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Ein Geständnis vorab: Gern löse ich Kreuzworträtsel. Die Worte greifen ineinader. Außerhalb des Kreuzworträtsels scheinen derzeit die Worte eher dem Missverständnis als der Verständigung zu dienen. Warum streiten, ob die DDR eine Diktatur war, wo sie die Diktatur des Proletariats sein wollte? Das wollte das „tausendjährige Reich“ sicher nicht sein. Die DDR hatte auch erklärtermaßen nicht das Ziel, zur Erlangung von „Lebensraum“ gegen andere Länder und Völker einen Vernichtungskrieg zu führen und Juden auszurotten.
Es ist still geworden um die Leugnung der Verbrechen der Wehrmacht. Es ist offenkundig geworden, wie Bundesministerien in den obersten Rängen mit alten Nazis durchsetzt, gar von ihnen geleitet waren. „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“, skandierte die Studentenbewegung. Die Springerpresse hetzte. Es fielen Schüsse auf Rudi Dutschke. Macht das aus der DDR das bessere Deutschland? Ja, was die Nazidiktatur beziehungsweise die Auseinandersetzung mit der Nazidiktatur betrifft. Aber nein, was die neue Zeit betrifft. Die ist zurückgeworfen. Scheint erledigt.
Wer herrschte in Nazideutschland? Herrschte in der DDR das Proletariat? War man wenigstens unterwegs in Richtung auf die „Diktatur der 999 über den einen“ (Bertolt Brecht)? Oder traute das Politbüro der SED vielen Bürgern der DDR gar nicht zu, in eine neue Zeit zu wollen. In der DDR herrschte eher ein Kult um das idealisierte (Industrie-)Proletariat. Daraus abgeleitet, die Partei dieser Klasse. Doch gab das der BRD das Recht, der DDR ein Existenzrecht zu verweigern? Die Verweigerung wurde täglich erneuert, in Wort und Tat.
„Den Brüdern und Schwestern in der Zone“ wurde die Trennung verordnet durch die neue West-DM und die Degradierung zum Blechgeld, mit dem eben im Ausland nichts zu kaufen war. Schon das war eine Degradierung der Arbeitsleistung. Wem war die ärztliche Versorgung der„Brüder und Schwestern“ so gleichgültig, dass möglichst viele Ärzte mit ihrer „Zonenausbildung“ sofort im Westen tätig werden konnten. Die DDR hatte die gute Ausbildung bezahlt. Sie wollte dieses Wissen nicht exportieren, schon gar nicht ohne Entschädigung.

Was Karl Marx zu bedenken gibt
Steht einem Staat, dem das Existenzrecht abgesprochen und so entzogen wird, Selbstverteidigung zu? Sind dabei alle Mittel erlaubt? Nein! Aber welche Mittel sind erlaubt, wenn in der BRD alte Nazis als Antikommunisten nicht nur ungestraft davonkommen konnten, sondern staatstragend wurden? Die Debatte um die DDR-Diktatur, richtiger um die Gleichsetzung mit der Nazidiktatur, scheint mir dennoch auch Wurzeln darin zu haben, dass die Partei immer recht haben wollte. „An allem ist zu zweifeln …“, gibt Karl Marx zu bedenken. Hält der Zweifel den Sozialismus auf? Und wie ist dieser Zweifel von dem zu trennen, der von der BRD gesät wurde?
Es sind nicht alle Mittel erlaubt. Erst recht nicht, wenn sie in einen Korpsgeist, in falsch verstandene Parteilichkeit münden. Es gibt Beispiele aus der DDR, dass überzeugte Nazis dazulernen konnten. Dem Lernen wurde Raum gegeben. In der BRD konnten die Haken überklebt werden. „Weil man mit den Zeiten geht“ (Brecht im anachronistischen Zug). Ein breiteres Lernen setzte gegen heftigen Widerstand mit der Studentenbewegung ein. Schaut man sich verbotene Defa-Filme an wie „Spur der Steine“ oder „Karla“, dann wurde die Lebendigkeit verfolgt statt gefördert.
Mein Vater, von den Nazis als „Halbjude“ von der Uni gejagt, wurde in Zittau für die LDP zum Oberbürgermeister gewählt. Eine Schlappe für die SED. Aber eher ein Grund, einen Antifaschisten gewinnen zu wollen, als ihm Kontakte zum CIA anzudichten. An meinen Vater erinnere ich mich als tolerant und liberal. Er war sicher kein Freund der DDR. Dass er ein Gegner wurde, dafür trägt die SED Mitverantwortung.

