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Die Axt schlug nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf durch das Fenster. Überall waren Scherben. Die Vorhänge waren zugezogen. Jemand brach die Tür auf. Bewaffnete Polizisten stürmten in die Wohnung. „Ich hätte aufsperren sollen“, erinnert sich Peter A. (Name von der Redaktion geändert). Das war im Winter 2021. Damals sollte er wegen einer Eigenbedarfskündigung aus seiner Wohnung in Berlin – und weigerte sich. Bei Minusgraden und mitten in der Corona-Pandemie wurde er obdachlos.
In Berlin leben schätzungsweise über 50.000 wohnungslose Menschen. Die Zahl hat sich innerhalb der letzten drei Jahre verdoppelt. Immer mehr Menschen können sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten. Der Berliner Senat rechnet bis 2030 gar mit 60 Prozent mehr Wohnungslosen, darunter zunehmend Frauen und Kinder.
Peter hatte Glück: Er schaffte es aus der Obdachlosigkeit. Heute erzählt er von seinen Erfahrungen. Das karierte Kurzarmhemd hat er tief in die Jeans gesteckt. In bairischem Singsang begrüßt er fünf Touristen, alle in Jacken und Pullovern. Obwohl es Anfang August ist, ist es kühl. Peter hat kein Problem mit Kälte, solange er sich bewege, sagt er. Das habe er beim Pfandflaschensammeln gelernt.

„Die Bettler in der U-Bahn haben sich aufgegeben“
Noch heute sieht man die Narben von den Splittern auf seiner Stirn. Müde Augen hinter einer Brille, freundliche Züge unter dem Rauschebart. Sein Alter verrät er nicht. Nur: Er sei stark gealtert. Er freut sich, dass sich die Teilnehmer für seine Geschichte interessieren. In den nächsten zweieinhalb Stunden wird er ihnen seinen Kiez zeigen. Meistens kommen Schulklassen zu seinen Touren, erzählt er.
Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Hier kostet der Espresso 2,50 Euro. In direkter Nachbarschaft liegen Kantstraße und Kurfürstendamm, wo sich eine Luxus-Boutique an die andere reiht. Peter lebte hier für einige Zeit auf der Straße – von zwei Euro am Tag, sagt er und schlüsselt die Preise von 200 Gramm Billig-Salami, einem Brötchen und No-Name-Cola auf. Mittlerweile würde das nicht mehr gehen. Alles sei doppelt so teuer. Heute lebt der gelernte Handelskaufmann von einer kleinen Rente.
Er führt durch das hippe Viertel. Großzügige Stadthäuser erheben sich neben modernen Apartments. Unter einer S-Bahn-Brücke haben Obdachlose Zelte aufgeschlagen. Wenn man einmal weiß, wo man Flaschen sammeln und zurückgeben kann, bleibt man in der Nachbarschaft. „Hier in der Straße war kein Mülleimer vor mir sicher“, sagt Peter. Über diese Zeit zu sprechen, fällt ihm nicht leicht. Vor allem am Anfang habe er sich fürchterlich geschämt. Die meisten Obdachlosen versuchen, nicht als solche aufzufallen, sagt er. Aus Scham. Die anderen, die in der U-Bahn betteln, „haben sich aufgegeben“.

Demütigungen im Discounter
Ob es unter Obdachlosen Teamarbeit gebe, fragt einer. Manche tauschten Flaschen, damit sie nicht in zu viele Geschäfte müssten. Er nicht, er sei introvertiert, ein Einzelkämpfer. Die Touren gibt er trotzdem, weil er Menschen zum Nachdenken bringen will. „Erst wenn man alles verloren hat, merkt man, was man vorher hatte.“
Einmal, im Winter, suchte er nach Wärme im Discounter. Das Sicherheitspersonal kontrollierte, ob Kunden Corona-Masken trugen. Als Peter endlich an der Reihe war, zogen sie ihn aus der Schlange. Vor allen Leuten musste er sich ausziehen. Seine Taschen wurden ausgeleert. „Sie haben mich gedemütigt“, erinnert er sich. Zur Abschreckung, damit er nicht mehr wiederkomme.
Die Tour wird von dem Berliner Verein „Querstadtein“ organisiert. Auch in anderen Vierteln führen ehemalige Obdachlose durch ihr „Revier“. Die Organisation will damit Berührungsängste und Vorurteile abbauen. Dazu gehört, Menschen, die nicht auf der Straße leben, die alltäglichen Probleme von Wohnungslosen näherzubringen. Zum Beispiel, dass man bei Dauerfrost keine öffentlichen Wasserspender findet, weil sie abgeschaltet werden. Oder, dass man ohne festen Wohnsitz kein Bürgergeld beziehen kann.
Peter ist wütend. Allein in Berlin stünden 100.000 Wohnungen leer, sagt er. Die würden locker für die 50.000 bedürftigen Menschen reichen. Generell sei der Weg aus der Obdachlosigkeit ohne Unterstützung von außen kaum zu schaffen.
Fernsehen gegen die Einsamkeit
Anfang 2022 gelang ihm dank der Hilfe eines Anwalts und einem Vermieter der Weg heraus. Nach einiger Zeit fand er eine kleine Wohnung etwas außerhalb der Stadt. Sie war unmöbliert. Das Erste, das er sich kaufte, war keine Matratze, kein Kleiderschrank. Nein, als allererstes habe er sich einen Fernseher gekauft. „Wegen der Einsamkeit.“ Ab da lief er rund um die Uhr, um das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein.
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