- Präsident Selenskyj betont, dass die ukrainischen Streitkräfte aktiv gegen russische Besatzer vorgehen.
- Hauptstoß der ukrainischen Offensive steht noch bevor.
- Ukrainischer Geheimdienstchef: Russen haben AKW Saporischschja vermint, Minen angeblich im Kühlbecken versteckt.
- Ukraine dementiert, dass Russland taktische Atomwaffen in Belarus stationiert habe.
- Russland hat ein Gesetz verabschiedet, das Personen mit Vorstrafen als „bedingt tauglich“ einstuft.
- Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine beginnt in London am Mittwoch.
Mittwoch, 21. Juni
Wagner-Chef wirft Moskau „Irreführung“ des russischen Volkes vor
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner hat Moskau vorgeworfen, die Menschen in Russland über den Verlauf der ukrainischen Offensive zu belügen. „Sie führen das russische Volk in die Irre“, sagte Jewgeni Prigoschin in einer am Mittwoch von seinen Sprechern veröffentlichten Sprachnachricht. „Große Gebiete sind an den Feind abgegeben worden“, fügte er hinzu.
Kiew hatte Anfang Juni eine Gegenoffensive im Süden und Osten der Ukraine gestartet, um im vergangenen Jahr verlorene Gebiete zurückzuerobern. Russlands Präsident Wladimir Putin hat wiederholt behauptet, dass die ukrainische Offensive fehlschlage.
Doch Wagner-Chef Prigoschin, dessen Söldner seit Monaten Angriffe auf Städte in der Ostukraine angeführt haben, beschuldigte das Verteidigungsministerium, nicht die Wahrheit zu erzählen. Eine Reihe von Dörfern, darunter Pjatychatky, seien verloren gegangen, sagte Prigoschin und verwies auf fehlende Waffen und Munition. Seinen Angaben zufolge haben ukrainische Truppen auch schon versucht, den Fluss Dnipro zu überqueren, eine natürliche Barriere an der Front.
„All dies wird vor allen total versteckt“, sagte der 62-Jährige. „Eines Tages wird Russland aufwachen, nur um zu entdecken, dass auch die Krim an die Ukraine übergeben wurde“, mahnte er. Kiew hat bisher kleine Gebietsgewinne gemeldet und seit Beginn der Offensive nach eigenen Angaben acht Siedlungen zurückerobert.
Opferzahl nach Zerstörung des Kachowka-Staudammes auf über 60 gestiegen
Mindestens 62 Menschen sind in der südukrainischen Region Cherson nach der Zerstörung des Kachowka-Staudammes vor rund zwei Wochen ums Leben gekommen. Russische Besatzungsbehörden sprachen auf Telegram von 41 Toten an dem von Russland okkupierten Südufer des Dnipros. Die ukrainischen Behörden gaben die Anzahl der Toten auf der anderen Seite des Flusses mit mindestens 21 an. Vermutet wird, dass die tatsächlichen Opferzahlen höher sind.
Die ukrainische Regierung schätzt die Schäden für die Umwelt auf 1,5 Milliarden Dollar (knapp 1,4 Milliarden Euro). Diese „vorläufigen Schätzungen“ umfassten keine „Verluste für die Landwirtschaft, Infrastruktur, Unterkünfte, und die Kosten für den Wiederaufbau des Kraftwerks selbst“, sagte der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal bei einer internationalen Wiederaufbau-Konferenz in London am Mittwoch.

Schmyhal hatte Russland schon kurz nach der Staudamm-Zerstörung Anfang Juni einen „Ökozid“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vorgeworfen. Russland habe „eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte ausgelöst“, sagte der ukrainische Ministerpräsident vor zwei Wochen.
Russisches Vermögen soll Wiederaufbau der Ukraine zugutekommen
Die EU will eingefrorenes russisches Vermögen für die Unterstützung der Ukraine einsetzen. Dafür werde die EU-Kommission noch vor der Sommerpause einen Plan vorlegen, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei einer Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine am Mittwoch in London. Sie fügte hinzu: „Der Täter muss zur Verantwortung gezogen werden“.
