Bundeskanzler Friedrich Merz will die viel diskutierte Rentenreform am Freitag nicht nur mit einer einfachen Mehrheit, sondern mit der sogenannten Kanzlermehrheit durchs Parlament bringen. Diese absolute Mehrheit aller 630 Abgeordneten liegt bei 316 Stimmen. „Wir haben 328 Abgeordnete. Ich würde mir ein Ergebnis zwischen 316 und 328 wünschen“, sagte der CDU-Chef nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten in Berlin.
Eigentlich würden dem Regierungsbündnis bereits 284 Stimmen reichen. Da die Fraktion der Linken ihre 64 Abgeordneten zu Enthaltungen aufgerufen hat und Enthaltungen bei der Berechnung der Mehrheit nicht mitzählen, wäre die Zustimmung der eigenen Koalitionsfraktionen ausreichend. Merz und die Fraktionsspitzen von CDU und SPD wollen jedoch zeigen, dass das Gesetz auch unabhängig vom Verhalten der Opposition eine klare Mehrheit im Bundestag hat.
Koalition mit komfortablem Puffer – doch interne Zweifel
Die Koalition verfügt derzeit über 328 Stimmen und hätte damit rechnerisch einen Puffer von 44 Abgeordneten. Die SPD-Fraktion kündigte eine vollständige Zustimmung an. In der Unionsfraktion hatte es bei einer internen Testabstimmung am Dienstag jedoch 10 bis 20 Gegenstimmen sowie einige Enthaltungen gegeben. Die Fraktionsführung will bis zur Abstimmung um jede Stimme werben.
Merz warnte am Dienstag in der Fraktionssitzung vor möglichen Folgen eines Scheiterns. Deutschland und Europa dürften nicht geschwächt werden. „Unten im Plenum brauchen wir eine stabile politische Mehrheit. Alles andere führt uns ins Elend“, wurde der Kanzler aus Teilnehmerkreisen zitiert.
Linke erleichtert Verabschiedung – und grenzt sich dennoch ab
Die Linke will die Rentenreform nicht unterstützen, aber die Abstimmung auch nicht blockieren. „Wir werden nicht akzeptieren, dass das Rentenniveau weiter gedrückt wird“, erklärte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Die Enthaltung sei ein politisches Signal, aber „an uns wird es nicht scheitern, dass das Rentenniveau stabilisiert wird“.
Der Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas sieht vor, das Rentenniveau von 48 Prozent mindestens bis 2031 zu sichern. Danach soll es höher liegen als ohne die Reform. Dieser Punkt stößt vor allem bei jüngeren Abgeordneten der Union auf Widerstand, weil sie langfristig sehr hohe Kosten befürchten.
Junge Unionsabgeordnete unter Druck
Einige Mitglieder der sogenannten Jungen Gruppe in der Unionsfraktion kündigten bereits ein Nein oder zumindest Zurückhaltung an. Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, will gegen das Paket stimmen. Weitere Abweichler wollen sich erst am Freitag öffentlich äußern. Zugleich erklärten junge Abgeordnete wie Daniel Kölbl und Carl-Philipp Sassenrath, dass sie dem Gesetz zustimmen werden.
- Die Kanzlermehrheit ist die absolute Mehrheit aller Abgeordneten des Bundestags. Sie liegt aktuell bei 316 Stimmen (von 630).
- Sie wird bei wichtigen Vertrauensfragen, etwa bei Kanzlerwahlen oder Regierungsinitiativen mit hoher politischer Bedeutung, angesetzt.
- Enthaltungen werden nicht als Stimmen gewertet. Entscheidend ist die Zahl der Ja-Stimmen im Verhältnis zu allen Nein-Stimmen.
- Ein Ergebnis über der Kanzlermehrheit gilt als Beweis des Zusammenhalts und der Stabilität einer Regierungskoalition.
Rentenkommission soll heikle Fragen prüfen
Um Kritiker zu besänftigen, hatten CDU und SPD einen ergänzenden Text verabredet. Demnach soll eine Rentenkommission noch in diesem Jahr eingesetzt werden und bis Mitte 2026 Reformvorschläge vorlegen. Dazu könnte auch ein späterer Renteneintritt als mit 67 Jahren gehören, was bislang als politisches Tabu galt. Der Text soll jedoch nicht vom Bundestag beschlossen werden. Die Regierung will die Kommission per Kabinettsbeschluss einsetzen.
Die Abstimmung findet am Freitagmittag statt. Mit Verwerfungen wird nicht gerechnet. Politisch entscheidend dürfte jedoch sein, ob Merz die Kanzlermehrheit tatsächlich erreicht.



