Die Landratswahl in Thüringen hat einen erstmaligen Erfolg für die AfD markiert: Zehn Jahre nach ihrer Gründung hat die rechtspopulistische Partei ein kommunales Spitzenamt gewonnen. Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann konnte sich bei der Landratswahl im thüringischen Kreis Sonneberg mit 52,8 Prozent der Stimmen gegen den CDU-Opponent Jürgen Köpper behaupten.
Obwohl der im Süden Thüringens gelegene Kreis zu den kleinsten in Deutschland zählt, reicht die symbolische Bedeutung des AfD-Sieges in Sonneberg weit über die Region hinaus. Kurz nach der Ergebnisbekanntgabe kamen schon die ersten entsetzen Stimmen aus der Kommunal- und Bundespolitik – inklusive Schuldzuweisungen.
Jubel bleibt aus: Reaktionen aus Thüringen
Über den AfD-Sieg in Sonneberg hat sich bisher nur die AfD selbst erfreut. Sesselmann sehe die AfD „auf dem Weg zur Volkspartei“. Partei-Rechtsaußen Björn Höcke sagte, von Sonneberg gehe ein „politisches Wetterleuchten“ aus. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen und sich dann auf die Landtagswahlen vorbereiten, wo man ein „politisches Erdbeben“ im Osten erzeugen könne.
Die restlichen Parteien reagierten bestürzt. Die CDU-Kreisvorsitzende von Sonneberg, Beate Meißner, machte für die Niederlage Jürgen Köppers die Bundespartei verantwortlich : „Das ist nicht nur ein Denkzettel, sondern eine volle Breitseite – aber nicht gegen den CDU-Kreisverband Sonneberg, sondern gegen die CDU auf Bundesebene“, sagte Meißner der Deutschen Presse-Agentur. Dennoch freue sich die CDU-Kreisvorsitzende über die gestiegene Wahlbeteiligung. „Das ist Demokratie“, sagte sie.
Dass mehr Wählerinnen und Wähler sich beteiligt hätten, begrüßt auch Bodo Ramelow (Linke). Er sieht den AfD-Wahlerfolg im Landkreis Sonneberg als Signal der Unzufriedenheit. „Ich glaube, wir müssen den Geist der deutschen Einheit neu definieren, dass wir die Ostdeutschen mitnehmen und nicht das Gefühl auslösen, dass über sie gelacht wird oder über sie nur geredet wird“, sagte der Linkenpolitiker am Sonntagabend im ZDF.
Thüringens Innenminister und SPD-Vorsitzender Georg Maier bezeichnete das Wahlergebnis als „Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte“. Nun heiße es, „parteipolitische Interessen hintan zu stellen und gemeinsam die Demokratie zu verteidigen“. Politik und Demokratie seien der Wettstreit um die besten Ideen und nicht um die größte Empörung, erklärte der SPD-Politiker. „Wir müssen die AfD jetzt politisch stellen“, so Maier. „Die demokratischen Parteien müssen zeigen, dass sie es besser können.“
Das Wahlergebnis in #Sonneberg ist ein Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte. Jetzt heißt es, parteipolitische Interessen hintan zu stellen und gemeinsam die Demokratie zu verteidigen. Konkrete erfolgreiche Sachpolitik ist das richtige Mittel, um die AfD zu bekämpfen.
— Georg_Maier 🇺🇦 (@GeorgMaier8) June 25, 2023
Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich hätte sich nach eigener Aussage ein anderes Ergebnis gewünscht. „Niemand in Thüringen sollte ein politisches Amt übernehmen, der kein erkennbar positives Konzept für die Zukunft unseres Landes hat“, sagte er laut einer Mitteilung am Sonntag. „Wir müssen gute Lösungen für jene Probleme finden, deren Bestehen für den Höhenflug extremer Kräfte sorgt.“
Die Grüne-Landessprecherin Ann-Sophie Bohm sagte: „Das Ergebnis entsetzt mich.“ Dass Menschen offenkundig unzufrieden mit politischen Entscheidungen seien, sei noch lange kein Grund, „den Kandidaten einer rechtsextremen Partei zu wählen“.
Gr0ße Enttäuschung auf Bundesebene
Seit den hohen Umfragewerten der AfD weisen sich die Ampel-Regierung und die oppositionelle CDU gegenseitig die Schuld am Höhenflug der rechtsextremen Partei zu. CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz machte die Ampel-Koalition in einem Interview mit t-online für das Erstarken der AfD verantwortlich: Die Regierung habe den Kontakt zur Bevölkerung durch ihre „Identitätspolitik“ verloren.