Ähnlich äußerte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Rande der Konferenz. Für den Wiederaufbau der Ukraine sei es essenziell, dass Moskau mittelfristig in die Pflicht genommen werde, sagte die Ministerin vor Journalisten. Russland habe die Schäden in der Ukraine verursacht.
Selenskyj: Gegenoffensive kommt langsamer voran, als erwünscht
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj räumte gegenüber dem Sender BBC ein, dass der Fortschritt der ukrainischen Gegenoffensive gegen die russischen Streitkräfte „langsamer als erwünscht“ vorankomme. Im Interview mit dem britischen Sender sagte Selenskyj: „Es gibt Leute, die glauben, dies sei ein Hollywood-Film und erwarten jetzt Ergebnisse. Das ist es aber nicht. Was auf dem Spiel steht, das sind Menschenleben“, fügte er hinzu.
Die Ukraine hat nach eigenen Angaben in den letzten zwei Wochen acht Dörfer im Süden des Landes zurückerobert. Diese kleinen Vorstöße sind die größten der ukrainischen Streitkräfte seit November, als sie in stark befestigte und verminte Gebiete vorstießen, die von Russland gehalten werden.
Britisches Verteidigungsministerium: Russland verstärkt Zufahrten zur Krim
Laut dem britischen Verteidigungsministerium hat Russland in den vergangenen Wochen die hinteren Verteidigungslinien in der Südukraine verstärkt, insbesondere an den Zufahrten zur besetzten Krim. Eine neun Kilometer lange Verteidigungszone wurde dem Bericht zufolge auf der schmalen Landbrücke zwischen der Krim und der Oblast Cherson, etwa 3,5 Kilometer nördlich der Stadt Ariansk, errichtet.
Latest Defence Intelligence update on the situation in Ukraine - 21 June 2023.
— Ministry of Defence 🇬🇧 (@DefenceHQ) June 21, 2023
Find out more about Defence Intelligence's use of language: https://t.co/JZXB5VmisV
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Der britische Geheimdienst ist der Ansicht, dass diese ausgeklügelten Verteidigungsanlagen darauf hinweisen, dass das russische Kommando die Einschätzung hat, die ukrainischen Streitkräfte wären in der Lage, einen direkten Angriff auf die Krim durchzuführen.
London hatte bereits im Mai auf die russischen Bedenken hinsichtlich der Verteidigung der Krim hingewiesen. Es wird berichtet, dass lokale Vertreter paramilitärische Kräfte aufbauen, da sie befürchten, dass die regulären russischen Streitkräfte nicht ausreichen würden, um eine erfolgreiche Verteidigung zu gewährleisten.
Kiew: Etwa 100.000 Haushalte haben zur Zeit keinen Strom
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist es zu größeren Stromausfällen gekommen. Laut Angaben der Militärverwaltung der Dreimillionenstadt waren am Mittwoch rund 100.000 Haushalte von Abschaltungen betroffen. Bilder zeigten zudem stillstehende Straßenbahnen. Als Ursache für den ausgefallenen Strom in fünf Stadtbezirken wurde ein „Systemausfall im Stromnetz“ genannt. Dem Stromversorger DTEK zufolge war auch das Kiewer Umland betroffen.
Tags zuvor hatte es bereits in mehreren Stadtteilen der Hauptstadt kurzzeitig Stromausfälle gegeben. Dem war eine Attacke russischer Drohnen vorangegangen. Behördenangaben zufolge wurden jedoch alle feindlichen Geschosse von der Luftabwehr abgefangen.
Russland: Dritte Drohne über Moskauer Region abgeschossen
Russland hat nach eigenen Angaben drei Drohnen in der Region Moskau abgeschossen, davon mindestens zwei in der Nähe eines Militärstützpunkts. Für die Angriffe machte das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch die Ukraine verantwortlich. Dem russischen Militär sei es gelungen, einen versuchten „Terroranschlag des Regimes in Kiew auf Standorte in der Region Moskau“ zu vereiteln. Alle Drohnen seien mit „elektronischen“ Verteidigungssystemen „neutralisiert“ worden, dabei sei niemand verletzt worden.
