Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat vor einem Doppelangriff Russlands und Chinas gewarnt. „Wenn Xi Jinping Taiwan angreift, wird er vorher seinen Juniorpartner in all dem, Wladimir Wladimirowitsch Putin, anrufen und ihm sagen: ‚Ich brauche dich, damit du die Nato in Europa beschäftigst‘“, sagte Rutte am 5. Juli in einem Interview mit der New York Times.
Was nach einem Worst-Case-Szenario klingt, halten auch zahlreiche internationale Sicherheitsexperten für zunehmend realistisch. Sie sehen in der strategischen Annäherung zwischen Moskau und Peking eine wachsende Bedrohung – nicht nur für die USA, sondern für die gesamte westliche Sicherheitsarchitektur.
Russland und China – strategisch vereint
Insbesondere Chinas indirekte Unterstützung für Russlands Krieg gegen die Ukraine macht die neue weltpolitische Dynamik deutlich: Das Reich der Mitte liefert Dual-Use-Güter für die russische Rüstungsindustrie, hilft Moskau bei der Umgehung westlicher Sanktionen und wird verdächtigt, sogar Waffen bereitzustellen – ein Vorwurf, den Peking bestreitet.
Wie Nataliya Butyrska vom New Europe Center in Kiew gegenbüber dem Kyiv Independent betonte, habe China ein strategisches Interesse daran, die Kräfte des Westens in Europa zu binden. Laut der South China Morning Post erklärte Chinas Außenminister Wang Yi kürzlich gegenüber der EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas, China könne es sich nicht leisten, dass Russland den Krieg verliere – denn dann würden die USA ihre Aufmerksamkeit stärker auf Asien richten. Für Peking könnte eine durch Moskau abgelenkte Nato daher ein willkommener Faktor sein, um eigene territoriale Ziele in Taiwan voranzutreiben, so Butyrska.

Zwei Fronten für den Westen
Ein solches Szenario wäre nicht nur für die USA, sondern auch für die europäischen Nato-Staaten sicherheitspolitisch hochbrisant, sagte Mick Ryan, ehemaliger General der australischen Armee, dem Kyiv Independent. Sollte China tatsächlich in Taiwan einmarschieren, würde es laut Ryan alles daransetzen, die USA und Europa durch gleichzeitige Krisen maximal unter Druck zu setzen.
Dan Hamilton vom Brookings-Institut hält es für wahrscheinlicher, dass Russland nicht erst auf eine Aufforderung Chinas wartet, sondern eine chinesische Offensive in Asien eigenständig zum Anlass nimmt, in Europa – etwa im Baltikum – die Nato herauszufordern.
Selbst zurückhaltendere Stimmen schließen eine Koordination beider Länder nicht aus. Der chinesische Regierungskritiker Jan Svec meinte demnach, dass China idealerweise Taiwan ohne militärischen Konflikt annektieren möchte. Sollte es dennoch zur Invasion kommen, wäre eine vorherige Absprache mit Moskau aus Pekings Sicht logisch.
Auch Nordkorea spielt in dieser geopolitischen Konstellation eine nicht zu unterschätzende Rolle. Pjöngjang liefert laut mehreren Geheimdiensten nicht nur Raketen und Artillerie an Russland, sondern entsendet auch Soldaten. Eine Eskalation auf der koreanischen Halbinsel könnte zusätzliche US-Kräfte binden – eine Strategie, die im Fall eines Angriffs auf Taiwan Chinas militärisches Vorgehen begünstigen würde.
Nato am Scheideweg
Vor diesem Hintergrund warnen Experten vor Selbstzufriedenheit im Westen. Zwar haben die Nato-Staaten auf dem jüngsten Gipfel in Den Haag beschlossen, ihre Verteidigungsausgaben perspektivisch auf fünf Prozent des BIP zu steigern – doch ob und wann diese Zielmarke erreicht wird, ist unklar.
„Was mich erstaunt, ist, dass die Nato nach Trumps Wahlsieg in Schockstarre verfiel – und nun schon wieder in Selbstzufriedenheit zurückfällt“, kritisierte Edward Lucas vom Center for European Policy Analysis. Der neue Verteidigungsetat sei eher eine Absichtserklärung als ein realistischer Plan. „Nato steht sicherheitspolitisch mit heruntergelassenen Hosen da.“
Die Achse Moskau–Peking–Pjöngjang – verbunden mit dem Einfluss Irans im Nahen Osten – stelle laut Experten die größte Bedrohung für die westliche Sicherheitsarchitektur seit dem Kalten Krieg dar. Rutte und andere warnen: Diese Gefahr sollte nicht unterschätzt werden.


