Uliana Ustinowa hat die Wareniki für das Weihnachtsessen bereits mit gestampften Kartoffeln gefüllt und gekocht. Die halbmondförmigen Teigtaschen aus Weizenmehl gehören zur ukrainischen Küche wie die Weizenähre zur nationalen Symbolik der Ukrainer.
Der Herd in ihrer Wohnung in Kiew funktioniert nur, wenn in der Hauptstadt der Strom fließt. Es hat sich also gelohnt, mit den Vorbereitungen für die Festtage in diesem Jahr früh zu beginnen. Die Bezirke der Hauptstadt bleiben über Stunden im Wechsel dunkel und kalt. Die Energieversorger wollen mit den rollenden Abschaltungen das Netz vor dem Kollaps bewahren. Russlands gezielte Luftangriffe auf Kraftwerke und Leitungen haben einen Notstand im ganzen Land erzeugt.
Die Hafenstadt Odessa könnte wochenlang vom Netz getrennt sein. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) warnt, dass praktisch alle Kinder in der Ukraine vom Strommangel und dem Ausfall von Heizungen betroffen sind. Die Aussichten für die Festtage sind in der Ukraine im buchstäblichen Sinn düster.
Ustinowas Familie will dennoch oder gerade wegen des Krieges und seiner Folgen in diesem Jahr Weihnachten feiern. Für ihre beiden Töchter, die neunjährige Hannah und die fünfjährige Nancy, seien Weihnachtsstimmung und Geschenke nach neun Monaten Krieg eine unverzichtbare Aufmunterung. Auch sich selbst will Ustinowa eine Auszeit von Sorgen und Ängsten gönnen. „Ich teile die Ansicht nicht, dass der Krieg mein ganzes Leben bestimmen sollte“, sagt die Kiewerin.
Ich teile die Ansicht nicht, dass der Krieg mein ganzes Leben bestimmen sollte
Bei Alarm wird im Flur gefeiert
Die Ukrainerin will feiern, koste es, was es wolle. Sollte es Luftalarm geben, werde die Familie in den im Gebäudeinnern gelegenen Flur ihres Wohnhauses ausweichen, erzählt sie. Innenräume ohne Fenster gelten bei Bombardierung neben dem Bunker als sicherster Ort in einem Wohnhaus. „Wir nehmen Kerzen mit und die Geschenke, sollte es nötig sein“, sagt Ustinowa.
Sie könne am Raketenbeschuss ja nichts ändern, sagt die Mutter. „Aber ich kann versuchen, in einem sicheren Teil des Hauses eine schöne Zeit mit meinen Kindern zu verbringen“, sagt Ustinowa.
Weihnachtsbeleuchtung hilft bei Stromausfall
Alles ist an diesem Weihnachten anders in der Ukraine. 20 Prozent des Landes sind von den russischen Truppen besetzt. Circa acht von knapp 44 Millionen Ukrainern sind vor den Bomben und Raketen in die EU-Nachbarländer geflohen. Millionen Familien sind voneinander getrennt. Väter kämpfen an den Fronten im Osten und Süden des Landes. Ihre Frauen sind zum Teil mit den Kindern nach Polen oder Deutschland geflohen. Für viele ukrainische Familien bleibt nur ein Videoanruf als Möglichkeit, sich einander nahe zu fühlen. Ohne Strom und Internet könnte selbst das schwierig werden.
Die Festtage wurden verschoben
Die Ukraine feiert in diesem Jahr auch zum ersten Mal offiziell am 25. Dezember Weihnachten. Das orthodoxe Weihnachten fällt nach dem julianischen Kalender eigentlich auf den 7. Januar.
Die Ukraine kappt mit der Verschiebung von Weihnachten eine weitere kulturelle Verbindung zu Russland. Sie orientiert sich einmal mehr an Europa. Bereits in den vergangenen Jahren wich der in der Sowjetzeit beliebte Väterchen Frost in der Ukraine dem Weihnachtsmann.
