Kommentar

Schlägereien nach Kalender: An die Freibad-Gewalt dürfen wir uns nicht gewöhnen

Wundern kann sich über die aktuellen Schwimmbad-Schlägereien in Berlin niemand mehr. Dass sie aber dennoch stattfinden, sollte uns schockieren und zum Handeln treiben. Ein Kommentar.

Polizisten stehen vor dem Eingang des Sommerbads in Berlin-Neukölln.
Polizisten stehen vor dem Eingang des Sommerbads in Berlin-Neukölln.Carioline Bock/dpa

Als in Frankreich vor wenigen Wochen die Vorstädte brannten und mehrere Tage und Nächte lang Hunderte Menschen erst demonstrierten, dann Schaufenster zerstörten und viele festgenommen wurden, da dauerte es zwei bis drei Tage, bis viele europäische Medien wirklich die ganze Geschichte berichteten. Die Geschichte vom 17-Jährigen, der von einem Polizisten erschossen wird, erschließt sich aber erst dann als Grund für die Ausschreitungen, wenn man die Ethnie des toten Jungen erwähnt. Seine Familie stammt ursprünglich aus Algerien.

Auf den ersten Blick haben die Schlägereien in den Berliner Schwimmbädern der vergangenen Tage nichts mit diesen Ausschreitungen zu tun. Doch in beiden Fällen scheuen Medien sich, den Migrationshintergrund klar zu benennen. Vielleicht weil die Gedankenverbindungen nicht zu sehr automatisiert werden sollten. Wer bei Google „Freibäder“ und „Schlägereien“ eingibt, dem schlägt Google als drittes Wort „Ausländer“ vor.

Das Benennen könnte aber helfen, sich dem Thema zu nähern und endlich eines Problems Herr zu werden, das pünktlich wie die Jahreszeiten über Berlin hereinbricht. Kaum steigen die Temperaturen am Wochenende auf 30 Grad, sagen Redakteure dieser Zeitung Schlägereien voraus. Und richtig, am vergangenen Wochenende musste ein junger Mann ins Krankenhaus, weil er offenbar ein Mädchen angesprochen hatte. Am Montag war dann klar, das Columbiabad wird sobald nicht wieder aufmachen. Die Mitarbeiter weigern sich schlicht, unter diesen Bedingungen weiterzuarbeiten.

Nun ist Ärger im Schwimmbad nichts, was Problembezirke mit einer großen kulturellen Durchmischung für sich gepachtet haben. Heranwachsende Menschen messen sich sportlich, sie tragen dabei wenig Kleidung, die Hitze, der Alkohol und vielleicht auch die Anstrengungen der vergangenen Jahre mit Corona und einer Wirtschaftskrise wirken sich sicherlich zusätzlich auf die Stimmung aus. Aus Worten werden dann bald Schlägereien.

Der Druck wird höher – auch auf die Mitarbeiter

Dass es bei Worten bleibt, dafür sollen Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten, Awareness-Teams und die Mitarbeiter im Schwimmbad sorgen. Doch der Fachkräftemangel betrifft längst auch diese Branche, und so bleiben viele Schichten unbesetzt, was wiederum den Druck auf die Mitarbeiter erhöht, was wiederum einer Deeskalation sicherlich ebenfalls entgegenwirkt.

Im Sommer die Schwimmbad-Schläger, im Winter die Böller-Schießer, wird das jetzt der neue Kalender, der das Sicherheitsgefühl der Berliner bestimmen soll? Schon jetzt hört man immer häufiger von Menschen, dass sie schon seit Jahren nicht mehr ins Schwimmbad gehen – ihnen ist es dort schlicht nicht sicher genug. Und richtig, wer genau hinschaut, kann am Wochenende sehen, wie Menschen einander anschreien, wie sie mit Anlauf ins Becken springen und sich nicht an Regeln halten. Andere klettern über den Zaun und umgehen somit nicht nur das Eintrittsgeld, sondern sicherlich auch ein Hausverbot. Das nämlich, so mussten die Bäderbetriebe einräumen, wird ebenfalls fast nie durchgesetzt.

Doch weil diese kleinen Übertretungen nicht geahndet werden, kann es wahrscheinlich erst zu den großen Gewaltausbrüchen kommen. Denn manche Jugendliche – egal, woher sie kommen – müssen eben mit etwas mehr Nachdruck daran erinnert werden, sich an die Regeln zu halten. Und wenn sie dann immer noch keine Einsicht zeigen, dann sollte ihnen mindestens einen Sommer lang Gelegenheit zum Nachdenken geboten werden, außerhalb des Schwimmbads.

Auf die Erfahrung der Mitarbeiter kann man aber bauen, und im Brandbrief aus dem Columbiabad stehen im Grunde viele Arbeitsanweisungen für die Berliner Politik zwischen den Zeilen: Der Personalschlüssel muss sich verändern, die Zahl der Sicherheitsbeamten und Polizisten muss erhöht werden, und die Platzverweise müssen durchsetzbar sein. Das bedeutet wohl auch, dass gutgemeinte Anti-Gewalt-Programme wie „Cool am Pool“ gründlich überdacht werden müssen. Sie sollten nur dann weitergeführt werden, wenn sie zeitgemäß sind. Der Name war es übrigens nie, es klang immer wie ein Ü50er, der Jugendsprache sprechen möchte.

Die zwangsläufige Konsequenz macht uns das Columbiabad vor: Das Bad bleibt zu. Für alle. Damit ist zwar niemandem geholfen, aber es ist vielleicht die beste Lösung, bevor es wieder zu Schlägereien kommt. Das Schwimmbad kann nur ein Spiegel der Gesellschaft sein, heißt es oft. Das, was in diesem Spiegel derzeit zu sehen ist, kann niemandem gefallen. Der Bürgermeister dieser Stadt hat den Bürgern mehr Sicherheit versprochen, schon innerhalb der ersten 100 Tage wird ihm hier klargemacht, dass er auch liefern muss. Dieser Satz aus dem Brandbrief geht auch in seine Richtung: „Es wurde nur geredet und nichts ist passiert.“