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Der Beitrag in der Berliner Zeitung von Sonia Combe über die Debatte zur Frage, ob es sinnvoll ist, die DDR eine Diktatur zu nennen, hat mich als „in der DDR sozialisierten Akademiker“ (Physiker) natürlich sehr interessiert. Und dann hat er mich mehr als irritiert. Schon zwei Tage später erscheint die Replik von Martin Sabrow, der hier kaum etwas hinzuzufügen ist.
Wenige Tage später eine weitere Replik, die nun allerdings nach Widerspruch verlangt. Hier meldet sich ein Zeitzeuge zu Wort, der die DDR von seiner Geburt 1951 bis zu ihrem Ende, den Zusammenbruch und die Zeit bis heute erlebt hat.
Da beschwert sich die in Frankreich sozialisierte Historikerin Sonia Combe über einen in den alten Bundesländern sozialisierten Historiker, weil beide recht unterschiedliche Auffassungen über den Begriff Diktatur, die Geschichte der DDR und die Wiedervereinigung haben. Aus der Replik von Professor Martin Sabrow ist zu entnehmen, dass diese Kontroverse auch noch auf einer Fachtagung (?) der Rosa-Luxemburg-Stiftung entstanden ist – einer Stiftung der Partei Die Linke, also einer mehrfach umetikettierten Nachfolgerin der SED. Beim Autor dieser Zeilen heißt diese Partei immer „die Partei mit den vielen Namen“. Der Aufschrei wird zur Kenntnis genommen.
Chancen, die nicht genutzt wurden
Die eine Historikerin bezieht also ihre Interpretation u.a. auf eine Versammlung von „Reisekadern“, der andere auf eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wolfgang Herzberg beruft sich in „Teil 3“ unter anderem auf einen Hochschullehrer für wissenschaftlichen Sozialismus! Die sollen alle gehört werden, müssen aber auf ihre Rolle und ideologische Positionen hin bewertet werden.
Gleich zu Beginn beruft sich Frau Combe auf „die meisten (?) Dissidenten“ (und wahrscheinlich auch auf eine Vielzahl von DDR-Bürgern, die sich vielleicht nicht zu den Dissidenten zählen – z.B. teilweise auch den Autor dieser Zeilen). Einige haben zumindest eine Zeit lang geglaubt, eine „demokratische DDR“, eine Übergangsphase (Konföderation) oder wenigstens eine neue, gemeinsame Verfassung wäre möglich.
Sie ignoriert dabei aber die Tatsache, dass unmittelbar nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur (!) „das Volk“ die Regie übernommen hat. Dieses Volk hat eben diesen Weg nicht gewählt, sondern explizit den möglichst schnellen Anschluss an die Bundesrepublik. Das kann man bedauern und es hat viele Erfahrungen erzeugt, die auch kritisch zu sehen sind. Die viele aus „dem Volk“ mit ihrer Wahl so nicht erwartet hatten. Die auch bei vielen in der Beurteilung der Geschichte bis heute nachwirken.
Es ist also vielleicht nicht sinnlos, über verpasste Chancen zu debattieren, aber sie wurden nun einmal nicht genutzt. Die Frage, warum diese Chance nicht genutzt wurde, ist wohl recht einfach zu beantworten: „Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr“, „Wir sind das Volk“ wurde ganz schnell zu „Wir sind ein Volk“.
Die Autorin stellt den Begriff „Diktatur“ für die Staatsform der DDR infrage. Vielleicht hat sie ja noch nie etwas von der „Diktatur des Proletariats“ gehört?
Hier muss nun eine Bemerkung zum „Teil 3“ eingefügt werden: Nein, das war keine „verkehrte, illusionäre Zuschreibung“, sondern eine bis auf „das Proletariat“ durchaus zutreffende Selbstbeschreibung. Begrifflichkeiten wurden in dieser Diktatur – wie übrigens auch von den beiden Protagonisten von Teil 1 und 3 – gerne auf sehr eigene Art verwendet. Hier war „das Proletariat“ natürlich „die Partei“ bzw. die einstimmig bis zum Tod wiedergewählte Führung.

