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Einsam gegen die Mafia: Roberto Savianos Kampf ums Überleben

In der aufrüttelnden Graphic Novel „I’m still alive“ erzählt Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano von seinem gefangenen Leben.

Roberto Saviano hat eine Graphic Novel über sein Leben unter Polizeischutz veröffentlicht.
Roberto Saviano hat eine Graphic Novel über sein Leben unter Polizeischutz veröffentlicht.Filippo Monteforte/AFP

Einen roten Sarg zeigt Seite 28 dieser Graphic Novel. Deren Träger sind schwarz-weiß gekleidet: ein Priester, Carabinieri und eine trauernde Frau mit Sonnenbrille. Darunter eine aus dem Sargdeckel gereckte geballte Faust mit der Sprechblase: „Ich lebe noch, ihr Bastarde!“

Der aktuelle Bezug ist mehr als deutlich. Der Mafia-Experte Roberto Saviano hatte in einem Fernsehinterview im Dezember 2020 Italiens heutige postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni und den damaligen Innenminister Matteo Salvini wegen ihrer menschenverachtenden Flüchtlingspolitik als „Bastarde“ bezeichnet.

Von Giorgia Meloni verklagt

Giorgia Meloni verklagte den Autor und Journalisten wegen Beleidigung. Am 13. Oktober wurde Saviano zu einer symbolischen Geldstrafe von 1000 Euro auf Bewährung verurteilt.

Das von dem preisgekrönten israelischen Comic-Künstler Asaf Hanuka, der für namhafte Medien wie New York Times, Wall Street Journal und Rolling Stone gearbeitet hat, großartig gezeichnete Buch ist weniger eine Comic-­Biografie. Vielmehr sind es auf den wunden Punkt gebrachte Schlüsselszenen aus dem entwurzelten Leben des seit gut 17 Jahren von der Mafia Gejagten Roberto Saviano.

Saviano fasst seine einsame Odyssee durch ständig wechselnde Länder und Wohnungen in SMS-präzisen Kernsätzen und Interview-Ausschnitten zusammen. Dazu werden plastisch-drastische Bildsequenzen präsentiert.

Die Graphic Novel beginnt mit Subbuteo. Ein Tischfußball-Spiel, das ein glücklicher neapolitanischer Junge mit seinem Bruder spielt. An der Wand, so wird es beschrieben, hängt ein Poster mit Maradona, dem unheiligen Stadtpatron von Neapel.

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Der namentlich nicht erwähnte Bruder, dem Saviano sein Buch widmet, wird Rettungssanitäter und zu einem Roller-Unfall gerufen. Als er den gestürzten jungen Mann verbindet, sagt ihm das Unfallopfer ins Gesicht: „Schämst du dich nicht? Ich weiß, was dein Bruder getan hat – und du hast noch den Nerv, dein Gesicht zu zeigen?“ Der Autor: „Mein Bruder zog dann nach Norditalien und ging von da an vorsichtiger mit seinem Nachnamen um“. Die beiden ungleichen Brüder konnten nie wieder zusammen das geliebte Subbuteo spielen.

Im weiteren Verlauf des Buches erzählt Saviano von einem Haus, in dem er eine Weile wohnte. Ein kleines Zwei-Zimmer-Apartment mit wenigen Möbeln und vielen Büchern. Eine Routine, die sich nach jedem der zahllosen Umzüge wiederholt: Die Carabinieri schauen unters Bett, in den Wandschrank, hinter den Duschvorhang, versiegeln die Fensterläden.

Saviano mit Rushdie während einer gemeinsamen Veranstaltung 2008.
Saviano mit Rushdie während einer gemeinsamen Veranstaltung 2008.dpa

Nach Bestseller-Veröffentlichung auf der Todesliste

Der gebürtige Neapolitaner ist 26 Jahre alt, als er „Gomorrha“ schreibt. Dabei orientiert er sich an Truman Capotes Methode: „Ich wollte einen journalistischen Roman produzieren. Etwas groß Angelegtes, das die Glaubwürdigkeit von Fakten, die Unmittelbarkeit von Film, die Tiefe und Freiheit der Prosa und die Präzision von Poesie haben sollte.“

Das ist ihm so nachhaltig gelungen, dass das 2006 erschienene Buch ein Zehn-Millionen-Weltbestseller wurde. Darin dokumentiert und reflektiert er den Krieg zweier Camorra-Clans, die die Straßen von Neapel in ein Schlachtfeld verwandelt hatten. Die Camorra gehört zu den größten kriminellen Organisationen Italiens.

