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Die letzten Atomkraftwerke (AKW) zur Stromerzeugung in Deutschland wurden im April 2023 abgeschaltet. Was überdauert, ist der Atommüll. Der hochgefährliche Anteil davon soll für eine Million Jahre so sicher wie nur möglich in einem tiefengeologischen Endlager untergebracht werden. Die Suche nach dem geeigneten Standort gestaltet sich nicht nur extrem schwierig, sondern auch extrem langwierig.
Das Öko-Institut stellte in einem Gutachten kürzlich fest, dass die Standortwahl noch ein halbes Jahrhundert, also bis 2074, dauern kann. Im Jahr 2022 hatte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die ausführende Organisation im Verfahren, darüber informiert, dass die Auswahl schlimmstenfalls erst 2068 erfolgen werde. Das entsprechende Gesetz aus dem Jahr 2017 empfiehlt noch das Jahr 2031 für die Standortbestimmung.
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Als das neue Zieljahr im Gutachten des Öko-Instituts bekannt wurde, folgte umgehend eine Richtigstellung aus dem Bundesumweltministerium. Dem Institut hätten nicht alle Informationen zur Standortwahl vorgelegen, meinte Ministerin Steffi Lenke. Das mag ja richtig sein. Aber dieses Hin und Her folgt einem bekannten Reflex.
Als die Bundesgesellschaft für Endlagerung Ende 2022 ihren neuen Zeitkorridor für die Auswahl verkündete, war es das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als Aufsichtsbehörde, das die Angaben umgehend kritisch kommentierte. So lange dürfe es nicht dauern. Seither sind Beschleunigung und Verfahrensoptimierung die zentralen Begriffe der politischen Debatte über die Standortbestimmung.
Wie aber ist das Gefeilsche um Jahreszahlen einzuschätzen, zielt es überhaupt in die richtige Richtung? Sind die Gründe für die Verkündung solcher Zeiträume, die mehr als ein halbes Jahrhundert in die Zukunft reichen, überhaupt plausibel? Wenn der gesamte Entsorgungspfad vom Rückbau der AKW über die Zwischenlagerung bis zur Endlagerung in den Blick genommen wird, kommen Zweifel auf. Dann wird deutlich, wie problematisch sich das gesamte Verfahren gestaltet, welche Ungewissheiten noch vorhanden sind – und dass recht fragwürdige Argumente für die Beschleunigung vorgetragen werden.

Der Ursprung der Probleme liegt weit zurück. Der Umgang mit dem Atommüll wurde in den ersten Jahrzehnten des Atomzeitalters bagatellisiert und die Endlagerung als leicht zu realisierendes Projekt dargestellt. Dabei ist schon der Rückbau von AKW ein komplexer Prozess, der sich als schwierig erweist – und der deshalb auch international nur langsam vorangeht. Von 204 stillgelegten AKW weltweit wurden erst 20 vollständig abgerissen. In Deutschland befinden sich 33 Reaktoren an 15 Standorten im genehmigten Prozess des Rückbaus.
Die ehemaligen AKW-Betreiber müssen seit 2017 der Bundesregierung jährlich mitteilen, wie es beim Rückbau vorangeht. Deren Informationen fließen in einen umfangreichen Bericht ein, der in seiner siebten Fassung Ende November 2023 dem Bundesrat vorgelegt wurde. Größere Probleme wurden darin noch nie aufgeführt, alles scheint nach Plan zu laufen. Unklar bleibt, warum es dennoch zu Verzögerungen kommt.
Lange Zeit gingen Staat und Betreiber von optimistischen zehn bis 15 Jahren für den Rückbau aus. Einige Betreiber der Anlagen wie etwa die RWE Nuclear GmbH (Gundremmingen) oder die EnBW Kernkraft GmbH (Neckarwestheim) halten erst zu Beginn der 2040er-Jahre einen vollständigen Rückbau und die anschließende Entlassung aus der atom- und strahlenschutzrechtlichen Überwachung für möglich, wie aus dem oben genannten Bericht hervorgeht. Erst dann kann der konventionelle Abriss oder die anderweitige Nutzung der Gebäude erfolgen.
Selbst wenn die Reaktordruckbehälter entfernt und die Brennstäbe verpackt sind, bleibt der Rückbau aufwendig. Vielfach müssen erst noch die Spezialgeräte entwickelt werden. Hierin zeigt sich eine Absurdität des Atomzeitalters: Ein möglicher Rückbau war anfangs kein Thema bei der Planung eines AKW.

