Kolumne

Verhaltensfrage: Darf ich die Berührungen meines Friseurs genießen?

Kraulen, Streicheln, Krabbeln. Was der Friseur mit seinen Kunden macht, übersteigt oft das, was sie sonst so an Liebkosungen erleben. Aber ist es so gemeint?

Der Scheitel sitzt, soll ich mich auch um die Ohren kümmern?
Der Scheitel sitzt, soll ich mich auch um die Ohren kümmern?imago/Sergiy Tryapitsyn

Dass der Friseurbesuch mehr als eine Hygienemaßnahme sein kann, wurde während der Lockdowns deutlich. Insbesondere ältere, allein lebende Personen vermissten nicht nur die Haarpflege und den ausbleibenden Tratsch, sondern auch die Berührungen. Um Letztere geht es hier. Was einem beim Friseur nämlich außer der Frisur gegönnt wird, fährt in tiefe Schichten unseres menschlichen oder sogar vormenschlichen Wesens.

Das Frisieren ist nichts anderes als die zivilisierte und regulierte Form der Fellpflege und des Lausens, wobei auch diese beiden Worte die utilitaristische Denkweise ihrer menschlichen Erfinder entlarven und den hygienischen Aspekt der bezeichneten Tätigkeiten in den Vordergrund stellen. Wenn Schimpansen einander das Fell durchflöhen, ist es ein Freundschafts- oder Liebesbeweis, mit dem soziale Bindungen gefestigt und gefeiert werden. Die gefundenen Parasiten selbst sind ein willkommener, aber nebensächlicher Snack.

Der Tierarzt, Abenteurer, Philosoph und Schriftsteller Charles Foster schreibt in seinem neuen Buch „Jagen, sammeln, sesshaft werden“ (Malik-Verlag): „In nicht-menschlichen Primatengemeinschaften werden Freundschaften hauptsächlich durch eine Körperpflege erhalten und gefestigt, die weit zeitaufwendiger ist, als es für die Hygiene notwendig wäre.“ Durch die Fingerspitzen im Fell würden die langsam leitenden C-Fasern in den Nervenzellen stimuliert und Opiate ausgeschüttet. Dies geschieht, ob absichtlich oder nicht, auch beim Friseur. „Im palästinensischen Arabisch“, so Foster weiter, „gibt es ein Wort, na’iman, mit dem häufig das spezielle Wohlgefühl beschrieben wird, das beim Haareschneiden erzeugt wird.“

Für jemanden, dem als Kind der väterliche Topfschnitt oder ein Igel verpasst wurde und der später als Versuchskaninchen seiner modebewussten und übrigens auch tratschfreudigen Schwester herhalten durfte, ist es nicht leicht, im fortgeschrittenen Erwachsenenalter zum ersten Mal für Haarpflegedienste Geld zu zahlen. Dabei geht es nicht um Geiz, sondern um die Abspaltung und Verdinglichung des sozialen Aspekts. Auf der geschäftlichen Ebene ist man Kunde und nimmt eine Dienstleistung in Anspruch, die es nun einmal nötig macht, dass man angefasst wird: am Kopf, am Ohr, an der Nase, im Nackenfell.

Es handelt sich dabei um professionelle Handgriffe, die sich allerdings wenig von solchen der Liebkosung wie etwa dem Streicheln, Kraulen, Killern, Stupsen, Piksen oder Kneifen unterscheiden. Dazu kommen Blicke und Komplimente, die sich selbstverständlich nur auf das Äußere des Kunden – und letztlich auf die Arbeit des Friseurs – beziehen. 

Wenn es heiß ist und so stickig unter der Matte, dass sich ein Friseurbesuch nicht mehr aufschieben lässt, besteht die Gefahr, dass das Geschäftsverhältnis gesprengt wird. Man schwitzt im schwül-dampfigen Salon wie ein Hähnchen im Ofenrohr. Der Zustand verstärkt sich, wenn man das feuchtwarme Handtuch vom Haarwaschen im Nacken hat, den wasserdichten Friseurumhang übergeworfen bekommt. Die abgeschnittenen Haare bleiben dann überall kleben, wandern mit den Schweißbächen den Hals hinunter und verursachen einen vorauseilenden Juckreiz an dunklen und intimen Körperstellen.

Glühend vor Hitze und Scham ist man dabei der menschlichen Kulanz und dem diskreten Wohlmeinen des Dienstleisters ausgeliefert, unter dessen Händen man missverständlich dahinschmilzt. Es trieft, es juckt, es glitscht, die Berührungen schmatzen, der Atem wird flacher. Bewahren Sie Contenance, sonst könnte man meinen, Sie erschlichen sich Dienstleistungen, die man an anderer Stelle bei anderen Profis bucht.