In der kurz vor Beginn der WM in Katar ausgestrahlten ARD-Serie „Das Netz“, die erzählerisch mit weiteren international produzierten Serien verbunden ist, wird der Fußballsport als undurchdringliches System aus Turbokapitalismus, organisiertem Verbrechen und den Aufstiegsträumen junger Talente von allen Kontinenten dargestellt. In der deutschen Ausgabe spielt Birgit Minichmayr eine Anwältin, die alles daran setzt, die Hintergründe des gewaltsamen Todes ihres Freundes aufzudecken, der sich als Spielervermittler unrettbar in das Geflecht aus Geltungssucht, Gier und Gewalt verstrickt hatte.
Eine zentrale Figur der Serie ist der Chef einer der Fifa nachempfundenen Fußball-Weltorganisation (WFA), der sowohl Drahtzieher wie Opfer eines gefräßigen Systems ist, in dem viele Akteure ihre eigenen Durchsetzungsstrategien verfolgen. Ein Krimi eben, der, nach allem, was man weiß und ahnt, ziemlich nah entlang einer von Korruption durchdrungenen Wirklichkeit des Fußballs navigiert.
Zur Geschichte von „Das Netz“ gehört nicht zuletzt eine Argumentationsfigur, die vordergründig als schnöde Rechtfertigung der Fußballbosse zu durchschauen ist. Zur WM in Katar hat sie eine Dimension angenommen, die weit über den Sport hinausweist.
Aus dieser Perspektive erscheint die Weltorganisation WFA als eine supranationale Organisation, die den Bedürfnissen der in ihr versammelten Verbände nach gleichen Chancen gerecht zu werden versucht. Die Dominanz der Europäer ist vorbei, afrikanische Staaten mischen genauso mit wie asiatische. Fußball also als Metapher für eine Weltgesellschaft, in der historisch und geopolitisch gewachsene Verbindungen ihre Bedeutung verloren haben und neu sortiert werden müssen. Im modernen Fußball, so die Illusion, schlummert eine Art nachholende Gerechtigkeit.
Wer die Party bezahlt, bestimmt die Regeln
In Katar aber wird etwas anderes gespielt. Hinter dem bekannten Spiel aus Gewinnen und Verlieren wird ein Anspruch auf Weltgeltung sichtbar, die bleiben soll, wenn die Fußball-Touristen wieder ausgescheckt haben. Der Fifa-Chef Gianni Infantino unterscheidet sich von seinem Alter Ego Jean Leco aus der Krimi-Serie durch eine zur Karikatur geronnene Selbstherrlichkeit, die sich im Glanz einer alternativen Moral sonnt. Indem er insbesondere die Europäer beschuldigt, unglaubwürdigen Leitideen zu folgen, liegt er trotz aller Exzentrik nicht ganz falsch, denn die inflationär in Umlauf gebrachten Verweise auf höhere Werte war in einer von Interessen geleiteten Politik seit jeher eine zweischneidige Klinge, an der man sich schnell verletzen konnte.
Deutlicher als jemals zuvor ist durch den Streit um die Farbenlehre von Armbinden sichtbar geworden, dass es nicht länger um die Geltung universeller Prinzipien geht, sondern um einen Verdrängungswettbewerb konkurrierender Werte.
Die Haltung der Fifa ist dabei von unerschütterlicher Einfachheit. Wer die Party bezahlt hat, bestimmt die Regeln. Das gilt für den Bierkonsum im Fanbereich ebenso wie für das Zeigen von Symbolen. Im Preis enthalten ist das Recht des Veranstalters, Diversität und sexuelle Selbstbestimmung den gesellschaftlichen und religiösen Regeln zu unterwerfen. Bei einer anderen WM an einem anderen Ort kommen womöglich andere Prinzipien zum Zuge. So oder ähnlich funktionieren die Gesetze der Fifa-Liberalität, in der der Fußball zum Sportgerät identitätspolitischer Überzeugungen geworden ist.
Die Aussicht auf eine Reformierbarkeit der Fifa ist gering. Wer nicht mehr mitspielen möchte, wird austreten müssen. Also: Nur Mut, DFB.
Interessen müssen klarer definiert werden
So einfach ist die Politik internationaler Beziehungen leider nicht. Ein Austritt aus der Weltinnenpolitik ist nicht vorgesehen, und so werden die Deutschen, insbesondere die Grünen, es aushalten müssen, dass die devote Geste ihres Wirtschaftsministers vor dem Emir von Katar in einem nicht auflösbaren Widerspruch steht zur Ankündigungsethik seiner Kollegin aus dem Auswärtigen Amt.




