Proteste

„Ihr seid die Beweise, Rammstein ist scheiße“: So verlief das Aufeinandertreffen von Demonstranten und Fans

Rammstein spielten ihr erstes von drei Konzerten im Berliner Olympiastadion. Rund 300 Demonstranten protestierten zuvor dagegen. Unser Reporter war dabei.

Rammstein-Fans und Demonstranten werden mit Absperrband voneinander getrennt. Es sind immer wieder Mittelfinger zu sehen und Beleidigungen zu hören.
Rammstein-Fans und Demonstranten werden mit Absperrband voneinander getrennt. Es sind immer wieder Mittelfinger zu sehen und Beleidigungen zu hören.Volkmar Otto

Begleitet von Protesten wegen Vorwürfen gegen Sänger Till Lindemann gibt die Berliner Band Rammstein drei Konzerte in ihrer Heimatstadt. Jeweils mehr als 60.000 Menschen erwarten die Auftritte an diesem Samstag (20.30 Uhr), Sonntag (16. Juli) und Dienstag (18. Juli). 

Die Fans trafen am Samstag vor dem Stadion auf Demonstranten, die ein Verbot der Konzerte forderten. Die Protestler waren am Nachmittag am Theodor-Heuss-Platz gestartet. Von dort aus zogen sie über die Reichsstraße und die Olympische Straße bis zum Olympiaplatz, wo sie auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang des Stadions bis 20 Uhr demonstrierten. Am Theodor-Heuss-Platz war die Polizei mit rund 60 Einsatzkräften und mehreren Polizeiwagen vor Ort, das gesamte Stadiongelände sicherte sie mit 200 Einsatzkräften ab. Rund 300 Demonstranten seien vor dem Stadion gewesen.

Darum wird gegen die Rammstein-Konzerte in Berlin demonstriert

Mehrere Frauen haben – teilweise anonym – Vorwürfe gegen Lindemann erhoben. Sie schildern als beängstigend empfundene Situationen. Bei After-Show-Partys soll es demnach auch zu sexuellen Handlungen gekommen sein.

Lindemann weist die Vorwürfe zurück. Seine Anwälte verweisen auf Behauptungen in sozialen Netzwerken, Frauen seien bei Konzerten „mithilfe von K.o.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können.“ Diese Vorwürfe seien ausnahmslos unwahr.

„Wir wollen es nicht unkommentiert lassen, dass die Konzerte stattfinden dürfen, trotz der Vorwürfe gegen den Frontsänger Till Lindemann“, sagte die Sprecherin des Bündnisses „Kein Rammstein in Berlin!“, Britt Rosella Baiano, der Berliner Zeitung kurz vor Beginn der Demonstration am Samstag. Die Unschuldsvermutung sei ihnen bewusst, allerdings seien sie „kein Bündnis der Justiz“, sondern ein feministisches. „Es kann nicht sein, dass das Olympiastadion, das der Stadt Berlin gehört, dieses Konzert nicht verbietet.“

Britt Rosella Baiano, Sprecherin des Bündnisses „Kein Rammstein in Berlin!“
Britt Rosella Baiano, Sprecherin des Bündnisses „Kein Rammstein in Berlin!“Maximilian Beer

Durch die Vorwürfe gegen Lindemann zeige sich, wie „löchrig die juristische Lage für potenziell Betroffene sexualisierter Gewalt ist“, sagte Baiano. Überhaupt werde sexualisierte Gewalt zu wenig thematisiert. Das Bündnis habe sich auch deshalb für den Protest entschieden. Das „System hinter Lindemann und Rammstein“ sei ein Beispiel von vielen. Es brauche eine „kulturpolitische Aufarbeitung“.

Louis und Robin
Louis und RobinMaximilian Beer

Louis und Robin standen am Rande der Menge auf dem Theodor-Heuss-Platz, sie seien von der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen, sagten sie. Louis trug eine Fahne der Gruppierung. „Das, was Rammstein und Lindemann vorgeworfen wird, ist ein Beispiel patriarchaler Gewalt“, sagte er. „Wir wollen den Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind“, so Robin.

