Natürlich, die Hitze. Noch ist nicht vollends geklärt, wie es im Grunewald im Sperrgebiet eines Sprengplatzes der Berliner Polizei zu einem tagelang währenden Großbrand mit apokalyptisch anmutendem Ausmaß kommen konnte. Schon möglich, dass die lange Trockenheit und die anhaltend hohen Temperaturen Auslöser eines explosiven Brandgeschehens waren, das verstörend tief in die Wahrnehmung des stadtnahen Waldgebietes eingreift. Der Grunewald war nach dem Zweiten Weltkrieg das einerseits elitäre, im Grunde aber durch und durch egalitäre Naherholungsgebiet im Westen Berlins, das an der Havel endete, bevor dann wieder alles zu Osten wurde.
Wenn hier ein Waldbrand tobt, dann wird nicht allein der Baumbestand vernichtet, sondern auch ein Stück Kulturlandschaft, das in der Zeit der deutschen Teilung zum Stabilitätsgefühl der West-Berliner beigetragen hat. Man schunkelte zum Lied von der Holzauktion und erinnerte sich amüsiert daran, dass Kaiser Wilhelm II. meinte, seinen Grunewald gegen den impressionistischen Maler Walter Leistikow und dessen künstlerische Modernität verteidigen zu müssen.
Das Feuer an der Avus ist aus dieser Perspektive kein singuläres Unglück, sondern Zeichen eines dramatischen Wandels: Klimakrise, Weltenbrand, Zeitenwende. Die Sorge, dass nichts mehr einfach gelöscht werden kann, ist dabei, sich auf die Seele zu legen. Und sogleich schließen sich weitere Krisen der Woche an: Taiwan, der Angriff auf ein Atomkraftwerk in der Ukraine, Wassermangel im Rhein.
Zerstörung als diabolischer Selbstzweck
Es scheint tatsächlich so, dass es zur lebenspraktischen Herausforderung geworden ist, den eigenen Gefühlshaushalt mit multiplen Katastrophen, Krisen und Kriegen abzugleichen. Man muss es nicht länger für die Lesart einer wüsten Verschwörung halten, dass Putin einen Krieg gegen die Ukraine angefangen, es aber eigentlich auf den Fortbestand der westlichen Ökonomie und deren demokratische Bündnisse abgesehen hat: eine mit militärischer Gewalt herbeigeführte Systemkrise, aus der nichts Eigenes hervorgehen soll. Keine Planwirtschaft mehr, kein Kommunismus. Zerstörung als diabolischer Selbstzweck oder Ergebnis einer schweren narzisstischen Kränkung. Der Grunewald scheint sich auf paradoxe Weise ins Gesamtbild zu fügen, weil hier mit mehr als 70 Jahren Verspätung die Munition eines vorangegangenen Krieges hochgegangen ist.
So naheliegend es sein mag, die verschiedenen Tagesereignisse gedanklich zu verbinden und affektiv über die sozialen Medien zu verbreiten, stellt sich doch die Frage nach einer gesellschaftlichen Selbstberuhigung, die über den therapeutischen Rat oder auch nur ein paar Tipps für gesunden Schlaf hinausgeht.
Als unterhaltsames, vielleicht sogar lehrreiches Beispiel mag eine Geschichte über Zwergkängurus dienen, die der Soziologe Niklas Luhmann in seinen Seminaren in den 80er-Jahren erzählt hat. An ihnen sollte sich schulen, wer von der modernen Gesellschaft etwas verstehen wollte. Ohne erkennbaren Anlass sei es bei den still vor sich hin grasenden Tieren ab und an zu großen Aufregungen und Prügeleien gekommen, die sich gefährlich steigerten, bis sich plötzlich wie auf Kommando alle Tiere in eine Reihe setzten und für eine Weile in dieselbe Richtung schauten. Daraufhin beruhigten sie sich und grasten wieder still vor sich hin.
Die Botschaft der Zwergkängurus
Luhmann war davon überaus hingerissen. Seine Erklärung: Offensichtlich beruhigen sich die Tiere durch eine Synchronisation ihrer Umweltwahrnehmung unter Ausschluss von Sozialwahrnehmung. Alle sehen dasselbe, ein Stück Wiese, ein paar Büsche. Und da alle nebeneinandersitzen, sehen sie sich nicht selbst. Sie schauen sich nicht an und haben deswegen auch keinen Grund mehr, sich aufzuregen.



