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Da klingelte das Telefon, ich war im Urlaub. „Bei unserem Projekt wird die Hälfte gekürzt! Unser Kiez fällt komplett weg!“, sagte meine Arbeitskollegin und Freundin. Während sie mir das erzählte, kämpfte sie zugleich mit einer Eigenbedarfskündigung und bereitete die Einschulung ihres Kindes vor. „Aber diese Unsicherheit gab es doch auch schon letztes Jahr“, versuchte ich sie zu beruhigen – und überlegte im selben Moment, wo ich in 2026 stehen könnte. Urlaubsgefühl vorbei.
Ich arbeite seit zwei Jahren im Projekt der Mobilen Stadtteilarbeit in Rixdorf, Neukölln. Entstanden während der Pandemie, als Begegnungen fast nur draußen möglich waren, haben sich die mobilen Teams als wichtige Brücke zwischen den Menschen im Kiez und der Stadtteilarbeit bewährt – gerade weil sie flexibel sind und nicht darauf warten, dass die Menschen zu ihnen kommen. Sie gehen auf die Leute zu, knüpfen Kontakte, stärken nachbarschaftliche Strukturen und setzen gemeinsam mit Engagierten kreative soziale Projekte um.

Das jährliche Budget für unsere Aktionen ist nicht üppig – im vergangenen Jahr waren es rund 5000 Euro. Doch gemeinsam konnten wir viel daraus machen: Hinterhof-Flohmärkte, Kochaktionen, Workshops zu Rassismus oder Drogenproblemen. Wir haben Frühstückstreffs mit Beratung in verschiedenen Sprachen ermöglicht und Räume gegen Einsamkeit geöffnet. Und vor allem: Wir sind einfach da, hören zu, nehmen wahr, handeln. Zuhören bedeutet für uns, mit der Seele dabei zu sein. Dafür braucht es Zeit, Offenheit und Kreativität.
Zu uns kommen die Kämpferinnen der Gesellschaft
Wir haben Stammbesucher, die regelmäßig zu uns kommen, viele mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen. Da sind Menschen ohne Wohnung, ältere und einsame Personen, einige mit Fragen zu einem Brief, mit einem Wunsch oder einem Problem. Und da sind auch Kämpferinnen dieser Gesellschaft, die keine Waffe in die Hand nehmen müssen, um ihre Würde zu beweisen. Viele von ihnen sind schlicht nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren.
Wir trinken gemeinsam Kaffee, kochen Suppe, lachen und diskutieren über Politik, zuletzt über die AfD, über Trump und darüber, wie es ist, aus einem anderen Land zu kommen und sich hier behaupten zu müssen. Auch in unserem Team haben einige einen Migrationshintergrund – ein wertvoller Stoff für Gespräche, der uns alle bereichert.
Ich liebe die Praxis unserer Arbeit. Ich blühe auf bei unseren Veranstaltungen, wenn ich sehe, wie unterschiedliche Milieus einander begegnen und gemeinsam etwas erleben. Und oft geht es um ganz konkrete Hilfen. Neulich etwa brauchte Tom (Name von der Redaktion geändert), ein Aktivist von der Union für Obdachlosenrechte, dringend ein Handy. Sein einziges Gerät – wichtig für die Vernetzung, für Foodsharing und andere Ankerpunkte in seinem Alltag – war kaputt. Er hatte zwar ein gespendetes, aber gesperrtes Gerät bekommen und lief von Laden zu Laden, von Repair-Café zu Repair-Café, ohne Erfolg.
Wir nahmen uns Zeit für ihn und starteten Aufrufe in den Nachbarschaftskanälen. Schließlich kam die Empfehlung: ein Verein in Moabit, der Repair-Cafés speziell für Handys anbietet. Ich schrieb den Verein an – doch beim Entsperren konnten sie nicht helfen. Also fragte ich zurück: „Habt ihr vielleicht zufällig ein Handy übrig, das ihr ihm geben könnt?“ Und zack – ja, er konnte vorbeikommen und eins abholen. Tom fragte vor dem Gehen, ob wir nächstes Jahr noch hier sein werden. „Ich hoffe es – ich bin ja positiv.“ Ihm zu helfen, hat mein Glas wieder halb voll gemacht.

Es geht nicht nur um uns
Aber jedes Jahr zur Jahresmitte klingelt das Sparschwein mit seiner Schreckensbotschaft: Es wird wieder gekürzt! Plötzlich müssen wir all unsere Energie darauf verwenden, dagegen zu protestieren, nur um nicht alles zu verlieren.
Dabei geht es nicht in erster Linie um uns. Auch wenn die Kämpferinnen der mobilen Teams es mehr als verdient hätten, endlich Sicherheit im Leben zu bekommen – denn ohne Kindergeldzuschlag und Wohngeld könnten viele bei den hohen Mieten in Berlin kaum über die Runden kommen. Und doch: sie wollen arbeiten, sie wollen weitermachen.
Unser Team – überwiegend Frauen – ist längst zu einer Freundschaft zusammengewachsen. Wir jonglieren zwischen Meetings, Veranstaltungen und Kindern. Dann klingelt wieder die Tür. Das Lastenrad muss noch repariert werden – und schon haben wir wieder das Mittagessen vergessen. Wir sind ein Puzzle aus verschiedenen Arbeitsstunden im sozialen Bereich – und stehen doch jedes Jahr aufs Neue ohne Sicherheit da.
Ende 2024, ein paar Tage vor Weihnachten, bekamen wir die Zusage zur Projektverlängerung. Uff – noch ein Jahr Gemeinwesenarbeit, noch ein bisschen Sicherheit. Tatsächlich waren wir wieder am selben Punkt wie vor zwei Jahren. Und nun winkt uns wieder das Sparschwein zu.
Warum werden bewährte Projekte gekürzt, die nur einen Bruchteil dessen kosten, was gleichzeitig in die Militarisierung der Gesellschaft fließt? Was wir erleben, ist eine ideologische Wende: Es geht nicht nur um Einsparungen, sondern um eine grundsätzliche Abkehr von der Idee eines starken Sozialstaats. Deshalb trifft es uns – wie so viele andere im sozialen Bereich: Nachbarschaftsarbeit, Bildung, Jugendarbeit, Kultur.
Es geht um die Stärkung von Fußball und Wurst statt um Teilhabe und Inklusion. Um die Bewahrung alter Privilegien statt um die Bekämpfung sozialer Ungleichheiten, die immer sichtbarer werden.
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