Die Demonstranten skandierten: „Heute oder später, keine Show für Täter“ und „Rammstein-Fans raus aus der Demo“. Eine Organisatorin rief durch das Mikrofon, dass Leute mit Rammstein-Merchandise vom Protestzug ausgeladen seien. Abgesehen von den Demonstranten waren nur wenige Menschen auf der Straße. Teilnehmer des Protestzuges verteilten Flyer an Passanten.

Die Demonstranten haben sich zum Start am Theodor-Heuss-Platz versammelt.
Die Demonstranten haben sich zum Start am Theodor-Heuss-Platz versammelt.Maximilian Beer

„Ich bin hier, um ein Zeichen gegen Rape Culture zu setzen“, sagte Demonstrantin Lisa der Berliner Zeitung. Aber auch, um ein Signal an Zehntausende Fans von Rammstein zu senden, die an diesem Wochenende auf die Konzerte gehen. Sie würde nicht so weit gehen, all diese Fans als misogyn zu bezeichnen. Allerdings zeichne Rammstein mit seiner Musik ein „misogynes Bild“. Wer das gut finde, sei natürlich verdächtig, ebenfalls frauenfeindlich zu sein.

Demonstrantin Lisa
Demonstrantin LisaMaximilian Beer

Auf dem Weg zu Olympiastadion passierte der Protestzug eine Frau mit Rammstein-Shirt, sie beobachtete die Menge vom Gehweg aus. Die Polizei forderte sie auf, Abstand zu halten und zu warten, bis die Demonstranten weitergezogen seien. Die 40-jährige Kellnerin kommt aus Schweden und war alleine angereist. Es sei ihr achtes Rammstein-Konzert, sagte sie der Berliner Zeitung. „Ich finde den Protest gut, das ist super PR für Rammstein“, sagte sie ergänzte: „Haben Sie gesehen, wie wenige Demonstranten das sind? Wir Rammstein-Fans sind viel mehr.“

Viele Rammstein-Fans zeigen sich demonstrativ belustigt

Auf dem Platz vor dem Stadion trafen die Demonstranten auf Hunderte Rammstein-Fans. Die Polizei schirmte beide Seiten voneinander ab. Der Platz war auf allen Seiten mit Absperrungen umzäunt. Ein Fan sang: „Unsere Kinder zahlen euer Hartz IV“. Viele Rammstein-Fans zeigten sich demonstrativ belustigt von dem Protestzug. Einige riefen bei den Sprechchören der Demonstranten mit. Man sei klar in der Überzahl, sagte ein Mann. Einige der Demonstranten riefen: „Ihr seid die Beweise, Rammstein ist scheiße“

Demonstrantinnen protestieren vor dem Olympiastadion gegen das Konzert von Rammstein. 
Demonstrantinnen protestieren vor dem Olympiastadion gegen das Konzert von Rammstein. Maximilian Beer

Dass einige Rammstein-Fans mit Spot auf den Protest reagierten, sei Zeichen einer Abwehrhaltung, sagte ein Demonstrant. Er wollte anonym bleiben, wie vielen andere auch. „Wenn nur zwei oder drei von ihnen ins Nachdenken kämen, wäre das schon ein Erfolg.“ Ein anderer sagte, der Protest richte sich auch an potenzielle Opfer sexueller Gewalt, die sich bestenfalls ermutigt fühlen könnten.

Zwei Demonstranten, sie nannten sich Tilly und Dean, nannten das Verhalten der Rammstein-Fans „traurig und unreflektiert“. Sie sprachen von dem „Irrglauben, dass man Künstler und Kunstwerk trennen“ könne. Wer Geld für die Konzerte und Platten ausgebe, unterstütze damit die Person Till Lindemann. Bei all den Vorwürfen gegen den Frontmann der Band müsse man sich hinterfragen, ob man von so jemandem Fan sein könne. Es fehle diesen Menschen an Empathie mit den mutmaßlichen Opfern, sagten sie.

