Der designierte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht Deutschland indirekt am Ukraine-Krieg beteiligt. „Die Bundeswehr muss sich auf eine neue Situation einstellen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden ist“, sagte Pistorius am Dienstag in Hannover vor Journalisten. In diesen Prozess sollten die Soldaten eng eingebunden werden.
Er empfinde Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe. „Das Verteidigungsministerium ist schon in zivilen, in Friedenszeiten eine große Herausforderung, und in Zeiten, in denen man als Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg beteiligt ist, indirekt, noch einmal besonders.“
Pistorius, der sein Amt offiziell am Donnerstag antreten soll, dankte zudem seiner Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) für ihre Arbeit.
Der 62-jährige SPD-Politiker war bisher Innenminister Niedersachsens. Pistorius führte das Amt des Innenministers zehn Jahre. Von 2006 bis 2013 war er Oberbürgermeister Hannovers. Jetzt rückt der in SPD- Kreisen angesehene Politiker in das Bundeskabinett auf. „Es ist eine außerordentlich große Ehre, das Amt zu übernehmen“, sagte Pistorius auf einer ersten Pressekonferenz.
Pistorius wird am Donnerstag seine Ernennungsurkunde vom Bundespräsidenten erhalten und im Bundestag vereidigt, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Dienstag mit. Auf die Personalentscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gab es überwiegend positive Reaktionen, aber auch Kritik am Ende der einst versprochenen Parität zwischen Männern und Frauen im Kabinett.
Pistorius: „War immer dicht dran an Bundeswehrfragen“
Der künftige Verteidigungsminister sieht sich gut vorbereitet für sein neues Amt: „Sie wissen, dass ich an den Bundeswehrfragen immer sehr dicht dran war“, sagte Pistorius am Dienstag in Hannover. „Als Innenminister bin ich qua Amt verantwortlich und zuständig für die Beziehung zur Bundeswehr. Nicht nur im Katastrophenschutz, auch darüber hinaus. Ich habe mich starkgemacht für ein Heimatschutzregiment hier in Niedersachsen, war regelmäßig auf den Bundeswehrstandorten, auch auf den Marinestandorten.“
Er wisse, was in der Bundeswehr aktuell Thema sei, betonte der SPD-Politiker. „Die Aufgaben, die vor der Truppe liegen, sind gewaltig“, sagte Pistorius. „Die Bundeswehr muss sich auf eine neue Situation einstellen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden ist.“ Ihm sei wichtig, die Soldatinnen und Soldaten ganz eng an diesem Prozess zu beteiligen. Zu konkreten Vorhaben wollte er sich vor seinem offiziellen Amtsantritt noch nicht äußern.
Seine Vorgängerin im Verteidigungsministerium, Christine Lambrecht (SPD), hatte am Montag um Entlassung gebeten. Noch am gleichen Tag erhielt Pistorius nach eigenen Angaben einen Anruf vom Bundeskanzler. Dieser sei für ihn „sehr überraschend“ gekommen. Der 62-Jährige soll am Donnerstag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunde erhalten und im Bundestag vereidigt werden.
Scholz: „Ein äußerst erfahrener Politiker“
Scholz lobte Pistorius nach dessen Ernennung als erfahrenen Politiker. Er sei davon überzeugt, dass die Bundeswehr mit dem neuen Verteidigungsminister gut auskommen werde. „Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann, und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden“, sagte er am Dienstag in Brandenburg an der Havel. Deshalb sei er sehr dankbar, dass der bisherige niedersächsische Innenminister Ja zu der Aufgabe gesagt habe.
Pistorius verfüge über sehr, sehr viele Erfahrungen in der Sicherheitspolitik, betonte Scholz. Er habe schon in seiner bisherigen Funktion sehr offen und eng mit der Bundeswehr zusammengearbeitet. Zudem sei Pistorius jemand, „der auch die Kraft und Ruhe besitzt, die man für eine so große Aufgabe angesichts der jetzigen Zeitenwende braucht“.
Pistorius sei zudem „ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt“, sagte Scholz laut einer Mitteilung. Er sei „mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person“, um die Bundeswehr „durch diese Zeitenwende zu führen“.
Grüne: Scholz bricht mit Pistorius Wahlversprechen
Für die Entscheidung erhielt der Kanzler ersten Reaktionen nach viel Lob. Kritik gibt es, weil nach dem Tausch Pistorius für Lambrecht jetzt das Verhältnis von Männern und Frauen in der Bundesregierung nicht mehr stimmt. Die Berliner Grünen werfen Scholz vor, er habe ein Wahlversprechen gebrochen. Auch CSU-Chef Markus Söder nutzte die Wahl des neuen Verteidigungsministers für einen Seitenhieb gegen die Bundesregierung. „Das Thema Parität ist für SPD, Grüne und FDP wohl abgeschlossen“, twitterte der bayrische Ministerpräsident am Dienstag.
Tatsächlich hatte Scholz im November 2021 – kurz vor seiner Vereidigung als neuer Bundeskanzler – versprochen, sein Ampelkabinett paritätisch zu führen. „Ein von mir als Bundeskanzler geführtes Kabinett ist mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt!“, erklärte der SPD-Politiker damals.