Jetzt zeigt sich aber, wie aufwendig es ist, jedes Gebäude- und Betonteil quadratmeterweise zu dekontaminieren, ebenso jedes Metallteil. Freigemessene Abfälle können dann zwar wie Hausmüll entsorgt, recycelt oder als Wertstoff verkauft werden. Allerdings regt sich zunehmend Widerstand gegen diese Vorgehensweise in der Bevölkerung, denn der Müll ist keinesfalls frei von Strahlung.
Bei den beiden sowjetischen Reaktoren der DDR in Greifswald und Rheinsberg hat der Rückbau bereits nach der Wende begonnen, also vor mehr als 30 Jahren. Seitdem wurden die Zeitpläne immer wieder korrigiert; mittlerweile wird von Prognosen ganz abgesehen.
Von der Zwischen- zur Langzeitlagerung
Gewiss ist dagegen, dass die Genehmigungen für die obertägigen Zwischenlager schon ab den 2030er-Jahren auslaufen werden. Für das Zwischenlager Gorleben ist sie bis zum 31. Dezember 2034 befristet, für das Zwischenlager Ahaus bis zum 31. Dezember 2036. In Brunsbüttel und Jülich werden die Zwischenlager aufgrund fehlender Sicherheitsnachweise schon seit zehn Jahren ohne Genehmigungen betrieben. Das Hoffen auf eine schnellere Standortbestimmung für das Endlager, an dem noch über Jahrzehnte gebaut werden muss, hilft da nicht weiter.
Die oberflächennahe Langzeitlagerung des Atommülls lässt sich nicht mehr vermeiden. Die Entsorgungskommission geht von 120 Jahren Zwischenlagerung aus; mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen ist vermutlich auch dieser Zeitrahmen zu knapp bemessen. In der Forschung wurde bei der Langzeitlagerung bereits ein Nutzungsrahmen von 100 bis 300 Jahren zugrunde gelegt.
Probleme gibt es auch bei der Endlagerung des schwach und mittel radioaktiven Atommülls. Etwa die Hälfte davon lagert im havarierten Versuchsbergwerk Asse II. Weil immer mehr Salzwasser eindringt, wie im Mai 2024 bekannt wurde, soll die Rückholung beschleunigt werden. Für solche Abfälle wurde 1977 das einstige Erzbergwerk Schacht Konrad in Salzgitter als Endlager bestimmt und ausgebaut. Mehrmals sollte es schon den Betrieb aufnehmen, neuer offizieller Starttermin ist nun 2029. Allerdings wird die Genehmigung für das Endlager angezweifelt, da die Planungen für Konrad nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Bauliche Ertüchtigungen unvermeidbar
Krieg und Terror in Europa zeigen nachdrücklich, dass heute schon eine neue Sicherheitskultur in Bezug auf die 1900 Castoren mit hoch radioaktivem Atommüll in den Zwischenlagern und auch für den schwach und mittel radioaktiven Atommüll entwickelt werden muss. Viele Standortgemeinden von AKW sehen sich mit dieser Gefahr unmittelbar konfrontiert, befürchten allerdings gerade wegen der baulichen Ertüchtigung der Anlagen, dass ihre Kommunen schleichend zum Endlagerstandort werden.
Aber genau in diesen Kommunen, die heute für ein schnelles Verfahren plädieren, wurde der Atommüll erzeugt. Dass die Langzeitlagerung dort nicht mehr zu vermeiden ist, ist die Konsequenz daraus, dass die Atommüllprobleme jahrzehntelang mehr oder weniger vertagt wurden. Zudem haben die Kommunen durch die Gewerbesteuern, mit denen Sportplätze gebaut oder andere Infrastrukturprojekte umgesetzt wurden, erheblich vom AKW-Betrieb profitiert.
Interessant ist, dass auch diejenigen, die mit einiger Vehemenz die Beschleunigung des Standortwahlverfahrens fordern, etwa das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und das Bundesumweltministerium, zugleich darauf hinweisen, dass die Zwischenlager heute und in Zukunft sicher seien. Selbst die Verlängerung der Sicherheitslizenzen für die Zwischenlagerung wird als unproblematisch angesehen. Wenn dem so ist, warum wird dann die Beschleunigungsdebatte geführt?
Kritische Öffentlichkeit als Korrektiv für staatliches Handeln
Ein zentrales Problem der Beschleunigung und Verfahrensoptimierung ist, dass sie auf Kosten einer breiten Beteiligung der Öffentlichkeit gehen wird. Stattdessen könnten politische Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg fallen, die durch eine wissenschaftliche Expertokratie legitimiert werden. Das hat es schon einmal gegeben, als Gorleben 1977 als Standort für ein Endlager verkündet wurde. Die Geschichte ist bekannt: Ein jahrzehntelanger Konflikt hat die bundesrepublikanische Gesellschaft gespalten wie kein anderer. Am Ende ist Gorleben 2020 aus dem jetzigen Standortsuchverfahren ausgeschieden.

Solche konkreten Erfahrungen und massive Schwierigkeiten auf dem Entsorgungspfad bleiben in den Debatten um eine Beschleunigung der Standortwahl für ein tiefengeologisches Endlager unerwähnt. Ist parallel zu den Ertüchtigungen der bestehenden Zwischenlager an den 16 Standorten der Bau oberflächennaher Lager erforderlich? Ist nicht der Bau von Kombilagern, wie es die Schweiz vorsieht, in denen alle Arten von radioaktivem Atommüll untergebracht werden können, die bessere Wahl? Wie kann die Öffentlichkeit bestmöglich als kritische Begleitung und Korrektiv für staatliches Handeln in das Verfahren eingebunden werden? Wie können dadurch unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt werden? Diese Fragen zum Verfahren und zur Lagerung müssen gesellschaftlich breit diskutiert und politisch beantwortet werden.
Auch das nächste Gutachten zum Zeitkorridor für die Endlagerung und das Gefeilsche darum wird an der schwierigen Lage im Umgang mit dem Atommüll nichts ändern. Darüber hinaus steht nur fest, dass das kurze Atomzeitalter, wie es sich in Deutschland zwischen 1961 und 2023 mit dem laufenden Betrieb von AKW vollzogen hat, mit der komplexen Entsorgungsaufgabe in die ewige Verlängerung geht.
Achim Brunnengräber ist Politikwissenschaftler am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.
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