Noch ein paar Gedanken zu der Frage, wie man sich fremden Kindern gegenüber verhält. Trösten und bewundern darf man sie laut den letzten beiden Verhaltensfragen, aber darf man sie auch kritisieren? Also wenn sie angefangen haben, ihrerseits unangebrachtes Verhalten an den Tag zu legen? Könnte einem ja egal sein und in aller Gelassenheit den dafür zuständigen Eltern überlassen bleiben. Aber wo sind die dann immer? Zumal wenn das Missverhalten der Kleinen unser Wohlbefinden beeinträchtigt. Darf man überhaupt noch schimpfen? Also meckern?
Früher, als die Kinder auf dem Hof ihren Nachmittag verbrachten und ohne elterliche Aufsicht taten, was man so tut als Kind – brüllen, lachen, heulen, Bäckertüten und Frösche zerplatzen lassen, Fensterscheiben mit Fußbällen in Scherben legen, selbst gebastelte Böller oder im Gebüsch gefundene Kalaschnikows abfeuern, anderweitige Explosionen herbeiführen, Kirchen- und Schiffsglocken läuten – konnte es schon mal sein, dass ein eben eingeschlafener Schichtarbeiter „Ruhe da unten!“ aus dem Fenster brüllte, oder eine Oma übers Fensterbrettkissen „Ick mach glei mit!“ keifte. Ja, früher konnte es vorkommen, dass sich dann der Geräuschpegel für einen Moment lang senkte. Und wenn ein Kind dann mit dem Blick auf die Regularien des Sorgerechts juristisch nicht ganz unbegründet mit „Sie ham mir janüscht zu sagen“ Paroli bot, fing es sich ein ums andere Mal eine Schelle oder eine Kopfnuss.
Das war auch damals schon verurteilenswürdig und hinsichtlich des eigentlichen Maßregelungszwecks nicht ganz zielführend, weil das Kind dann natürlich vor Schmerz und Empörung aufjaulte. Anhaltend, auf- und abschwellend, fußnägelaufrollend, hirnfurchendurchharkend, zahnschmelzlösend.
Das ist zum Glück heute alles vorbei. Aber auch wenn die körperliche Züchtigung inzwischen verboten ist, emittieren Kinder in unserer schönen zivilisierten Welt mitunter Geräusche, die von allen, außer vielleicht den Eltern, als Lärm eingestuft werden. Lärm, der kaum weniger laut erscheint als der oben beschriebene.
Nein, meckern oder schimpfen darf man nicht mehr, denn wer auf diese Weise sein Missfallen bekundet, zeigt, dass er einen feuchten Keks auf die Kraft des hellen Arguments und seine pädagogische Verantwortung als erwachsenes Mitglied der Gesellschaft gibt. So einer schwächt seine Position. Mit Kindern wird zwar auch heute nicht auf Augenhöhe kommuniziert, das wäre unfair, aber doch in voller Anerkennung der gleichwertigen Würde des kleineren Gegenübers.
Man kann es, in einem Luftholmoment, mal mit einer neutralen Feststellung versuchen: „Das war aber ganz schön laut“, zum Beispiel. Es kann natürlich sein, dass das herumschreiende Kind durch diese Äußerung, die bei ihm als Wertung seines Wesens angekommen sein mag, verletzt und beschämt fühlt – und seinen Anwalt oder den Gleichstellungsbeauftragten konsultiert.
Versuchen Sie, Ihre Nerven zu behalten, dem Konflikt auszuweichen und einen Rechtsstreit zu vermeiden. Auch Sie dürfen theoretisch Ihre Meinung frei äußern, und es stimmt schon, dass ein Recht auf Lautsein in allen Lebenslagen, auch in Restaurants oder Ruheabteilen, möglicherweise nicht wortwörtlich in den UN-Kinderrechtskonventionen verbrieft ist. Aber pochen Sie lieber nicht darauf. Die Kleinen und ihre Anwälte können sich implizit auf die UN-Kinderrechtskonvention berufen, etwa auf Artikel 12 (Berücksichtigung des Kinderwillens) oder Artikel 13 und 14 (Meinungs-, Informations-, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit).