Teilnehmer der Demonstration „Kein Rammstein-Konzert in Berlin! “ vor dem Berliner Olympiastadion
Teilnehmer der Demonstration „Kein Rammstein-Konzert in Berlin! “ vor dem Berliner OlympiastadionFabian Sommer/dpa

Wolfgang ist aus Thüringen für das Konzert angereist, seine Tochter begleitet ihn. An diesem Tag vor zwei Jahren habe er einen Herzinfarkt überlebt, sagte er, das wollten sie feiern. Auch deshalb würden sie sich den Abend nicht von den Demonstranten verderben lassen.

„Die sprechen viel von Freiheit und Menschenrechten“, sagte der 64-Jährige. Aber Lindemann geständen sie keine Rechte zu, etwa das Recht, solange als unschuldig zu gelten, bis ihm etwas nachgewiesen sei. „Ich will Lindemann nicht verteidigen“, so Wolfgang. „Und ich kenne ihn nicht persönlich. Aber ich glaube nicht, dass er es nötig hat, sich Frauen mit Drogen gefügig zu machen.“ Überhaupt engagiere sich die Band in vielen sozialen Projekten, darüber spreche niemand gerade. Viel wichtiger als die Debatte über Rammstein, so Wolfgang, sei in Deutschland das Thema Prostitution. „Da sollen die Demonstranten mal hingehen. Da werden Frauen als Sklavinnen gehalten.“

Mittlerweile drängten sich tausende Fans vor den Eingängen zum Stadion. Zwischenzeitlich schien man sich aneinander gewöhnt zu haben: An den Seiten des Platzes zogen die Fans vorbei, aßen Pommes, tranken Bier. In der Mitte saßen viele Demonstranten auf dem Boden, hörten Musik, unterhielten sich.

Beide Seiten benutzen den Mittelfinger, um sich gegenseitig ihrer Antipathie zu versichern.
Beide Seiten benutzen den Mittelfinger, um sich gegenseitig ihrer Antipathie zu versichern.Volkmar Otto

Am Abend wird die Stimmung nochmal aggressiver

Die Organisatoren der Demonstration spielten Sprachnachrichten von Frauen ab, die Till Lindemann sexualisierte Gewalt vorwerfen. Das richte sich auch an die Fans der Band, die sich das zu Herzen nehmen könnten. Eine berichtet davon, dass sie mit Lindemann geschlafen habe, es sei gewaltsam und traumatisierend gewesen. Sie sei noch immer in Therapie. Eine andere erzählt von ihrem Treffen mit Lindemann vor einem Konzert in Oslo. Danach habe sie sich unwohl gefühlt, das Konzert hätte sie kaum mitbekommen. Auch sie habe mit Lindemann geschlafen.

Kurz vor dem Konzert heizte sich die Stimmung dann doch noch einmal auf. Die Polizei hatte mittlerweile zusätzliches Absperrband aufgehängt. Beide Seiten zeigten sich gegenseitig Mittelfinger oder riefen sich Beleidigung zu. Nun standen sich größere Gruppen gegenüber: Die Demonstranten riefen wieder: „Ihr seid die Beweise, Rammstein ist scheiße.“ Die Fans skandierten: „Rammstein, Rammstein“. Einige Fans brüllten einer Rednerin der Demonstranten „Halt die Fresse“ entgegen.

Ein paar letzte Rammstein-Fans ohne Tickets diskutieren mit den Demonstranten.
Ein paar letzte Rammstein-Fans ohne Tickets diskutieren mit den Demonstranten.Maximilian Beer

Doch schon bald, kurz vor Konzertbeginn, waren nur noch wenige Rammstein-Fans an den Absperrungen. Vereinzelt lieferten sie sich Wortgefechte mit den Demonstranten. „Euch fickt doch eh keiner“, rief eine Frau ihnen entgegen. Eine Demonstrantin pustete Seifenblasen über das Absperrband.

Kurz vor 20 Uhr endete der Gegenprotest vor dem Olympiastadion. Offenbar hatten einige wenige Rammstein-Fans keine Tickets gekauft, sie diskutierten mit Demonstranten. Eine Sprecherin des Bündnisses rief noch einmal in ihr Mikrofon: „Ich wünsche euch ein beschissenes Konzert!“ Aus der Ferne hörte man leise Applaus aus dem Stadion.


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