Friedrichshain-Kreuzberg

„Die wollen sich an den Familien bereichern“: Flüchtlinge in „Liebig 34“ haben Nachbarn auf ihrer Seite

In dem berühmt gewordenen Haus wohnen derzeit Flüchtlingsfamilien. Es ist unklar, ob sie dort bleiben können. Die Methoden des Eigentümers sind berüchtigt.

Das Wohnhaus in der Liebigstraße 34, vor dem heute eine Mahnwache veranstaltet wurde.
Das Wohnhaus in der Liebigstraße 34, vor dem heute eine Mahnwache veranstaltet wurde.Gerd Engelsmann

Am Donnerstag knallt es auf der Liebigstraße in Friedrichshain. Gegen 10 Uhr morgens zünden Anwohner Feuerwerk, das über der Kreuzung an der Rigaer Straße explodiert. Ab und zu fliegt ein Farbbeutel auf die Straße, gelbe und weiße Farbe spritzt auf dem Asphalt. Jemand spielt Geige und singt, andere stehen in Gruppen auf dem Gehweg und unterhalten sich.

Es ist eine Mahnwache, aus Solidarität zu den Familien im Nachbarhaus, der inzwischen berühmten Liebigstraße 34. Dort wohnen derzeit hauptsächlich Geflüchtete, vor allem Mütter und ihre Kinder. Die Bewohner sollen ein Schreiben erhalten haben, sagen Anwohner. Darin steht, dass sie am 31. August, ab 10 Uhr ihre Wohnungen an den Vermieter zurückgeben müssen. Doch vom Eigentümer gibt es am Donnerstagmorgen keine Spur.

Dagmar P., eine Anwohnerin aus dem Bezirk, weiß mehr über die Hintergründe der Aktion. Der Eigentümer des Grundstücks, die Siganadia Grundbesitz GmbH, gehöre dem bekannten Immobilienunternehmer Gijora Padovicz, der ein ganzes Firmengeflecht besitzen soll. Die Geflüchteten, die derzeit in dem Haus wohnen, haben nach der Kenntnis von Dagmar P. pro Wohnung zwischen 5000 und 8000 Euro Maklergebühren bezahlen müssen, um überhaupt eine Wohnung in dem Haus zu erhalten. Außerdem seien mehrmals Männer in das Haus gekommen, um laut gegen Türen zu hämmern und mehr Geld zu verlangen.

Jetzt werde einigen Bewohnern des Hauses außerdem vorgeworfen, keine Miete gezahlt zu haben. Die Hausverwaltung habe sich inzwischen geändert, das Geld sei bei der alten Hausverwaltung gelandet, so Dagmar P. Für sie wirkt der ganze Fall verdächtig. Ihre Vermutung: Der Eigentümer möchte die Bewohner durch neue Geflüchtete ersetzen, die dann wieder eine hohe Maklergebühr bezahlen. „Die wollen sich an den Familien bereichern“, sagt sie.

Nach Schätzungen der Polizei haben sich am Donnerstag etwa 50 Menschen in der Liebigstraße versammelt, viele von ihnen sind Anwohner aus Nachbarhäusern. Die Gruppe hat sich spontan zusammengefunden, berichtet eine Anwohnerin, einen konkreten Veranstalter gibt es nicht. Die Stimmung ist ruhig, aber das Nachbarhaus und die dort stehende Polizei wird vorsichtig, teilweise misstrauisch beäugt. Der Grund dafür liegt einige Jahre in der Vergangenheit.

Haus war schon in Vergangenheit in den Schlagzeilen

Seit 2008 gehört das Haus in der Liebigstraße 34 der Unternehmensgruppe Padovicz. Zunächst wurde es von einem „queer-feministischen Hausprojekt“ bewohnt. Nachdem im Jahr 2018 ein alter Gewerbemietvertrag auslief, wurde den Mietern gekündigt, ab da begannen Proteste und das Haus war immer wieder in den Schlagzeilen. Die Immobilie wurde anschließend von den Bewohnern besetzt, im Oktober 2020 wurde das Haus von der Polizei geräumt. Danach zogen die Geflüchteten ein.

Am Donnerstagvormittag wirkt die Polizei aber eher ratlos. Sie seien nicht hier, um eine Räumung durchzusetzen, sagte ein Polizist der Berliner Zeitung. Seine Informationen habe er aus verschiedenen Medien: Den Mietern sei gekündigt worden, vielleicht sollen sie heute auch ihre Haustürschlüssel abgeben. Eigene Informationen habe er nicht.

In dem Haus wohnen hauptsächlich Geflüchtete mit ihren Kindern.
In dem Haus wohnen hauptsächlich Geflüchtete mit ihren Kindern.Gerd Engelsmann

Zahlreiche Medien haben bereits über die Unternehmensgruppe Padovicz berichtet, darunter auch der RBB in seiner Reportagereihe „Schattenwelten“. Die Unternehmensgruppe Padovicz soll seit den 90er-Jahren vermehrt Wohnhäuser in Berlin aufgekauft haben, ungefähr 50 sollen es derzeit allein in Friedrichshain-Kreuzberg sein. Seitdem häufen sich die Beschwerden über Wuchermieten, Leerstand, nicht durchgeführte Sanierungen und befristete Mietverträge.

Auch ein Blog mit dem Namen „Padowatch“ verfolgt die immer wieder auftretenden Mieterbeschwerden über die Unternehmensgruppe. Auf ihrer Website rufen die Betreiber des Blogs auf: „Unternehmensgruppe Padovicz? Enteignen!“ Der konkrete Vorwurf: Padovicz kaufe Altbauten und lasse diese so weit verfallen, bis Altmieter freiwillig ausziehen. Die Wohnungen könne man anschließend zu deutlich höheren Preisen vermieten. Sanierungsmaßnahmen werden nur durchgeführt, „wenn staatliche Förderungen fließen“, so der Blog.

„Wir sind eine Gemeinschaft“

Auch das fünfstöckige Wohnhaus in der Liebigstraße 34 ist in einem sichtbar schlechten Zustand. Der bröckelnde Putz der Fassade ist bedeckt mit Graffiti, die Fenster sind nur zum Teil neu. