Nach dem Untergang eines voll besetzten Flüchtlingsschiffs vor der Küste Griechenlands und der Bergung von über 70 Toten geht die Suche nach hunderten Vermissten weiter. Ein Hubschrauber, zwei Patrouillenboote und sechs weitere Schiffe suchten in dem Gebiet westlich der Halbinsel Peloponnes das Mittelmeer ab, sagte eine Sprecherin der griechischen Küstenwache der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag. Bisher wurden 78 Leichen geborgen, doch es werden zahlreiche weitere Opfer befürchtet – nach Angaben von Überlebenden waren bis zu 750 Menschen an Bord.
104 Menschen konnten gerettet werden. Etwa 30 der Überlebenden befanden sich im Krankenhaus von Kalamata. Sie litten „vor allem an Lungenentzündung, Dehydrierung und Unterkühlung“, sagte der Leiter der zuständigen Abteilung einem Radiosender. Die anderen Überlebenden wurden vorübergehend in einer Lagerhalle im Hafen von Kalamata untergebracht.
Die Suchaktion war zuvor durch starken Wind erschwert worden. Das überladene Fischerboot war nach Angaben griechischer Behörden am Mittwochmorgen an einer der tiefsten Stellen des Mittelmeers gekentert, nachdem zuvor der Motor ausgefallen war. Regierungssprecher Ilias Siakantaris erklärte, das Boot sei innerhalb von nur zehn bis 15 Minuten gesunken.
„Das Fischerboot war 25 bis 30 Meter lang. Sein Deck war voll mit Menschen, und wir gehen davon aus, dass der Innenraum genauso voll war“, sagte der Sprecher der Küstenwache, Nikolaos Alexiou, dem staatlichen Sender ERT. Demnach kam das Boot aus Libyen und war auf dem Weg nach Italien. Die Leichen wurden zur Autopsie nach Athen gebracht.
Save the Children: EU-Staaten versperren Flüchtlingen „alle Wege“
Bei den Geretteten handelt es sich um 47 Syrer, 43 Ägypter, zwölf Pakistaner und zwei Palästinenser. Laut Küstenwache wurden ausschließlich Männer gerettet. Ein Überlebender sagte Ärzten jedoch, dass sich im Laderaum des Schiffs hunderte Frauen und Kinder befunden hätten.
Auch Daniel Govevan, Anwalt bei der Hilfsorganisation Save the Children, befürchtet, dass sich „100 Kinder im Frachtraum befanden“ und rechnet mit steigenden Opferzahlen. „Diese Todesfälle sind tragischerweise nicht unerwartet. Die Mitgliedstaaten haben außerordentliche Anstrengungen unternommen, um Kindern und ihren Familien, die in Europa Sicherheit suchen, alle Wege zu versperren“, sagte er weiter. Oft bliebe ihnen nur die gefährliche Reise über das Meer.
Die griechische Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Das oberste Gericht Griechenlands ordnete eine Untersuchung zur Ursache des Unglücks an. Schon jetzt ist die Zahl der Todesopfer die höchste bei einem Schiffsunglück in Griechenland seit vielen Jahren. Nach von AFP erhobenen Daten ereignete sich das schlimmste Flüchtlingsunglück in Griechenland am 3. Juni 2016, als 320 Menschen starben oder als vermisst gemeldet wurden. Griechenland ist neben Italien und Spanien eines der Hauptankunftsländer für zehntausende Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, die nach Europa wollen.
Linken-Vorsitzende Wissler: Abschottung macht Flucht gefährlicher
EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen rief nach dem Unglück dazu auf, weiter mit den Mitgliedstaaten und Drittländern zusammenzuarbeiten, „um solche Tragödien zu verhindern“. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, das Unglück unterstreiche die Notwendigkeit legaler Fluchtwege nach Europa. „Wenn man sich auf so eine Reise begibt über das Meer, unter solchen Bedingungen, dann muss man schon sehr verzweifelt sein“, sagte sie im TV-Sender Welt.
Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler erklärte am Donnerstag: „Wir haben gestern erneut auf furchtbare Weise vor Augen geführt bekommen, was die Festung Europa bedeutet. Hunderte Menschen ertrinken auf der Flucht. (...) Mehr Abschottung sorgt nicht für weniger Geflüchtete, sondern macht die Flucht gefährlicher“, fügte sie hinzu.
Deeply saddened by the news of the shipwreck off the Greek coast and the many reported deaths. Very concerned by the number of missing people.
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) June 14, 2023
We must continue to work together, with Member States and 3rd countries, to prevent such tragedies.