Der Ausgang der Sonneberger Landratswahl entfachte noch mehr scharfe Töne. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Katrin Göring-Eckardt (Grüne) feuerte auf Twitter gegen die CDU: „Wer rhetorisch oder real auf Spaltung setzt, muss sich nicht wundern, wenn dann das Original gewählt wird“.
Alle sollten die Warnung hören. Wer rhetorisch oder real auf Spaltung setzt, muss sich nicht wundern, wenn dann das Original gewählt wird, eine #noafd in Thüringen, die der Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch einstuft. 2/2
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) June 25, 2023
Grünen-Chefin Ricarda Lang sprach von einer „Warnung an alle demokratischen Kräfte: Spätestens jetzt ist die Zeit, wo – bei allem Streit in der Sache – alle demokratischen Kräfte zusammen die Demokratie verteidigen müssen“, schrieb sie auf Twitter. Die AfD füttere bewusst Ängste und schüre auf dieser Basis Hass. „Sie hat kein Interesse daran, dass es dem Land gut geht. Wir müssen besser darin werden, in Zeiten der Veränderung Sicherheit, gerade auch in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, zu geben.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnete den Sieg der AfD auf Twitter als einen „Tiefpunkt unserer Politik seit dem dem Fall der Mauer“. Aus der Landratswahl gehe hervor, dass „die Bevölkerung besser mitgenommen werden muss auf dem Weg zu Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit. Die AfD schürt Angst und Hass, hat aber Lösungen für Nichts“. Auch der Hauptstadt-Nachwuchs der SPD, die Jusos Berlin, ist enttäuscht. Der AfD-Sieg in Thüringen sei ein „Stich in das Herz unserer Demokratie“.
Linken-Chef Martin Schirdewan nannte im ZDF den Erfolg des AfD-Politikers Sesselmann als „Alarmsignal für die Demokratie“. Schuld sei die „massive Enttäuschung“ der Bürger und Bürgerinnen über die Politik der Bundesregierung. Kritik ernten auch die Unionsparteien und die FDP. Sie rollten der AfD den „roten Teppich“ aus, indem sie „ihre Sprüche übernehmen, indem sie ihre Politik übernehmen, beim Klimawandel zum Beispiel, bei der Migrationspolitik oder auch in Fragen gendergerechter Sprache“. Die angesprochenen Parteien würden so „einen Kulturkampf von rechts befördern, der natürlich letztendlich nur Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten ist“
Hohe Ablehnung links-grüner Werte – Ursache für AfD-Sieg?
Der Triumph der AfD in Thüringen rückt das steigende Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der aktuellen Regierung in den Fokus der Debatte. Die FDP-Politikerin Katja Adler teilte scharf gegen ihre eigene Koalition auf Twitter aus: „Wer den Menschen nicht zuhört, ihre möglicherweise nicht unbedingt linke oder grüne Meinung gerne als rechtsradikal framt, Wähler als Nazis oder Idioten beschimpft und ihnen am Ende sogar Demokratieverständnis abspricht, wundert sich ernsthaft noch, dass genau diese Menschen genau jenes Mittel nutzen, dass ihnen in unserer Demokratie bleibt? Sie stimmen ab.“
Wer den Menschen nicht zuhört, ihre möglicherweise nicht unbedingt linke oder grüne Meinung gerne als rechtsradikal framt, Wähler als Nazis oder Idioten beschimpft und ihnen am Ende sogar Demokratieverständnis abspricht, wundert sich ernsthaft noch, dass genau diese Menschen…
— Katja Adler MdB🗽 (@katjadler) June 25, 2023
Vorsitzender der Werteunion und CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen wirft der Bundes-CDU eine „grün-woke Parteiführung unter Führung eines Blackrock-Anwalts“ vor. Vor allem aus konservativen Kreisen ist die Gleichstellung links-grüner Werte mit einer Ideologie immer öfters zu hören. (mit dpa)
Jürgen #Köpper war der beste Kandidat, den die #CDU in #Sonneberg aufstellen konnte. Er hatte als stv. Landrat gute Arbeit geleistet. Dass selbst er gescheitert ist, liegt nicht an ihm, sondern daran, dass die Mehrheit der Wähler die CDU als eine grün-woke Partei unter Führung…
— Hans-Georg Maaßen (@HGMaassen) June 25, 2023




