Am 5./6. November erschien in der Berliner Zeitung der Beitrag „Checkpoint Charlie: Wie taub kann man sich stellen?“ von Holger Friedrich. Am 18. November veröffentlichten wir die Replik von Michail Nelken. Der folgende Text ist eine Reaktion darauf.
Als gebürtiger Israeli war meine allererste Begegnung mit Berlin nicht ohne gemischte Gefühle.
Ich war als Student aus London angereist, nur wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, und mein Spaziergang führte mich zufällig zum Checkpoint Charlie. Die Mauer war noch immer da, ebenso die Einrichtungen der Grenzpolizei. Die Atmosphäre war ruhig und strahlte Freiheit aus, und trotz der bitteren Kälte hatte man das Gefühl, dass die Jahre der Teilung und des Getrenntseins ein Ende hatten. Die Grenze war offen.
Touristen bekamen Hämmer in die Hand gedrückt, um kleine Stücke der Mauer abzubrechen und als Souvenir mitzunehmen. Ich wurde selbst zum „Mauerspecht“ und schlug ein paar kleine Steine ab, ohne zu ahnen, dass mich das Schicksal 26 Jahre später wieder in das Auge des Sturms, an eben diesen Grenzübergang, führen würde.
Ein offener, vertrauensvoller Dialog mit den Behörden
Als Trockland, das Unternehmen, das ich vor fast 15 Jahren gegründet habe und das sich auf die Entwicklung einzigartiger Berliner Standorte konzentriert, das ehrgeizige Projekt zur Neugestaltung des Geländes am Checkpoint Charlie in Angriff nahm, waren zwei Dinge offensichtlich. Normalerweise muss man sich in der Welt der Immobilieninvestitionen auf die Suche nach Investitionsmöglichkeiten machen. In unserem Fall schien es, als ob das Projekt uns verfolgt hätte. Das andere war, dass wir alle im Herzen spürten, dass dieses Entwicklungsprojekt mit keinem anderen vergleichbar ist.
Wir begannen einen offenen, vertrauensvollen Dialog mit allen relevanten Berliner Behörden: der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der Senatsverwaltung für Finanzen, der Kulturverwaltung, der Stiftung Berliner Mauer und vielen mehr. Die Komplikationen waren enorm, und während wir im Dialog und in der Planung Stück für Stück vorankamen, wurde deutlich, wie groß die Wunde noch ist, in die wir unsere Hände legten. Man dachte, dass fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung alles verheilt und Vorurteile überwunden und verschwunden wären. Aber das war damals nicht der Fall – und ist es leider auch heute nicht.
Planungen im vollen Einklang mit dem damaligen Baurecht
Wir haben mit unseren Planungen für das Projekt begonnen, die sich in vollem Einklang mit dem damals bestehenden Baurecht befanden, das die Berliner Baubehörde für das Gelände festgelegt hatte, lange bevor wir in das Projekt eingestiegen sind. Wir haben es weder aufgezwungen noch erfunden, sondern akzeptiert. Das Baurecht berücksichtigte unter anderem Blockrandbebauung, ein Hotel, ein Museum und Mischnutzung von Einzelhandels-, Wohn- und Gewerbeflächen. Der Planungsprozess wurde vom Berliner Senat in einem offenen, transparenten und demokratischen Dialog definiert und geleitet.
Mitten im Planungsprozesses kam es durch die Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Dezember 2016 zu einem Wechsel in der Berliner Führung. Die Verantwortung für die Stadtplanung wurde in die Hände einer Senatorin der Linkspartei gelegt. Als ehemaliges SED-Mitglied teilt sie einen entscheidenden Teil ihrer Biografie mit ihrem Parteifreund Michail Nelken, auf dessen Artikel vom 18. November ich heute reagiere.
Für uns war das damals eine spannende Nachricht: Ich habe Deutschland immer als besonders stark erlebt, wenn es sich mit seiner eigenen Geschichte und Schuld beschäftigt hat. In Deutschland und Berlin, als Land und Hauptstadt der Täter, hat man beispielhaft immer wieder Verantwortung übernommen und Zeichen gesetzt. Die Biografien der neuen Akteure (auch die Kulturverwaltung wurde ja von Angehörigen der Linken übernommen) versprachen auch wichtige neue Perspektiven in der gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte des Checkpoint Charlie.
Vorwürfe, die sich als unwahr und haltlos erwiesen
Von den zuständigen Senatsverwaltungen hörten wir zunächst aber wenig, dafür umso mehr aus und von der Berliner Presse. So starteten zwei Journalisten eine Artikelserie. Sie kritisierten nicht nur die nach den von Berlin vorgegebenen Plänen gemachten Entwürfe für den Platz, sie unterstellten Trockland kriminelle Machenschaften wie Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
Als Beleg diente ein Mitarbeiter unseres Hauses, der die Tochter eines verstorbenen Despoten einer früheren sowjetischen Teilrepublik geheiratet hatte. Anonym wurde Anzeige gegen Mitarbeiter unserer Firma erstattet, und die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf. Die Wahrheit findet immer ihren Weg ans Tageslicht, so auch hier. Alle Vorwürfe haben sich als unwahr und haltlos erwiesen. Die Journalisten ließen sich mit ihrer auf Sippenhaft basierten Story noch 2019 für den Nannen-Preis nominieren, gewannen diesen aber nicht.