Man nennt das Abstraktion
Vielleicht haben Frau Combe und Herr Herzberg auch eine eigene Definition für „Diktatur“? Dann sollte Frau Combe als Wissenschaftlerin diese Definition erklären. Sie behauptet, dass mit der Verwendung des Begriffs Dinge gleichgesetzt werden, die doch recht unterschiedlich sind. Ja, es gibt sehr unterschiedliche Formen der Diktatur: Der Faschismus in Italien und Spanien war sicher nicht so brutal wie der deutsche und der Sozialismus in der DDR war auch nicht so brutal wie der als Stalinismus bekannte Sozialismus in der Sowjetunion. Es waren aber alles Diktaturen.
Für zwei Dinge, die sich in wesentlichen Aspekten gleichen denselben Begriff zu verwenden, ist in allen Sprachen üblich. Man nennt es Abstraktion: Die Spree ist ein Fluss und der Amazonas auch. In der Wissenschaft muss man sich darüber einig werden, welche Aspekte für einen Begriff relevant sind. Was sind also Kriterien einer Diktatur? Ist es nicht – ein wenig vereinfacht – die Tatsache, dass eine demokratisch nicht legitimierte Person oder eine Gruppe unkontrolliert die Macht im Staate ausübt und es auch keine legale Möglichkeit gibt, die Person oder Gruppe von der Machtausübung zu entfernen? Ist es also unangemessen, diesen Begriff auch auf die DDR anzuwenden?
Ja, die DDR hat (aber nicht) „nur einen Haufen Akten …“ hinterlassen und es gibt natürlich einen großen Unterschied zwischen den beiden Diktaturen. Es gibt aber auch eine Menge Parallelen: Die Aufmärsche, Fackelzüge, Militärparaden, der Militarismus und die Jungen Pioniere sind Frau Combe entgangen? Die Partei, die immer Recht und per Verfassung die führende Rolle innehatte auch? Parallelen (nicht eine Identität!) zwischen Gestapo und Stasi (Tscheka, NKWD, KGB will ich gar nicht erwähnen) sind wohl nicht zu übersehen, oder? Schließlich nannten die Stasi-Leute sich selbst „Tschekisten“.
Dass Historiker zwischen den beiden Diktaturen nicht unterscheiden, nur weil sie den gleichen Begriff für dieselben Staatsformen verwenden, ist eine unbelegte Behauptung. Diese „Argumentation“ war übrigens zu DDR-Zeiten ein von „der Partei“ gern verwendetes Narrativ.

Rhetorische Spiele, die leicht zu durchschauen sind
„Reisekader“ wurde man, wenn man dem Staat besonders nahestand (oder wenigstens unter strenger Aufsicht – wie z.B. die Sportler). Dass viele dieser „Kader“ nicht von einer Diktatur reden, sollte vielleicht nicht verwundern.
Gerade bei zeithistorischen Forschungen sollten Historiker es tunlichst vermeiden, ideologisch belastete Zeitzeugen für objektiv zu halten. Dazu gehört ganz sicher auch die Stiftung, auf deren Tagung diese Kontroverse entstanden ist. Generell sollte man Aussagen von Zeitzeugen – auch diese! – immer auf ihre Rolle in der Zeit, die sie bezeugen, beziehen. Dann wird auch klar, woher die Autorin die Behauptung, die DDR wäre doch gar keine Diktatur gewesen (weil nicht identisch mit der NS-Diktatur) hat.
Herzberg bewertet die Tatsache, dass die DDR von „Antifaschisten“ geleitet wurde positiv. Positiv zu bewerten ist vielleicht das Handeln dieser Antifaschisten zu Zeiten des Faschismus. Bei den -isten sollten aber die Stalinisten auch nicht vergessen werden.