Die Weihnachtszeit ist lang
Die Weihnachtszeit begann auch schon in den vergangenen Jahren für viele Ukrainer zumindest gefühlt lange vor dem 7. Januar. Die orthodoxe Kirche und die in der Westukraine dominante griechisch-katholische Kirche folgten zwar dem russischen julianischen Kalender. Der Kommerz richtete sich aber nicht nach dem Kirchenjahr. Weihnachtsmärkte und Lichterschmuck fanden sich auf Straßen und Plätzen in Kiew zeitlich parallel zu den Sonderangeboten in den Geschäften von Ende Dezember bis weit in den Januar hinein.
Nun vollziehen die Kirchen aber offiziell den Bruch mit der russischen Tradition. Die 2018 aus zwei nationalen Kirchen entstandene Orthodoxe Kirche der Ukraine folgte im Kriegsjahr der griechisch-katholischen Kirche und ermöglichte die Verschiebung des Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember.
Nicht alle tragen die Verschiebung mit
Ein kleinerer Teil der Orthodoxie in der Ukraine tut sich dagegen schwer mit der Neuerung. Die Traditionalisten sammelten sich in der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche und blieben dem Moskauer Patriarchat auch nach der Kirchenspaltung 2018 treu. Sie vollzogen den Bruch mit Moskau erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Die kleinere der beiden orthodoxen Kirchen gilt immer noch als russlandnah und steht wegen ihrer Verbindungen zum Moskauer Patriarchat unter dem Druck der Behörden und der Öffentlichkeit.
Ein Priester der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche geißelte jüngst die Verschiebung des Weihnachtsfestes in einer Predigt als „Satanswerk“. Uliana Ustinowa zuckt mit den Schultern. „Ich bin ohnehin nicht besonders religiös. Für mich ist die Verschiebung kein Problem“, sagt sie. Im Gegenteil, sie unterstütze jede Distanzierung von der Russisch-Orthodoxen Kirche. Patriarch Kyrill I. gilt als einer der eifrigsten Unterstützer des russischen Angriffskrieges gegen das Nachbarland.
Charkiw feiert in den Metrostationen
Dmytro Lobanow arbeitet in der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw für eine Nichtregierungsorganisation. Die Verwaltung hat die Weihnachtsfestlichkeiten aus Sicherheitsgründen in seiner Stadt in diesem Kriegsjahr unter die Erde verlegt. Charkiw liegt nur rund 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Die Russen belagerten die Stadt bis zum Frühjahr. Seitdem schlagen fast täglich Raketen ein. Ganze Stadtteile liegen in Trümmern.
Der Weihnachtsbaum der Stadt blinkt und glitzert nun an der Metrostation Universität im Zentrum der Stadt statt oberirdisch auf dem Marktplatz von Charkiw. Andere U-Bahnhöfe der Stadt sind mit leuchtenden Rentieren und Christbaumkugeln geschmückt.
Der Weihnachtsmann kommt in die U-Bahnhöfe
Lubanows Organisation plant in Zusammenarbeit mit Unicef über die Festtage Veranstaltungen für Kinder. Der Weihnachtsmann soll dann in die Metrostationen hinabsteigen und den Kindern der Stadt Süßigkeiten vorbeibringen.
Die Helfer planen zu Neujahr auch eine Veranstaltung für Jugendliche. Lobanow macht sich Sorgen um die Heranwachsenden in der Ukraine. „Wir haben jetzt ein Jahr Krieg und zwei Jahre Pandemie hinter uns. Viele Jugendliche haben drei Jahre lang ihre Schule nicht von innen gesehen. Sie leben nur noch im Internet“, sagt der Helfer.
Jugendliche leiden unter Isolation
Er beobachte, wie schwer es Jugendlichen inzwischen falle, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren. „Sie haben vieles verlernt“, sagt Lobanow.
So kommen die Familien zusammen