Von nun an wurde vieles anders. Statt eines konstruktiven Dialogs hörten wir, dass Senatorin Lompscher zwei Jahre nach Amtsantritt einen neuen B-Plan aufstellen wollte. Für Fachworkshops und ein vorbereitendes Konzept wurden der ehemalige Kultursenator Flierl (Die Linke) und zwei weitere Personen beauftragt. Es entstand ein Papier, welches einen Solitär für das Museum, einen kleinen Stadtplatz und eine Bebauung mit primär Sozialwohnungen forderte. Ohne Zweifel, bezahlbaren Wohnraum braucht die Stadt, aber wie soll das mit Millionen von Touristen einhergehen? Die verschwinden nicht alle in einem Museum, das man als letzte Erinnerung an die Geschichte des Ortes vorgesehen hat.
Visionäre Zeichnungen und Skizzen liegen in den Schubladen
Hunderte von Beschwerden gingen gegen dieses Konzept ein, auf dem dann auch der B-Plan fußte. Alle wurden abgewiesen. Die vielen Kreativen und Architekten, die genauso wie Trockland als zuständiger Investor in die Überlegungen von Lompscher, Flierl und Co nie einbezogen worden waren, begannen laut zu werden und eigene Ideen zu entwickeln. Viele namhafte Mitglieder der Berliner Gesellschaft und Kultur haben ihre wertvolle Zeit und Energie investiert und sich dafür eingesetzt, dass dieser Ort für die Öffentlichkeit erlebbar wird. Wunderbare visionäre Zeichnungen und Skizzen liegen bis heute in den Schubladen. Namhafte Architekten wie Sir David Chipperfield, Armand Grüntuch und Almut Grüntuch-Ernst sowie Daniel Libeskind haben sich auf den Weg nach Berlin und auf das Gelände begeben, um ihre Ideen und Anregungen einzubringen.
Es entstand ein Feuerwerk an Ideen, welches Flierl und Co vor einem Jahr im Tagesspiegel als „Strohfeuer“ abkanzelten. Denn obwohl viele Medien von ZDF bis rbb von den Entwicklungen Kenntnis nahmen und auch einige Abgeordnete aus den Reihen der Koalitionäre großes Interesse zeigten, unterband Senatorin Lompscher jedwede Diskussion damit, dass ein B-Plan jetzt verabschiedet werden müsse, da sonst der Paragraf 34 greifen würde, mit dem jeder Investor weitgehend freie Hand hätte. Das war sachlich richtig. Sie versprach, später noch einmal die Diskussion zu eröffnen. Das findet bis heute nicht statt. Im Gegenteil, mit einem aktuellen Senatsbeschluss zum Aufkauf der Fläche für den Stadtplatz und das Museum werden endgültige Fakten geschaffen.
Mit einem Museum allein wird man dem Platz nicht gerecht
Es ist wahr, dass eine starke Fokussierung auf die Kommerzialisierung wahrscheinlich nicht sensibel genug für diesen Standort ist. Hier haben wir, genauso wie die ersten B-Planungsüberlegungen durch die Berliner Verwaltung, einen Fehler gemacht. Es ist aber auch wahr, dass man mit einem Museum allein dem Platz nicht gerecht werden und ob der geplanten Wohnbebauung Nutzungskonflikte bekommen wird. Eine Niedrigschwelligkeit, wie zum Beispiel beim Gedenkort Mauer, ist im neuen B-Plan nicht vorgesehen. Dort geht auch nur ein Bruchteil der Besucher in das vor Ort angesiedelte Museum. Die Geschichte wird dafür von den Besuchern draußen großflächig erfahren und gelesen.
Ich wünsche mir den schönsten und mutigsten Ort der Stadt am Checkpoint Charlie, einen Ort, der mit der Energie der Versöhnung und des gegenseitigen Respekts geplant und gebaut wird, ein Projekt, das mit Liebe und Integrität realisiert wird. Wir brauchen einen Leuchtturm, der als Beispiel der Hoffnung für eine freie und geeinte Welt strahlt, so wie ich es damals im kalten Winter 1989 selbst als Gast erlebt habe. Ich bete und kämpfe dafür, den Checkpoint Charlie irgendwann mit dem Herzen und den Augen eines Berliners Realität werden zu sehen.
Heskel Nathaniel ist Co-Founder und Chief Executive Officer von Trockland.
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