Beginnen wir mit einem Generalvorbehalt: Waffen sind niemals unschuldig. Waffen bringen früher oder später immer den Tod und mehr Waffen bedeuten entsprechend: mehr Tod. Das gilt für alle Waffen, große und kleine, leichte und schwere. Deswegen beruhigt uns auch nicht die Überlegung, dass doch nur der Mensch den Abzug betätige und also er allein die Verantwortung für Mord und Totschlag trage, während die Waffe selbst bloß ein Werkzeug seines Willens sei. Schließlich wissen wir: Die Verfügbarkeit oder Zugänglichkeit von Waffen schafft Gelegenheiten, die der nur selten im Vollbesitz seiner hohen Moral befindliche Mensch allzu häufig und gern nutzt. „Shoot first and ask questions later“ – das ist keine Glaubenssache, sondern Statistik, wie sich am Beispiel der hohen Mordraten in den waffenvernarrten USA jederzeit belegen lässt.
Unser Appeasement bewahrt uns nicht vor dem Schlimmsten
Doch leider hilft uns diese Gewissheit nicht bei der zurzeit drängenden Frage, ob wir Waffen in die Ukraine liefern sollen oder nicht. Ebenso wenig hilft uns die Angst vor dem Krieg, eine Angst, die übrigens vollkommen legitim wäre, wenn man sie nicht unentwegt als Pazifismus deklarieren wollte. Und auch den können wir uns sparen. Der Grund: Noch unsere größte Zurückhaltung, unser feigstes Appeasement würde Deutschland nicht davor bewahren, zu einem Angriffsziel der Russen zu werden; wir sind längst ein solches Ziel, weil wir als demokratisch gefestigtes und zugleich ökonomisch mächtigstes Land das größte Hindernis für den russischen Präsidenten darstellen, Europa zu spalten. Denn nur so könnte Wladimir Putin sein eigentliches Ziel erreichen, nämlich eine quasi-sowjetische Dominanz des eurasischen Kontinents wiederherzustellen.
Die Sache ist also ganz ohne unser Zutun entschieden: Das ist die eigentlich beunruhigende, neue Gewissheit. Klar ist aber auch: In der Ukraine wird für die Freiheit Europas gekämpft – dass sie diesen Krieg gewinnt und nicht etwa Russland, liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse Deutschlands. Deshalb käme es einem politischen Offenbarungseid gleich, die Ukraine zur Kapitulation aufzufordern – in der irrigen Annahme, damit unsere alten Gewissheiten oder unseren alten Lebensstil zu retten. Zynisch wäre es überdies, die Ukraine nur mit leichten Waffen zu versorgen, weil dies ihre Niederlage hinauszögern und ihr Leiden verlängern, aber nicht stoppen würde. Einmal abgesehen davon, dass ein russischer Diktatfrieden das Leiden dann ohnehin unendlich verlängerte. Also sind schwere Waffen eine Option. Sie schaffen Distanz und Schutzkorridore gegen den Angreifer.
Das ist eine schreckliche, allerdings derzeit gebotene Entscheidung für das kleinere Übel. Ein Krieg, ein Waffengang lässt niemanden unbeschädigt oder unschuldig. Diese Zumutung bleibt uns nicht erspart. Dazu gehört auch die Möglichkeit, dass eine aufgerüstete Ukraine der russischen Übermacht empfindliche Niederlagen bereitete und sie zu noch größerer Gewalt provozierte, einer Ausweitung der Kampfzone auf ganz Europa oder gar einem Einsatz von Atomwaffen. Eine Tatsache ist zumindest, dass je schlechter der Krieg für die Russen läuft, sie umso häufiger und heftiger mit dem Einsatz nuklearer Vernichtung drohen. Das ist Angstpolitik: Sie verfolgt vor allem den Zweck, uns in der falschen Sicherheit zu wiegen, unser Wohlverhalten bewahrte uns vor dem Schlimmsten. Tatsächlich aber begäben wir uns damit vollkommen in Putins Hand.







