Man kann sich an die Wonnen des Sommers, als dieser noch nicht so drückend heiß war, mit Monsieur Hulot erinnern, der Figur des französischen Komikers Jacques Tati.
Ausgestattet mit Sonnenschirm, Liegestuhl und Tennisschläger begab er sich an den Strand und erlebte das Bedürfnis, die freie Zeit und das gute Wetter zu genießen, als unbeherrschbares Fiasko. Es handelte sich natürlich um eine Parodie auf den ambitionierten Kleinbürger, der dem demonstrativen Konsum auch in der Freizeitgestaltung zu frönen gewillt war – und krachend am provisorischen Möbel scheiterte.
Durch die jüngsten Krawalle in Berliner Schwimmbädern scheint die biedere Welt einfacher Sommerfreuden erneut empfindlich gestört worden zu sein. Diesmal durch plötzlich kulminierende Zusammenrottungen und Massenschlägereien. Das Freibad als gesellschaftliche Konfliktzone – wie konnte es bloß dazu kommen?
Wenn es scheppert, kracht und splittert
Zur Erklärung des Phänomens ließe sich daran erinnern, wie die eingangs erwähnten Liegestühle 1964 und 1965 in den südenglischen Badeorten Margate, Southend und Brighton zu Wurfgeschossen umfunktioniert und anschließend zu Trümmerbergen aufgehäuft wurden. Tagelang waren rivalisierende Jugendgruppen, die als Rocker und Mods bezeichnet wurden, aufeinander losgegangen. War die Fragilität des Gestühls allenfalls illustrer Nebenaspekt der sich wuchtig entladenden Krawalle, so lässt sich Zerbrechlichkeit mühelos als stets wiederkehrender Zielpunkt gewaltsamer Konflikte betrachten. Sind die meist männlichen Körper erst einmal in Wallungen versetzt, geht es den Enthemmten nicht zuletzt darum, dass es scheppert, kracht und splittert.
Es ist daher kein Zufall, dass sommerliche Orte wie Strände und Bäder zu Schauplätzen temporärer Gewaltexzesse werden. Das Bersten der Gerätschaften korrespondiert auf verstörende Weise mit der jahreszeitlich bedingten Bereitschaft, die eigene Haut zu entblößen und das Spiel des Windes als Freiheit, mindestens aber als Freiraum zu genießen. Wenn das hitzige Sommergefühl kompositorisch ein wenig bearbeitet wird, kann es dabei zu Verschmelzungsfantasien kommen. „I Am The Sea“ lautet das Eröffnungsstück der Rock-Oper „Quadrophenia“ der britischen Rockband The Who, die von jugendlichen Identitätsfindungsprozessen im Kontext der britischen Bäderkrawalle handelt. „Here by the sea and sand“, singt Roger Daltrey in einem Stück des Konzeptalbums von 1973, „nothing ever goes as planned“. In der Rockmusik ging es seit jeher um die Bearbeitung des kulturellen Ausnahmezustands.
Die Adoleszenz wird dabei nicht nur als Phase des individuellen Aufruhrs beschrieben. Als Stadium der Sozialisation ist sie seit jeher eine Triebkraft zur Austragung gesellschaftlicher Konflikte. Das Idyll mit Surfbrett und jugendlichem Imponiergehabe war stets trügerisch. In den südenglischen Badeorten hatte sich der nationale Stolz, den deutschen Faschismus besiegt zu haben, zu Beginn der 60er-Jahre zunehmend verflüchtigt. In Gestalt von Rockern und Mods prallten in modischer Erscheinung Klassenkonflikte aufeinander, deren Akteure sich zu selbstbewussten Milieus formiert hatten. Die Motorroller der Mods waren derart mit Spiegeln und Scheinwerfern übersät, als sei es darum gegangen, auf dem Weg in die Zukunft eine besondere Leuchtkraft unter Beweis zu stellen.
Angst und Schrecken an der Rutsche
Die Strahler der Mods, die als modisch-jugendbewegte Kohorte längst wieder verschwunden sind, können so gesehen dabei helfen, die akuten Bäderkonflikte zu erhellen. Unschwer lassen sich die jüngsten Vorkommnisse als Ausdruck einer rebellisch-migrantischen Stadtkultur beschreiben, in der die entsprechenden Milieus wie bei den Riots in der Berliner Silvesternacht nach einem Kristallisationspunkt ihrer Anwesenheit suchen. Aus Wortgefecht und Handgemenge am Bäderrand werden schnell Demonstrationen sozialer Präsenz und Stärke, für die es keines feinfühligen Witterungsvermögens bedarf, um herauszufinden, dass ein Schwimmbad ein besonders verletzlicher öffentlicher Raum ist.
In diese Fragilität gilt es hineinzustoßen mit Dominanz- und Machtbeweisen. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, und zumindest für den Moment geht es darum, an der Rutsche Angst und Schrecken zu verbreiten. Das staatliche Gewaltmonopol wird durch die Bäderkabale nicht gefährdet, ganz unzweifelhaft aber herausgefordert. Gegen den gesellschaftlichen Wandel, der sich beispielsweise in der stärkeren Sichtbarkeit von Transsexualität manifestiert, wird in den Freibadexzessen ein traditionelles Männerbild in Stellung gebracht, mit dem auf die Gewalt des Augenblicks gepocht wird.
Bereits im vergangenen Sommer hatte die Neuköllner Integrationsbeauftragte Güner Balci ihr Unbehagen darüber artikuliert, dass im Columbiabad, in dem sie glückliche Sommer ihrer Kindheit verbracht habe, nun die Machos eine Art Platzhoheit beanspruchten. Als Ausdruck paradoxer Hilflosigkeit kann man dazu die Stellungnahme von Vertretern der Polizeigewerkschaft lesen, die den Vorschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach größerer Polizeipräsenz mit den Worten zurückwiesen, Polizisten seien keine Bademeister. Dass der sich wiederholende Kontrollverlust mit Zuständigkeitsgerangel beantwortet wird, dürfte von den Beteiligten als zusätzlicher Triumph im Getümmel wahrgenommen werden.
Das vorläufige Ende der Liberalisierung
Dabei war gerade das nur wenige Kilometer vom Columbiabad entfernte Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg einmal weithin als Ort eines bemerkenswerten Zivilisationsprozesses wahrgenommen worden. In den frühen 80er-Jahren hatte sich dort in den hinteren Bereichen der Liegewiese eine Freikörperkultur etabliert, die völlig ohne behördliche Regulierung auskam. Wer Anstoß nahm, blieb jenseits einer unsichtbaren Grenze, und für nicht wenige Jugendliche mit religiös-traditioneller Familienprägung dürften die Sommer im Prinzenbad ein wichtiger Bestandteil einer Art informellen Sexualerziehung gewesen sein.
Für den Berliner Schriftsteller und Soziologen Michael Rutschky, der dort nach einem erlittenen Herzinfarkt zur besseren Gesundung täglich seine Bahnen zog, war das Prinzenbad der Schauplatz einer gesellschaftlichen Sittenlockerung, die sich nach einer Zeit, in der die Elterngeneration das Schwimmbad als Ort des permanenten sexuellen Übergriffes verdächtigten, ganz beiläufig vollzog.