Zuvor hatte der Gouverneur der Hauptstadtregion, Andrej Worobjow, von zwei vereitelten Drohnenangriffen am frühen Morgen auf einen rund 50 Kilometer südwestlich von Moskau gelegenen Militärstützpunkt berichtet. Sie seien beim Anflug auf Depots der Basis abgeschossen worden, berichtete Worobjow im Onlinedienst Telegram. Ob die dritte Drohne ebenfalls einen Militärstützpunkt zum Ziel hatte, war zunächst unklar.
Russland meldet Abschuss zweier Drohnen in der Region Moskau
Am Mittwoch meldete Russland den Abschuss von zwei Drohnen in der Nähe eines Militärstützpunkts in der Region Moskau. Laut Regionalgouverneur Andrej Worobjow stürzten die Drohnen um 05:30 Uhr und 05:50 Uhr Ortszeit während des Anflugs auf Depots des Stützpunkts, der etwa 50 Kilometer südwestlich der Hauptstadt liegt, ab. Es wurden weder Opfer noch Schäden gemeldet.
Worobjow erklärte, dass die beiden Drohnen vom „russischen Militär abgeschossen“ worden seien. Die Überreste der Drohnen und das Absturzgebiet werden nun von russischen „Spezialdiensten“ untersucht. Der Gouverneur rief die Bewohner in der Region dazu auf, Ruhe zu bewahren.
Seit dem Beginn der ukrainischen Gegenoffensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete haben die Drohnenangriffe von beiden Seiten zugenommen. Sie zielen nun verstärkt auf russische Grenzgebiete, Militärbasen und Energieinfrastruktur ab. Angriffe auf die russische Hauptstadt, die rund 500 Kilometer von der ukrainischen Hauptstadt entfernt liegt, sind jedoch selten.
Ukrainischer Geheimdienstchef: Russen haben AKW Saporischschja vermint
Der ukrainische Geheimdienstchef, Kyrylo Budanow, hat in einem aktuellen Video Berichte russischer Medien widerlegt, die in den vergangenen Tagen behauptetet hatten, er sich befinde sich schwer verletzt in einem deutschen Krankenhaus.
Budanow, der Ende Mai bei einem russischen Überfall auf sein Hauptquartier festgenommen worden war, bestätigte in dem Video, dass er in guter Verfassung sei und sagte, dass Russland das Kernkraftwerk Saporischschja vermint habe. Besorgniserregend sei vor allem, dass im Kühlbecken Minen versteckt seien. Budanow warnt, dass die Deaktivierung der Kühlvorrichtung zu ernsthaften Problemen führen könnte.
"Zaporizhzhia nuclear power plant was partly mined. And the scariest part is that the cooling system was mined. If it is damaged through explosion, there is a large probability of significant problems" - Kyrylo Budanov, head of @DI_Ukraine
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) June 20, 2023
By the way, what have Russian media… pic.twitter.com/ne5Azxo1hq
Budanow dementierte zudem, dass Russland bereits taktische Atomwaffen in Belarus stationiert habe, wie es die Präsidenten Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko vergangene Woche behauptet hatten. Die Lagerstätten für die Waffen würden noch vorbereitet, aber kein einziger Gefechtskopf sei verlegt worden.
Putin hatte zuvor behauptet, dass die Waffen als Abschreckung gegen den Westen nach Belarus gebracht würden, der versuche, Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine zu besiegen.
Kiew: Ukrainische Armee aktiv gegen Feind im Süden und Osten
Präsident Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videobotschaft, dass die ukrainischen Streitkräfte weiterhin aktiv gegen die russischen Besatzer vorgehen. Er erwähnte, dass die ukrainischen Kämpfer den Feind im Süden und Osten aktiv bekämpfen und die Ukraine physisch von den Besatzern säubern. Selenskyj betonte, dass diese Aktivitäten auch in Zukunft fortgesetzt werden.
