Weihnachten in Kriegszeiten: Die Bilder aus der Ukraine holen bei den älteren unserer Leserinnen und Leser Erinnerungen an Angst, an Hunger, unerfüllte Wünsche, an verdrängte Trauer hervor. Sie werden vielleicht noch durch so manches Gespräch im Lichterschein streifen. Und während in Berlin viele Leute eine Strickjacke zusätzlich oder die extradicken Socken in der Wohnung tragen, um Gas- und Stromverbrauch zu begrenzen, zeigen die Nachrichten Menschen, die in Kiew in U-Bahn-Stationen zusammenhocken oder sich in Charkiw um Holzöfen versammeln. Oh, du Nachdenkliche.
Die Bilder aus dem Iran führen uns ebenso oder vielleicht noch stärker unsere Machtlosigkeit vor Augen. Das Unwissen über die Verhältnisse. Wir sehen, wie Menschen, die für das Selbstverständlichste, für das Leben in Freiheit, auf die Straße gehen, angegriffen werden. Wir lesen von den Verhaftungen, Todesurteilen und können es rational nicht fassen.
Darf man die Krisen ausblenden?
Wie soll man dieses Jahr feiern? Geht das überhaupt? Muss oder darf man die Krisen ausblenden?
Für Kinder und Erwachsene sind Weihnachten zwei verschiedene Dinge. Für Kinder gibt es die Vorfreude auf Geschenke; die Vorfreude der Erwachsenen auf das Fest ist von Vorbereitungen begleitet, manchmal davon überlagert. Sie raffen sich der Kinder wegen auf, ein friedlich-fröhliches Jahresende hinzubekommen, versuchen dann, beim Zusammensein am geschmückten Baum oder beim Gang in die Kirche, die beunruhigenden Stimmen im Kopf leise zu stellen, den Blick in die eigene Wohnung oder in die der Großeltern zu lenken.
So geht das Jahr um Jahr, auch wenn es Ärger im Beruf gibt, wenn vor der U-Bahn-Station mehr Obdachlose im Dreck liegen, wenn die heimischen Wälder sich lichten und die in Brasilien erst recht, wenn enge Freunde sterben oder Verwandte krank sind. Wenn die Flüchtlinge, die versuchen übers Mittelmeer nach Europa zu kommen, sich in den Nachrichten in Todeszahlen verwandeln oder in Probleme der Aufteilung in der EU. Weihnachten ist Weihnachten, also Tradition und Heimeligkeit, Plätzchen und Lieder, und wer es erübrigen kann, legt in dieser Zeit Geld in den Klingelbeutel oder schickt Überweisungen ab.
In diesem Jahr fällt das Abschalten besonders schwer, weil uns der Krieg Russlands gegen die Ukraine seit Ende Februar ununterbrochen beschäftigt. Der Glaube, dass er schnell vorbeigehen werde, hat sich als trügerisch erwiesen. Der Krieg wirkt nah beim Blick auf die Landkarte und nah auch durch die Kinder, Mütter, Großeltern, die in Deutschland Schutz suchen. Er ist so beängstigend dicht, wenn nun die Diskussion um Waffen oder Waffenstillstand, die Rolle Deutschlands und der Nato mit all ihrem Konfliktpotenzial in Familien und Freundeskreise zieht, wie es vordem mit den Corona-Maßnahmen passierte.
Sorgen nicht gegeneinander aufwiegen
Was kann man also tun? Einander ernst nehmen und Sorgen als solche betrachten, nicht als Dinge, die messbar sind oder sich vergleichen ließen. Wer jetzt krank ist, der möchte nicht hören, dass andere viel schlimmere Probleme haben. Wer sich jetzt um den einen Nächsten sorgt, hat vielleicht nicht noch Platz im Herzen für andere.
Es muss möglich sein, in der Familie zusammenzukommen und zu reden, zu streiten, ohne zu verletzen. Und wer eine Fördermitgliedschaft in einer Umweltorganisation verschenkt, macht es genauso richtig wie jemand, der für Stromaggregate spendet, die in die Ukraine gehen. Ob man sich bei der Berliner Tafel für die Leute einsetzt, die hierzulande nicht genug haben, oder einen Menschenrechtsverein im Ausland unterstützt: Das darf man keinesfalls gegeneinander aufwiegen. Auch Zeit zu spenden, hat einen Wert; er lässt sich nicht in Zahlen darstellen. Und wer gerade von allem in Ruhe gelassen werden will, soll diese Ruhe bekommen – ohne Belehrung.


