Kommentar zum Ukraine-Krieg II

Frieden schaffen ohne Waffen – das ist nicht aus der Zeit gefallen

„Lumpenpazifismus“, „Vulgärpazifismus“: Wir sollten uns nicht dem kriegerisch toxischen Freund-Feind-Bild unterwerfen, sondern eigene Fehler reflektieren.

Wie viele Städte, wie hier das ukrainische Charkiw nach einem russischen Bombenanschlag, sollen noch in Schutt und Asche gelegt werden?
Wie viele Städte, wie hier das ukrainische Charkiw nach einem russischen Bombenanschlag, sollen noch in Schutt und Asche gelegt werden?AP

Ich bin froh, nicht Olaf Scholz zu sein. Grundsätzlich sowieso, erst recht aber aktuell. Als hauptamtlicher Entscheidungsträger mit verantwortlich zu sein für die überlebensgroße Frage, an der Eskalationsspirale zu einem möglichen dritten Weltkrieg mitzudrehen, an dessen Ende, wie wir schon in der Schule gelernt haben, ein atomarer Vernichtungsschlag stehen könnte, den wir alle nicht überleben würden – das ist nicht gerade beneidenswert. Und macht wohl auch wenig Spaß.

Umso größer meine Verwunderung darüber, wie massiv schon seit Beginn des Krieges in der Ukraine sich die Stimmen mehren, die den deutschen Bundeskanzler, noch relativ frisch im Amt, mit einer ungeahnten Kriegslust vor sich hertreiben und unter Druck setzen, um unter allen Umständen der Ukraine gegen den Feind zu helfen, mit so schwerem Kriegsgerät und so viel Geld wie möglich und am liebsten auch noch unter Beteiligung der Nato. Das scheint zumindest in Social Media einer erstaunlich großen Menge an Menschen großen Spaß zu machen.

Unter diesem Eindruck habe ich auch das zu Recht als herablassend kritisierte „Jungs und Mädels“ verstanden, mit dem Olaf Scholz seine Kritiker in die Schranken zu weisen versuchte als diejenigen, die nun mal gerade nicht an den Schalthebeln der Macht sitzen. Er ist es, der aktuell die Entscheidungen zu treffen hat, die Deutschen haben ihn genau dafür gewählt. Und er machte in meinen Augen diesen Job bislang zumindest in Bezug auf das Kriegsgeschehen erstaunlich gut. Ich hätte ihm das gar nicht zugetraut.

Wie viele Städte sollen noch zerbombt werden, wie viele Leben zerstört?

Er lässt sich nämlich nicht von einem ukrainischen Botschafter vorführen, der die Grenzen der Höflichkeit und Diplomatie längst überschritten hat, er lässt sich nicht vom innenpolitischen Gegner provozieren, sondern er lieferte exakt das, wofür die Deutschen ihn gewählt haben: Merkel’sche Bedachtsamkeit und stoische Ruhe inmitten schlimmster Krisenzeiten. Bisher zumindest.

Das ist nicht immer die richtige Wahl. Ich selbst hätte in 16 Jahren Merkel mindestens 15 Jahre lang regelmäßig ausflippen können, wenn ich mir die sozialen Auswirkungen dieser sedierten Hinterzimmerpolitik anschaute. Wie richtig oder falsch ein Regierungschef in einer Krise tatsächlich gehandelt hat, das lässt sich meist erst Jahrzehnte später in den Geschichtsbüchern nachlesen, in der Rückschau, wenn alle erforderlichen Informationen auch wirklich zur Verfügung stehen. Doch im Moment der akuten Gefahr, da bin ich gerade froh, dass wir einen Kanzler haben, der bislang mit Bedacht vorging.

Völlig unverständlich dagegen erscheint mir das Kriegsgebrüll in unserem Land. Natürlich will man der Ukraine helfen, natürlich sind die Bilder aus dem nicht weit entfernten Kriegsgebiet unerträglich, natürlich ist Putin ein Irrer, der so schnell wie möglich gestoppt werden muss. Nur, warum fällt Letzteres erst jetzt auf? Bis zum 24. Februar 2022, dem Kriegsbeginn in der Ukraine, war er bei den Deutschen noch gern gesehener Geschäftspartner – trotz seines wohlbekannten Umgangs mit Kritikern im eigenen Land und weiterer Verbrechen, deren Aufzählungen ganze Bücher füllen.

Und ja, natürlich lebt Putin auch von dieser Angst, dass er die Macht hat, uns alle zu vernichten, wenn wir uns gegen ihn stellen. Aber wie lange wollen wir uns noch in derart toxischen Machtstrukturen bewegen, sie fördern und am Leben erhalten, durch Geschäfte wie Kriege? Frieden schaffen ohne Waffen, dieses Ziel ist für mich nicht aus der Zeit gefallen. Es ist nur viel zu lange ausgehöhlt worden, bis davon nur noch eine zaghafte Idee übrig ist. Die dazu passende Kultur, die müssen wir uns nun wieder mühsam erarbeiten. Das macht auch nicht immer Spaß und es geht garantiert nicht so schnell, wie man mit Waffen mal eben einen Krieg befeuert, dessen Ende niemand kennen kann. Aber aus meiner Sicht gibt es keinen vernünftigeren Weg als diesen.

Kriegsrhetorik scheint vielen Spaß zu machen

Es gibt zu jedem Zeitpunkt VOR Zündung eines atomaren Sprengkopfes immer noch die Mittel der Diplomatie. Nur muss man diese auch wollen und anwenden.

Bis dahin wäre es schön, Olaf Scholz nicht so sehr unter Druck zu sehen, dass er kaum noch weiß, wo oben und unten ist, rechts oder links. Und wenn die eine Hälfte der Deutschen, die für unbedingte Waffenlieferungen und auch Kriegseintritt plädiert, die friedliebendere Hälfte der Deutschen nicht ganz so aggressiv niederbrüllen würde bei jeder Meinungsäußerung, denn auch das ist toxische Kriegsrhetorik.