Doch wie diesen kritischen Blick bewahren, ohne mit denen gemein zu werden, die die DDR vernichten wollten? In der Fortsetzung: ohne sich mit denen gemein zu machen, die nach der Selbstbefreiung als „Befreier“ mit „Buschzulage“ auftraten, u.a. um industrielle Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Nicht selten mit „Kollegen“ aus Betriebsrat und Gewerkschaft an der Seite.
Die Debatte scheint kaum trennbar einerseits von den Varianten von Siegermentalität bzw. vom Wunsch, nach verletzender Schmach zu den Siegern zu gehören. Und andererseits von der Enttäuschung, wie sich Unterdrückte zu Unterdrückern gewandelt haben. Sozialismus oder Barbarei? Nicht nur in Haiti ist die Barbarei auf dem Vormarsch. Auf der Suche nach einem Ausweg muss die Barbarei, die im Namen des Sozialismus begangen wurde, besonders schonungslos beim Namen genannt werden. Aber nicht von denen, die die BRD so entnazifizieren wollen.
Alle Erdenbürger stehen vor einem Scherbenhaufen. Die wachsenden Kräfte, mit denen Hunger und Krankheit vom Erdball verdrängt werden könnten, finden stattdessen Einsatz im Gegeneinander und der Zerstörung der Lebensgrundlagen. Unausweichlich? Der Gotteskrieger ist auf dem Vormarsch.
Wem ist nicht klar, dass das nicht genügt?
Doch die Bewaffnung ist nicht himmlischen Ursprungs. Angesichts dieser Kreuzzüge, dieser Rückkehr in die Vergangenheit, ist die Suche nach neuer Hoffnung geboten. Aber vielfach verstellt von oft persönlichen Erfahrungen damit, dass auf dem Weg zum erklärten Ziel, der Aufhebung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, an die Stelle einer herrschenden Minderheit eben nicht eine herrschende Mehrheit getreten ist. Macht das das Ziel, die Herrschaft des Menschen über den Menschen aufheben zu wollen, falsch? Dieses Ziel muss die Rolle der „Partei der Arbeiterklasse“ hinterfragen. Danach fragen, ob sie entartet ist oder gar nicht dazu taugt, das Volk gegen das Kapital an die Macht zu bringen, mit dem Ziel, die Macht aufzulösen.
Wie gedeiht Freiheit, wenn sie zuallererst dem Eigentum gewidmet ist, aber beispielsweise beim Wohnen wenige reich und viele arm macht? Wie gedeiht Freiheit, wenn das Produzieren unter einem süchtigen Wachstumszwang leidet? Was, wenn das keine Notwendigkeit ist? Über die sich häufenden Katastrophen wird auf weltweiten Konferenzen verhandelt. Als Erfolg wird verkündet, dass es eine Folgekonferenz geben wird. Wem ist nicht klar, dass das nicht genügt?
Argumente werden ausgetauscht. Riesige Summen werden hin und her geschoben. Am Ende bleibt die Maxime, dass die Rettung der Erde nur möglich scheint, wenn damit Profit gemacht wird. Wer kann aus diesem Kreislauf heraustreten? Wer kann die wachsenden Kräfte der Produktion dem Ziel unterwerfen, statt der Steigerung gegenseitiger absurder Abschreckung, der Erderwärmung, dem Artensterben, der Meervermüllung usw. den Krieg zu erklären?

Man nennt sich „Sozialpartner“
Etwa das Proletariat? Danach sieht es nicht aus. Der Begriff gilt als überholt. Einst entstanden als Antwort auf den Begriff „Prolet“, hat es sich durch „Wohlstand“ aufgelöst.
Früher gab es Ausbeutung. Heute vermehrt sich das Kapital selbst, wenn es nur ungehindert arbeiten kann. Der von Entlassung bedrohte „Arbeitnehmer“ bei VW, Bosch, Thyssen-Krupp verteidigt seinen „Wohlstand“, seine „Privilegien“. „Jammern auf hohem Niveau“. Man nennt sich „Sozialpartner“. Und sieht ein, dass es „soziale Einschnitte“ geben muss, um konkurrenzfähig zu bleiben, zu werden. Zaghaft wird erwähnt, dass an die Aktionäre Milliarden auf die einstige „Volksaktie“ ausgeschüttet wurden. „Soziale Einschnitte“ ist der Begriff, mit dem der Unterbietungswettbewerb für die Herstellung von Produkten, die so nicht mehr gebraucht werden, eingeleitet und verschärft wird.