Die stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine, Hanna Maljar, informierte am Abend, dass die russischen Truppen teilweise heftigen Widerstand leisten und Gebiete verminen. Im Süden verläuft die Offensive nach Plan und macht mit kleinen, aber entschlossenen Schritten Fortschritte. Die Ukraine hat kürzlich Geländegewinne erzielt und mehrere Dörfer befreit. Maljar erwähnte zudem, dass einige ukrainische Kräfte sich auch in der Verteidigung befinden, während die Russen weiterhin in der Offensive sind. Sie betonte, dass der Hauptstoß der Offensive noch bevorsteht. Mit keinen großen, aber überzeugten Schritten gehe es voran. Maljar dämpfte zugleich zu hohe Erwartungen. Es gebe keine schnelle Offensive mit Erfolgen wie in einem „Kinofilm“.
Zuletzt hatte die Ukraine Geländegewinne verzeichnet und mehrere Dörfer befreit.
ISW: Russland braucht Soldaten – auch Gefangene sollen dienen
Analysten vom „Institute for the Study of War“ in Washington gehen davon aus, dass der Kreml plant, die Anforderungen für den russischen Militärdienst weiter zu senken, um die Anzahl potenzieller Rekruten zu erhöhen.
Laut Berichten der vom Kreml betriebenen Nachrichtenagentur TASS hat die russische Staatsduma am 20. Juni ein Gesetz verabschiedet, das es Personen mit Vorstrafen und solchen, die als „bedingt tauglich“ für den Militärdienst eingestuft werden, erlaubt, in Zeiten des Krieges, bei Mobilmachung oder unter Kriegsrecht Verträge mit den russischen Streitkräften abzuschließen. In Russland werden zweimal im Jahr, im Herbst und im Frühjahr, Wehrpflichtige einberufen, aber es können auch einmalige Mobilmachungen angekündigt werden.
Die Leiterin der unabhängigen russischen Menschenrechtsorganisation „Rus Sidjaschtschaja“ (Russland hinter Gittern), Olga Romanowa, wurde von der ISW zitiert. Sie behauptete, dass das russische Verteidigungsministerium bereits etwa 15.000 Gefangene rekrutiert habe, die ab dem 1. Februar 2023 im russischen Militär dienen sollen.
Das „Institute for the Study of War“ hat bereits früher über die Bemühungen des russischen Verteidigungsministeriums berichtet, Gefangene und Personen mit Vorstrafen zu rekrutieren, um den Mangel an Truppenaufbau in Russland auszugleichen.
Ukraine: Wiederaufbau-Konferenz beginnt in London am Mittwoch
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betrachtet die bevorstehende Wiederaufbau-Konferenz in London als eine bedeutende Unterstützung für sein vom russischen Angriffskrieg betroffenes Land. Er betonte, dass eine wiederaufgebaute, transformierte und gestärkte Ukraine ein Sicherheitsgarant und Schutz vor jeglicher Form von russischem Terror sei. In einer Videobotschaft, die am Dienstag in Kiew verbreitet wurde, äußerte Selenskyj seine Überzeugung, dass das Treffen, das bis Donnerstag stattfindet, von Staaten und großen Unternehmen genutzt wird, um Hilfen für den Wiederaufbau der Ukraine anzukündigen.
Selenskyj informierte, dass bereits erste Treffen in London stattgefunden haben und bereits Gespräche über Wiederaufbauhilfen in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Italien stattgefunden haben. Dabei gehe es nicht nur um Bauprojekte, sondern auch um den Schutz der Ukraine. Am Mittwoch werde der Präsident per Videobotschaft seine Philosophie einer ukrainischen Transformation vorstellen, und Ende des Monats solle dann im Land selbst eine umfassende Vision präsentiert werden.





