Migration

Scholz über Bootsunglück bei Griechenland: „Das ist bedrückend“

Weder weitere Überlebende noch weitere Opfer hat die griechische Küstenwache bislang gefunden. Die Geretteten übernachteten in Zelten in Kalamata. 

Die griechische Küstenwache veröffentlichte Mittwoch dieses Bild von dem völlig überfüllten Schiff.
Die griechische Küstenwache veröffentlichte Mittwoch dieses Bild von dem völlig überfüllten Schiff.ERT News

Die griechische Küstenwache hat in der Nacht zu Donnerstag erfolglos nach Überlebenden des schweren Schiffsunglücks etwa 50 Seemeilen südwestlich von Griechenland weitergesucht. „Weder Überlebende noch weitere Opfer wurden in der Nacht entdeckt“, sagte ein Sprecher der griechischen Küstenwache am Donnerstagmorgen im Staatsrundfunk. Die 104 Überlebenden wurden in Zelten im Hafen der Hafenstadt Kalamata untergebracht. 

Am Abend zeigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bestürzt über die vielen Opfer. „Das ist bedrückend und ruft uns alle mal mehr dazu auf, alles dafür zu tun, dass Menschen nicht diese gefährlichen Fluchtrouten wählen“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag nach der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin. Er wünsche sich eine Lösung mit Hilfe eines gemeinsamen und solidarischen „Systems des Umgangs“ mit der Migration in Europa

Bootsunglück bei Griechenland: Hunderte Menschen waren auf dem Schiff

Zu dem schweren Unglück war es am Mittwoch gekommen. Dabei sind offiziellen Angaben zufolge mindestens 79 Menschen gestorben. Die griechischen Behörden gehen jedoch von weitaus mehr Toten aus, denn auf dem Schiff sollen sich 500 bis 700 Passagiere befunden haben. Abends ordnete die griechische Übergangsregierung eine dreitägige Staatstrauer an.

„An Deck des Schiffes waren die Menschen zusammengepfercht, das Gleiche vermuten wir auch für den Innenraum“, sagte ein Sprecher der Küstenwache dem Staatssender ERT. „Die Zahl ist in jedem Fall sehr hoch“. Die Behörden hatten zunächst unter Berufung auf Überlebende des Unglücks von gut 400 Menschen gesprochen. Die griechische Staatspräsidentin Ekaterini Sakellaropoulou, die am Vormittag in die Hafenstadt Kalamata zu den Rettungsarbeiten gereist war, sagte: „Wir werden wohl nie erfahren, wie viele Menschen wirklich an Bord waren.“

Boot stach von Libyen aus in See

Bei dem Unglücksboot soll es sich um ein bis zu 30 Meter langes stählernes Fischerboot gehandelt haben. Nach Angaben der Geretteten war es von der libyschen Stadt Tobruk aus in See gestochen. Unter den Passagieren seien Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten gewesen, darunter auch schwangere Frauen und etliche Kinder.

Die griechische Küstenwache veröffentlichte Mittwoch dieses Bild von dem völlig überfüllten Schiff.
Die griechische Küstenwache veröffentlichte Mittwoch dieses Bild von dem völlig überfüllten Schiff.ERT News

Schon am Dienstag hatten italienische Behörden die griechischen Nachbarn über ein voll besetztes Fischerboot im griechischen Such- und Rettungsbereich informiert. Die Küstenwache und vorbeifahrende Frachter hätten den Passagieren per Funk wiederholt Hilfe angeboten. Diese hätten jedoch abgelehnt, sagte ein Sprecher der griechischen Küstenwache. Stattdessen hätten sie angegeben, nach Italien weiterreisen zu wollen.

Als Ursache des Unglücks vermuten die Behörden eine Panik an Bord. Die Küstenwache habe das Boot nach der Kontaktaufnahme weiterhin beobachtet und plötzlich abrupte Bewegungen wahrgenommen, sagte der Sprecher. Dann sei der Kutter gekentert und schnell gesunken. Am Wetter habe es nicht gelegen. Das sei verhältnismäßig ruhig gewesen, hieß es.

Unglückstelle liegt nahe der tiefsten Stelle des Mittelmeeres

Die Unglücksstelle liegt nahe der tiefsten Stelle im Mittelmeer, dem sogenannten Calypsotief, das rund fünf Kilometer bis zum Meeresboden reicht. Eine Bergung des Wracks dürfte damit so gut wie ausgeschlossen sein. Die Hafenstadt Kalamata auf der Halbinsel Peloponnes wurde zum Krisenzentrum: Ins dortige Krankenhaus und andere Unterkünfte wurden die Überlebenden gebracht. Manche mussten wegen Unterkühlung behandelt werden.

Nach dem Unglück mahnten die Vereinten Nationen die Sicherheit von Fluchtrouten an. „Dies ist ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit, dass die Mitgliedstaaten zusammenkommen und geordnete, sichere Wege für Menschen schaffen, die zur Flucht gezwungen sind“, sagte Sprecher Stephane Dujarric gestern in New York. In diesen Prozess müssten „Herkunftsländer, Transitländer und Bestimmungsländer“ eingebunden sein.

Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) sprach gegenüber dem Sender Welt-TV ebenfalls von der Notwendigkeit legaler Fluchtwege nach Europa. „Wenn man sich auf so eine Reise begibt über das Meer, unter solchen Bedingungen, dann muss man schon sehr verzweifelt sein.“ Deshalb sei es wichtig, legale Zuwanderung zu ermöglichen „für diejenigen, die zum Beispiel bei uns arbeiten wollen“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen twitterte, sie sei zutiefst betrübt über die vielen Toten und sehr besorgt angesichts der Zahl der vermissten Menschen. „Wir müssen weiterhin mit den Mitgliedstaaten und Drittländern zusammenarbeiten, um solche Tragödien zu verhindern.“

20.000 tote Flüchtlinge im Mittelmeer seit 2014

Erst vergangene Woche hatten sich die Innenminister der EU-Staaten nach langen Verhandlungen darauf verständigt, dass die Asylverfahren in der EU wegen der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden sollten. Unter anderem ist nun ein härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vorgesehen. Auch sollen Asylverfahren in Zukunft an den Außengrenzen der EU - also unter anderem in Griechenland - abgewickelt werden. Die Einigung muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden.

Griechenland hat die Kontrollen seiner Gewässer in den vergangenen Jahren bereits massiv verschärft, um illegale Migration abzuwehren. Deshalb wählen Schleuser und Migranten zunehmend gefährliche, lange Routen von der Türkei und Staaten des Nahen Ostens südlich an Griechenland vorbei direkt nach Italien, um in die EU zu gelangen.

Seit 2014 sind nach UN-Angaben mehr als 20.000 Migranten auf dem Mittelmeer gestorben. Ende Februar 2023 kam es in Italien vor der Küste Kalabriens zu einem Bootsunglück mit mindestens 90 Toten.

Bei der wohl bisher schlimmsten Katastrophe auf dem Mittelmeer verloren im April 2015 mehr als 1000 Menschen vor der libyschen Küste ihr Leben. Nur einen Monat später kamen bei mehreren Unglücken binnen einer Woche mehr als 1000 Menschen ums Leben: unter anderem starben vor Kreta 300 Migranten.