Er hält es für einen der größten Fehler seines Lebens, dass er in seinem Enthüllungswerk Ross und Reiter, echte Namen, echte Taten von Mafiosi in seiner Heimatstadt Neapel nennt.

Seit der Veröffentlichung steht Roberto Saviano auf der Todesliste der Camorra. Seit 17 Jahren kann er nicht mehr spontan spazieren, ein Bier trinken, ins Kino oder ins Fußballstadion gehen. Bei den seltenen öffentlichen Auftritten ist Charlie immer dabei, ein auf Sprengstoff trainierter belgischer Schäferhund.

Die wichtigsten Begleiter sind aber nicht die Leibwächter, die ihn rund um die Uhr bewachen. Es sind Tausende von Büchern, die er bei jedem Wohnungswechsel mitnimmt. In einem Interview sagt er: „Ich lebe vom Lesen. Im Grunde lese ich eher über die Welt, als dass ich in ihr lebe.“

Sein Freund und Leidensgenosse Salman Rushdie, seit einem Attentat auf ihn im August 2022 auf einem Auge blind, hatte ihm empfohlen, sich vom Thema Mafia abzuwenden, wie er selbst es vor zwanzig Jahren nach dem Erscheinen der „Satanischen Verse“ vom Islamismus getan hatte.

Bei der Nobelpreis-Verleihung 2008 in Oslo sagte der diesjährige Friedenspreis-Empfänger, was auch für Saviano gilt: „Menschen werfen mir vor, dass ich noch lebe. Dass ich zu Partys gehe und noch Bücher schreibe.“ Obwohl er doch zum Tode verurteilt sei.

Diese hochwertig gestaltete Graphic Novel veranschaulicht – im wahrsten Sinne des Wortes – fast lakonisch, sehr persönlich und ohne jede Larmoyanz das schwer erträgliche Abenteuer eines klaustrophobischen Lebens, das wir nicht verstehen können. Weil wir nie in einer solchen Isolation, Unfreiheit und Angst gelebt haben.

Giorgia Meloni setzte sich dafür ein, dass Savianos Doku-Serie nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Giorgia Meloni setzte sich dafür ein, dass Savianos Doku-Serie nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde.Sven Simon/imago

Ein heldenhafter Kämpfer

Savianos Lebenswerk ist ein obsessiver Kampf gegen die auch in Deutschland Milliarden umsetzende Mafia mit den Mitteln des schonungslos anprangernden Journalisten, Autors, Filmemachers und Moderators. Für ihn ist die multimediale Präsenz überlebenswichtig: „Das Rampenlicht darf niemals ausgehen, denn im Dunkeln ist die Gefahr für mich am größten.“

Im Ausland gilt Roberto Saviano als heldenhafter Kämpfer gegen die Mafia. Für viele Italiener ist er hingegen ein Nestbeschmutzer. Kurz nach ihrem Wahlsieg hat Regierungschefin Giorgia Meloni, die Wölfin im Schafspelz, mit all ihrer neuen Macht unter anderem verhindert, dass das von ihren Vasallen besetzte öffentlich-rechtliche Fernsehen Roberto Savianos aktuelle Doku-Serie über die Mafia zeigt. Ihre rechtspopulistische Regierung stellt den Gomorrha-Autor als einen Feind Italiens dar, den man unbedingt stoppen, also mundtot machen müsse.

Um so wichtiger ist es, diesem unermüdlichen Rufer in der gesellschaftlichen Wüste zuzuhören und seine Bücher zu lesen – wie diese in Kopf und Herz treffende Graphic Novel. Sie stellt unter der Überschrift „Dating“ auch scheinbar einfache Fragen: „Wie kann man überhaupt ein normales Leben in Betracht ziehen? Mit einer Frau ausgehen, zum Kaffee oder zum Abendessen?“ Die Antwort: Man kann – wenn man nicht Roberto Saviano heißt.

Nach seiner jahrzehntelangen Führungstätigkeit in der Verlagsbranche schreibt der ausgebildete Verlagsbuchhändler und passionierte Journalist Joseph Weisbrod am liebsten über Bücher, Italien, Reisen und Fußball.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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