Prozess

Berlin: Ukrainerin im Streit um „ein wenig Geld“ erstochen – Ehemann gesteht

Sie flüchteten gemeinsam vor dem russischen Angriffskrieg. Zur Tatzeit will der Angeklagte in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft einen Blackout gehabt haben. 

Der 51-jährige Angeklagte versteckt sein Gesicht hinter einer Aktentasche. 
Der 51-jährige Angeklagte versteckt sein Gesicht hinter einer Aktentasche. Pressefoto Wagner

„Ich habe nie gewollt, dass meine Ehefrau stirbt. Sie war meine Jugendliebe.“ Diese Worte stehen im Geständnis von Edisher J. Als Ehssan Khazaeli, der Verteidiger des 51-Jährigen, sie am Dienstag verliest, bricht Edisher J. in Tränen aus. Er wird nicht aufhören zu weinen, bis sein Anwalt die acht Seiten lange Einlassung verlesen hat.

Edisher J. hat sich nach eigener Aussage in seinem bisherigen Leben nie etwas zuschulden kommen lassen. Nun aber sitzt er auf der Anklagebank einer Schwurgerichtskammer. Der Staatsanwalt wirft ihm Totschlag vor.

Edisher J. lebte mit seiner Ehefrau und den beiden Töchtern, 17 und sechs Jahre alt, nach der Flucht aus der Ukraine in einer Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen in Alt-Hohenschönhausen. Am Vormittag des 1. Oktober vorigen Jahres soll es dort zwischen den Eheleuten zunächst zu einem verbalen Streit um das gemeinsame Haushaltsgeld gekommen sein.

Unter den Augen der Töchter habe Edisher J. seine Ehefrau angegriffen, sie auf sein Bett gestoßen und mit einer Hand am Hals gepackt, heißt es in der Anklage. Anschließend soll er ein Messer aus der Küche geholt und es der 44-jährigen Olena J. in die Herzgegend gerammt haben, „um sie zu töten“, so der Staatsanwalt.

Olena J. habe massive Verletzungen eines Herzbeutels, der Aorta sowie beider Lungenflügel erlitten. Sie verblutete noch am Tatort. Edisher J. wurde noch in der Unterkunft festgenommen. Während er im Ermittlungsverfahren schwieg und sich auch nicht von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachten ließ, legt er vor Gericht ein Geständnis ab. Er stehe zu dem von ihm begangenen Unrecht, heißt es in der Erklärung. Daraus geht auch hervor, wie eine offenbar einst glückliche Familie nach der Flucht zerbrach.

Ich habe nicht irgendeinen Menschen getötet, sondern die Mutter zweier Kinder, die Mutter meiner eigenen Tochter, meine Jugendliebe, mit der ich über acht Jahre glücklich verheiratet war.

Angeklagter Edisher J.

1992 hatte der Georgier Edisher J. seine beiden Brüder besucht, die in der ukrainischen Stadt Charkiw studierten. Dabei lernte er die Ukrainerin Olena kennen. Sieben Monate waren sie ein Paar. Dann starb der Onkel des Angeklagten. Edisher J. und seine Brüder kehrten für die Beerdigung nach Georgien zurück. Dann durften wehrpflichtige Männer „wegen der sich verschärfenden Lage in den ehemaligen Sowjetrepubliken“ nicht mehr ausreisen, heißt es in der Erklärung. Der Kontakt zu seiner Freundin in der Ukraine brach ab.

Als Lkw-Fahrer gutes Geld verdient

Olena heiratete einen anderen Mann, sie bekam eine Tochter, ließ sich scheiden und suchte schließlich auf Facebook nach Edisher. So kamen sie wieder zusammen, heirateten, im Mai 2016 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Die Familie lebte in einer Einzimmerwohnung in Charkiw, hatte nach Angaben des Angeklagten ein gutes Leben. Edisher J. verdiente als Lkw-Fahrer gutes Geld.

Als sein Vater und der beste Freund des Angeklagten in Georgien starben, fuhr Edisher J. in seine Heimat, auch um das Erbe zu regeln. Dann griff Russland die Ukraine an, die Grenzen wurden geschlossen. Als russische Soldaten auf Charkiw vorrückten, flohen Olena J. und ihre beiden Kinder. Im Juli 2022 traf sich das Ehepaar in Polen wieder, von dort reiste die Familie weiter nach Berlin. Drei Monate später war Olena J. tot.

Wie es dazu kam, erklärt der Angeklagte so: Seine Frau sei in Berlin wie ausgewechselt gewesen. Die Leistungen vom Jobcenter gingen auf ihr Konto. Er, der Georgier, hatte kein Konto und kein Geld. Arbeit bekam er ohne Deutschkenntnisse auch nicht, berichtet der Angeklagte. Jedes Mal, wenn er sich etwas kaufen wollte, habe er seine Frau fragen, sie förmlich anbetteln müssen.

In der Zeit in Berlin sei er nicht ein einziges Mal beim Friseur gewesen. Wenn er Geld wolle, könne er doch Pfandflaschen wegbringen, soll Olena J. ihm gesagt haben. „Das alles frustrierte mich über die Zeit“, so der Angeklagte. Hinzu seien die beengten Lebensverhältnisse in Containern gekommen. Olena habe ihn oft laut beschimpft.

Kurz vor der Tat kam es zum Streit „um ein wenig Geld für mich“. Edisher J. berichtet, er habe Geld haben wollen, um nach Georgien zurückkehren und dort ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Sie wies ihn ab. „Ich fühlte mich unterdrückt, gekränkt und erniedrigt.“ Olenas Reaktion habe das Fass zum Überlaufen gebracht.

Edisher J. räumt die Tat ein, will aber zu den entscheidenden Sekunden des Messerangriffs keine Erinnerung haben. „Es ist wie eine Art Blackout.“ Was er getan habe, sei unentschuldbar. „Wir waren über acht Jahre glücklich miteinander verheiratet.“

Am nächsten Verhandlungstag soll die mittlerweile 18-jährige Tochter von Olena J. als Zeugin gehört werden. Sie ist im Prozess auch Nebenklägerin. „Es ist ein ganz tragischer Fall. Der Angeklagte bereut zutiefst, was er sich und seiner Familie angetan hat“, sagt Ehssan Khazaeli, der Anwalt von Edisher J.

Der Angeklagte ahnt, dass ihm wohl eine lange Haftstrafe bevorsteht. Er wolle trotzdem für die beiden Töchter da sein, heißt es in seiner Erklärung. Wenn er in einigen Jahren das Gefängnis verlassen werde, wolle er als Erstes das Grab von Olena besuchen und sich bei ihr für die glücklichen Jahre bedanken. „Und ich möchte mich entschuldigen und sie um Vergebung bitten.“