Im Wirtschaftsteil der Berliner Zeitung steht im Dezember 2024: Reallöhne auf dem Stand von 2018. Unterbietung bedeutet Export von Arbeitslosigkeit. Hin und her. Gewerkschaften sind entstanden, um aus dieser Unterbietungskonkurrenz auszusteigen. Erfolgreich? Es geht uns gut, wenn wir den gefunden haben, dem es schlechter geht. Ohne Gewerkschaft wäre der Reallohn vermutlich bei 2010. „Geld regiert die Welt“. Der Kapitalismus bringt „Wohlstand“. Die „Sozialpartnerschaft“ ist ein Erfolgsmodell. Der Sozialismus hat versagt.
Doch die Leitern müssen immer länger werden, wenn auf den wachsenden Geldberg weiter Geld gehäuft wird. Ein Wettlauf der Getriebenen um das günstigste Investitionsklima. Das soziale Klima wird sich nicht von selbst erwärmen. Auch das Argument, dass sinkende Einkommen die Kauflust dämpfen, heizt ihm nicht ein. Und Wahlen?

Letztlich endet der Unterbietungswettbewerb beim Erfolgsmaßstab, ob eine Investition in diesem oder jenem Land mehr abwirft. Das große Geld muss die Erwartung auf die günstigste Geldanlage suchen. Letztlich landen wir bei der Frage, ob der deutsche Arbeitskraftverkäufer tatsächlich den in anderen Ländern unterbieten muss oder dass in anderen Ländern ebenfalls das „soziale Klima“ vor dem „Investitionsklima“ rangiert.
Dabei ist „soziales Klima“ nicht das Schlaraffenland, sondern in Würde von der eigenen Arbeit leben. Gewerkschaften müssen Gegenmacht sein, nicht Sozialpartner. Sie müssen für Respekt vor der lebendigen Arbeit sorgen. Wenn sie das zu wenig tun, muss man ihnen Beine machen. Man? Alle, die vom Verkauf der Arbeitskraft leben, leben müssen. Deren Zahl steigt weltweit. Haben sie ein politisches, gar umstürzlerisches Klassenbewusstsein? Sie neigen eher zum Konsumismus. „Kauf dich glücklich“.
Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt
Bei leider nicht wenigen mündet Wut über ihre Lage, ihr „Glück“, in der Wahl der AfD. Dem wird nur dann wirklich abgeholfen, wenn Gewerkschaften der Wut den richtigen Adressaten geben. Das ist nicht der Flüchtling, sondern eher der Steuerflüchtling. Dafür braucht der Arbeitskraftverkäufer Gewerkschaft.
Mal angenommen, die vielen, die mit Parteien eine bessere Welt zu erreichen suchen und deshalb in Parteien eintreten, Wahlkampf machen, mal angenommen, die würden ebenso in den DGB-Gewerkschaften der Sozialpartnerschaft entgegentreten ... Schwierig, aber nötig. Der Knechtselige hofft auf einen guten Herrn. Der wütende Knechtselige wird gegen den falschen Feind instrumentalisiert. Statt Grenzen zu schließen, ist es gemeinsames Ziel aller Arbeitskraftverkäufer, Fluchtursachen zu bekämpfen.
In Deutschland gibt es zu viele Flüchtlinge … weltweit gibt es zu viele Flüchtlinge. Wenn sie in ihren Herkunftsländern der Ausplünderung die Stirn bieten, müssen sie nicht fliehen. Dem kann man hier den Weg ebnen durch aufrechten Gang. Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.
Paul Bender, 1947 in Zittau geboren, wuchs ab 1950 in Westdeutschland auf. Als gelernter Kfz-Schlosser arbeitete er in einigen Großbetrieben, zuletzt bei Thyssen Stahl im größten deutschen Hüttenwerk. Dort war er etwa zehn Jahre Mitglied des Betriebsrates. Bender lebt seit 2013 in Berlin.