Er meint auch: „ ... bildet auch, spiegelverkehrt, der Begriff ,Zweite deutsche Diktatur‘ keine zielführende historische Wesensbestimmung ...“. Welches Ziel? Das Ziel, der DDR das Stigma der Diktatur zu nehmen?

Rhetorische Spiele von der Art: „Aber ist damit das Wesen der DDR-Geschichte adäquat oder eher propagandistisch beschrieben?“, sind doch leicht zu durchschauen. Natürlich ist das „Wesen der DDR-Geschichte“ komplexer. Das hat aber nichts mit der Staatsform zu tun. Natürlich ist ein wesentlicher Aspekt der DDR-Geschichte adäquat mit dem Begriff Diktatur beschrieben. Dass es auch andere Aspekte gab, wird dadurch in keiner Weise negiert.
Dass die Bezeichnung zweite deutsche Diktatur eine Relativierung der singulären Völkermorde der NS-Herrschaft sein soll, ist wohl eher eine Wunschvorstellung derjenigen, die der DDR nachtrauern.
Offensichtlich handelt es sich um eine Trauerkundgebung
Vielleicht wäre es wünschenswert gewesen, wenn mehr als das Ampelmännchen in das gemeinsame Deutschland übernommen worden wäre. „Das Lager um Helmut Kohl“ war aber nun einmal demokratisch von einer deutlichen Mehrheit gewählt. Etliche dieser Wähler hatten wahrscheinlich andere Vorstellungen von dem, was folgen sollte.
Der Autor hat selbst erlebt, mit welcher Begeisterung, ja Unterwürfigkeit dem „Kanzler der Einheit“ zugejubelt wurde. Manche Menschen – ganz besonders aber die Autoren von Teil 1 und 3 – müssen vielleicht noch lernen, dass Freiheit auch bedeutet, dass man für sein Handeln (und auch für das, was man unterlässt) verantwortlich ist.
„ ... die angeblich ,freiheitlich-demokratische Grundordnung‘ und ,westliche Werte‘ der bürgerlichen Gesellschaft, als alternativloses Gesellschaftssystem apologetisch zu preisen, ...“ Danke für diese Selbstentlarvung. Es handelt sich hier also um eine Trauerkundgebung, weil die Alternative für Deutschland (oh, Verzeihung) trotz Mauer und Stacheldraht (ach nein: Antifaschistischer Schutzwall) einfach in sich zusammengefallen ist. Und die „verschiedenen Grade politischen Einverständnisses oder des Mitmachens“ hat es in der NS-Diktatur (und anderen Diktaturen) gar nicht gegeben?
Der „bedrohliche Rechtsruck“ ist sicher auch auf eine mangelnde Aufarbeitung zurückzuführen. Dazu beigetragen haben aber in ganz erheblichem Maße die vielen pseudolinken Projekte. Warum ist es denn der Partei mit den vielen Namen nicht nur nicht gelungen, wesentlichen Einfluss auf die Politik des Landes zu gewinnen? Stattdessen hat sie den zeitweise großen Erfolg im Osten fast komplett verloren.

Warum wohl wird schon wieder eine neue Partei gegründet, die „die Lücke im Parteiensystem“ schließen möchte? Die im Hufeisen? Eine Partei, die mit allerhand populistischem Schnickschnack garniert, weiter an der „Verschärfung der Widersprüche“ arbeitet. Die wie Herzberg von „Frieden“ faselt, in Wirklichkeit aber Unterwerfung unter die „gelenkte Demokratie“ (die längst eine Diktatur ist) meint.
Die Sache mit dem ehemaligen KGB-Offizier
Die „nicht friedensstiftende Parteinahme der Nato“ wird kritisiert? Wie kann man auch für die Souveränität, territoriale Integrität eines Staates und die Selbstbestimmung freier Völker Partei nehmen? Unverschämtheit! Die Sicherheitsinteressen eines Straßenräubers bestehen darin, dass sich das Opfer nicht wehrt und sich die Polizei gefälligst aus diesem Konflikt heraushält.