Die Frage der Parität in der Bundesregierung seien Kanzler und SPD-Führung auch weiterhin wichtig, betonte Parteichef Lars Klingbeil am Dienstag vor einer Klausur der bayerischen SPD-Landtagsfraktion in München. „Aber wir hatten jetzt in den vergangenen Tagen in einer konkreten Personalfrage zu entscheiden. Und Boris Pistorius ist der Richtige für diesen Job – und danach haben wir entschieden.“
Mit #Pistorius als Verteidigungsminister bricht @OlafScholz ein Wahlkampfversprechen. Daran sollten sich alle, denen #Parität wichtig ist erinnern: Ein SPD-Kanzler hat keinen Platz an seinem Kabinettstisch für starke Frauen.@Frauenrat #Gleichstellung https://t.co/9SXmSU2jfM
— Silke Gebel (@SilkeGebel) January 17, 2023
Verteidigungsminister Pistorius: Er war schon als Innenminister im Gespräch
Pistorius gilt als routinierter Innenpolitiker: Im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern hat sich der SPD-Politiker in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreicher Fachmann erworben. Auch wenn er stets in Niedersachsen blieb, war er an der innenpolitischen Positionierung der Bundes-SPD in Wahlkämpfen und bei Koalitionsverhandlungen beteiligt.
Bei den Innenministerkonferenzen machte es dem als pragmatisch geltenden Pistorius immer sichtlich Freude, sich mit Konservativen wie dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf offener Bühne zu streiten, schlagfertig, mit spitzen Bemerkungen, aber nie respektlos.
Pistorius wurden immer wieder Ambitionen für ein politisches Amt auf Bundesebene nachgesagt. Es gab beispielsweise Gerüchte, er könnte Bundesinnenminister werden.
Vorsitzende des Verteidigungsausschusses: Keine Schonfrist
„Er hat keine Schonfrist, wir werden ihm aber konstruktiv die Hand reichen. Er wird daran gemessen werden, ob er die Belange der Truppe vertritt und dem BK-Amt und Ministerium auch Kontra geben kann“, sagte Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) gegenüber der Berliner Zeitung.
Gegenüber der Berliner Zeitung gratulierte der FDP-Verteidigungsexperte Dr. Marcus Faber, der auch Mitglied des Verteidigungsausschusses ist: „Ich gratuliere Herrn Pistorius zur Benennung und wünsche ihm viel Erfolg bei seiner neuen Aufgabe. Auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der FDP-Fraktion kann er zählen. Bei den großen anstehenden Aufgaben, von Bundeswehr bis Ukraine, wird er jede Hilfe brauchen können.“
Wehrbeauftragte Högl: Pistorius liegt die Bundeswehr sehr am Herzen
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hat den künftigen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) als „engagierten, führungsstarken und leidenschaftlichen Politiker“ gelobt. Als gebürtige Niedersächsin kenne sie ihn schon lange und habe in ihrer Zeit als Innen- und Rechtspolitikerin im Bundestag „sehr vertrauensvoll mit ihm zusammengearbeitet“, sagte die SPD-Politikerin der Düsseldorfer Rheinischen Post (Mittwoch).
Högl, die nach der Rücktrittserklärung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht selbst als mögliche Kandidatin für die Nachfolge gehandelt wurde, betonte, Pistorius sei ein Politiker, „dem die Bundeswehr sehr am Herzen liegt und auf den sie sich verlassen kann“. Sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit ihm.
Pistorius: Kritik kommt von der CDU
Mehrere Unionspolitiker haben derweil zurückhaltend auf die Nominierung von Boris Pistorius als künftigen Verteidigungsminister reagiert. Dieser sei als Innenminister in Niedersachsen „sehr erfahren“, an der Spitze des Verteidigungsministeriums sei jedoch „auch internationale Erfahrung gefragt“, sagte der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte am Dienstag dem rbb-Inforadio. Darauf sei Pistorius „vielleicht nicht gut vorbereitet“.
Otte fügte hinzu, offensichtlich sei „von der SPD hier in der Bundestagsfraktion niemand in der Lage oder bereit, dieses verantwortungsvolle Amt zu übernehmen“, daher habe ein Landesminister geholt werden müssen. Auch für den CSU-Verteidigungsexperten Florian Hahn ist Pistorius „nicht die erste Wahl“. Vielmehr sei er „eher zweite oder dritte Wahl“, sagte Hahn der Mediengruppe Bayern.
„Das ist eine Besetzung in der B-Mannschaft“ schrieb auch Unionsfraktionsvize Johann Wadephul auf Twitter. Hahn und Wadephul kündigten an, angesichts der großen Herausforderungen werde die Union dem neuen Verteidigungsminister nicht die übliche 100-Tage-Frist zur Einarbeitung gewähren können.
Die #Ampel bleibt sich bei der Besetzung des Verteidigungsministeriums treu. Mit #Pistorius folgt auf #Lambrecht der nächste #Verteidigungsminister ohne irgendwelche Expertise auf seinem Fachgebiet.
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) January 17, 2023
Positiver äußerte sich die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Sie setze darauf, dass der designierte Verteidigungsminister die anstehenden Herausforderungen im neuen Amt erfolgreich meistern werde, sagte sie der Rheinischen Post und wünschte ihm dafür „alles Gute“.





