleichzeitig als Mann des „gesunden Menschenverstands“ dargestellt. Auf der anderen Seite wird der gemäßigte Kandidat der Liberalen, der 52-jährige Rafal Trzaskowski, der bis vor kurzem als junger Politiker präsentiert wurde, nun als verantwortungsbewusster, väterlicher und umsichtiger Kandidat gezeigt, der ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität vermittelt. Trzaskowski setzte sich bei den Vorwahlen von Tusks Bürgerkoalition gegen Radosław Sikorski durch, den aktuellen Außenminister Polens, der für seine konfrontativen Äußerungen bekannt ist. Sikorski trat bei den Vorwahlen mit dem Slogan „Weil sich die Zeiten geändert haben“ an, er betonte, dass er in den 1980er Jahren am Krieg in Afghanistan teilgenommen hatte (als Reporter, stellte aber klar, dass er nicht nur als solcher, sondern auch als Intellektueller gegen die Kommunisten gekämpft hatte).

Die Chancen eines No Name

Trzaskowski, der seit 2018 Bürgermeister von Warschau ist, hat bereits für das Amt des polnischen Staatspräsidenten im Jahr 2020 kandidiert und in der zweiten Runde knapp gegen Andrzej Duda verloren, den aktuellen Präsidenten Polens, der der PiS nahesteht. Nun ist die Partei Recht und Gerechtigkeit jedoch nicht mehr an der Macht und beherrscht nicht mehr das öffentlich-rechtliche Fernsehen – wegendessen Trzaskowski nach Ansicht der Liberalen beim letzten Mal verloren hat.

Der liberale Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski
Der liberale Präsidentschaftskandidat Rafal TrzaskowskiDAMIAN BURZYKOWSKI/imago

Die rechten Medien stellen den liberalen Trzaskowski als Kandidaten mit „ultralinken Ansichten“ dar, obwohl seine Partei - die Bürgerplattform, die Teil der Bürgerkoalition ist - zentristisch und historisch gesehen konservativ-liberal ist. Die PiS stellt Trzaskowski auch als unzureichend antirussisch dar, indem sie die vor Jahren getätigte Aussage des Kandidaten zitiert, Nord Stream 2 sei „eine Vereinbarung privater Unternehmen“. Schließlich wird Trzaskowski als „Junge“ bezeichnet, im Gegensatz zum „echten Mann – Nawrocki.

Gleichzeitig wiederholen sowohl Kaczynski als auch Nawrocki heute, dass sie den „polnisch-polnischen Krieg“ beenden, also die Polarisierung zwischen den liberalen und konservativen Polen aufheben wollen. Das ist schwer zu glauben, denn es ist die Polarisierung, die die beiden größten Parteien, die PiS und Tusks Bürgerplattform, antreibt und keinen Platz für andere Akteure lässt. Seit 2005 basiert die polnische Politik in weiten Teilen auf dem Prinzip eines Zweiparteienmodells (ein paar kleinere Parteien ausgenommen).

Doch nun ist es ausgerechnet ein Akteur dieser kleinen Parteien, der Nawrocki bedrohen könnte. Der Drittplatzierte beim Rennen um das Präsidentschaftsamt ist Slawomir Mentzen, der 38-jährige Vorsitzende der ultra-rechtspopulistischen Konfederacja, einer Partei rechts von der PiS. Mentzen liegt in den Umfragen bei 12 Prozent und hat sich seit Jahren als Anti-System-Kandidat einen Namen gemacht. Im Jahr 2019 verkündete Mentzen: „Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibung, Steuern und die Europäische Union“, heute spricht er vor allem über Steuersenkungen, böse Eliten und gefährliche Flüchtlinge. Er ist im Internet sehr präsent, und es gab viel Werbung für seinen Wahlkampf, bei dem er unter dem Slogan „Bier mit Mentzen“ durch Städte tourte. Diese Art von Wählernähe muss Nawrocki erst noch lernen – die Frage ist, ob ihm das gelingen wird, vor allem bis Mai. Es sind Mentzens Wähler, auf die Karol Nawrocki im zweiten Wahlgang setzt.

Vorläufig sagen die Umfragen jedoch einen entscheidenden Sieg für Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform voraus. Trzaskowski, der derzeitige Bürgermeister von Warschau, würde den Umfragen von heute zufolge sowohl im ersten als auch im zweiten Wahlgang gewinnen. Trzaskowski würde im ersten Wahlgang 41 Prozent der Stimmen erhalten, Nawrocki etwa 26 Prozent. Doch 2015, vor der Wahl, sah es lange Zeit so aus, als ob der damals ebenfalls wenig bekannte Andrzej Duda (von der PiS-Partei nominiert) keine Chance haben würde. Und dann siegte er doch und wurde Polens Präsident.

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