Kolumne

Deshalb wählen Menschen die AfD: Finanzen, Wut und stramme Führung

19 Prozent unserer Mitbürger wären bereit, die AfD zu wählen. In Sonneberg haben sie es sogar getan. Was ist die treibende Kraft hinter dieser Wahl? Unser Kolumnist hat sich umgehört.

Björn Höcke, Stephan Brandner und Tino Chrupalla: Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann ist am Sonntag zum Landrat in Sonneberg gewählt worden.
Björn Höcke, Stephan Brandner und Tino Chrupalla: Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann ist am Sonntag zum Landrat in Sonneberg gewählt worden.Jakob Schröter/imago

Dies ist der neueste Teil der humoristischen Kolumne „Finde den Fehler“ von Anselm Neft.

Die AfD befindet sich auf einem Allzeithoch. Gut 19 Prozent würden laut aktuellen Umfragen die Partei mit dem roten Phallussymbol wählen. Doch was sind die Beweggründe der bestehenden und potenziellen Wähler:innen? Anselm Neft hat als rasender Reporter in den letzten Wochen Hunderte von ihnen befragt und vier zentrale Motivationen entdecken können.

Partei der Finanzexperten

Erstaunlich viele Sympathisanten der Partei sind wahre Rechenkünstler und verstehen mehr vom Staatshaushalt als der Durchschnitt. Entsprechend ist das Wahlprogramm der AfD für sie besonders attraktiv: Anstatt Geld für durch das bestehende Asylgesetz ohnehin im Mittelmeer absaufende Wirtschaftsflüchtlinge und grüne Öko-Fantastereien (Klimaschutz!) zu verpulvern, setzt die Partei auf fünf fiskalisch ausgefuchste Pläne: 1. Erbschafts- und Vermögenssteuer komplett abschaffen beziehungsweise gar nicht erst einführen. 2. Staatsquote runterfahren. 3. Gleichzeitig die Rente staatlich finanzieren. 4. Steuern senken. 5. Raus aus dem Euro und raus aus der EU!

Ökonomisch betrachtet sind diese Vorhaben so genial, dass man sich fragt, warum nicht auch die anderen Parteien darauf gekommen sind. Alle zahlen weniger Steuern, der Staat gibt weniger aus, nur bei der Rente packt er ordentlich drauf, damit nicht Einwanderer die künftige Rentenlücke schließen müssen. Dazu endlich raus aus der EU, schließlich führt Deutschland die höchsten Nettobeträge an Brüssel ab und hat davon bloß ein paar läppische wirtschaftliche Vorteile, die noch nicht mal das Vierfache der Ausgaben bedeuten. England hat es mit dem Brexit vorgemacht: Rechtspopulistische Forderungen zahlen sich aus. Für die anderen Länder.

Schnauze voll von linksgrünem Mainstream

Gendergaga, Klimaschmuh und dann aber schön Panzer in die Ukraine liefern, damit wir hier alle Wärmepumpen kaufen müssen – Grüne wie Habeck und Baerbock stehen vor allem für heiße Luft – kein Wunder, dass denen das Klima zu warm wird. AfD-Wähler:innen haben einen besseren Plan für Deutschland: freie Fahrt für freie Bürger, drei Kinder pro biodeutsche Frau und Schnitzel von semiglücklichen Kühen für alle. Und dabei irgendwie Ressourcen sparen. Wegen „Heimatschutz“. Das gefällt vielen Wähler:innen, die verständlicherweise vertraute Lebensweisen nicht aufgeben wollen, nur weil wegen diesen angeblich in China ein Sack Reis umfällt. Das Motto „Lokal denken und kaum handeln“ wird gerade dann attraktiv, wenn Gas und Strom teurer werden, Inflation herrscht und Boulette und Herrengedeck in der Eckkneipe plötzlich 50 Cent mehr kosten. Jeweils!

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Maren Kaschner
Zum Autor
Anselm Neft, geboren 1973 bei Bonn, studierte abseitige Fächer, schrieb seine Magisterarbeit über zeitgenössischen Satanismus, verschliss Jobs vom Tellerwäscher bis zum Unternehmensberater und lebt heute als freier Autor und Schriftsteller in Hamburg. Dort betreibt er den Literaturpodcast „laxbrunch“ und schreibt Artikel und Bücher. Sein neuester Roman heißt „Späte Kinder“ und ist im Rowohlt-Verlag erschienen. Für die Berliner Zeitung schreibt er die humoristische Kolumne „Finde den Fehler“.

Diese generelle Wut

Ein großer Teil der Befragten gibt als Motivation für die Wahl der AfD auch eine generelle Unzufriedenheit an. „Früher war das Leben besser“, sagt zum Beispiel Horst Zipfel (69) aus Dinslaken. „Da war ich noch nicht alt und bedeutungslos.“ Herta Wiesenschreck (78) aus Quedlinburg haut in die gleiche Kerbe: „Alles wird immer mehr scheiße! Ich mach den Fernseher an und werde sofort wütend. Dann gehe ich raus, sehe den Müll und dass keiner grüßt und werde noch wütender. Dann geh ich wieder rein, sehe meinen Mann da rumsitzen und werde so wütend, dass ich sofort die AfD wählen will.“

Viele AfD-Wähler:innen geben an, als Kinder geschlagen worden zu sein. Geschadet habe es ihnen nicht, sie hätten es ja verdient gehabt. Jetzt würden sie sich aber wünschen, dass andere auch mal so richtig in die Fresse kriegen. Peter Hirsch (45) formuliert es so: „Da ist diese Riesenwut auf alle, die sich nicht zusammenreißen und benehmen. Ich habe es ja auch gelernt!“ Auch Victor Engelmann (65), russlanddeutscher Einwanderer aus der Oblast Orenburg, ist wütend: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen! Warum soll das heute in Deutschland nicht gelten? Gammler, Muselmanen und Klima-Kleber in den Gulag!“

Sehnsucht nach Führung

Viele AfD-Wähler:innen sind keine Nazis. Einige aber doch. Gerade diese geben an, sich nach einem homogenen Nationalstaat mit kräftigem Volkskörper unter starker Führung zu sehnen. „Ein starker Führerstaat ist auch ohne die AfD denkbar“, sagt etwa Thor Stramm (26) aus Nordhausen. „Auf dem Weg dahin sind das aber nützliche Idioten für unser ‚Netzwerk 88‘.“ Der politisch interessierte Jungmann führt weiter aus: „Goldman-Sachs-Lesben wie die Weidel müssen dann natürlich weg. Die sollen gebären und kochen, anstatt von Frieden mit Russland zu labern. Slawische Untermenschen sollen dienen.“ Auch Heidrun Stramm (56) setzt ihre Hoffnung auf eine Kanzlerschaft von Björn Höcke: „Der Mann hat Schneid und weiß, was ein Volk braucht. Einen strammen Krieg. Das bringt die Jugend auf Kurs! Und vorübergehend auch die Wirtschaft, wenn das mit der staatsfinanzierten Rente doch nicht so klappt.“

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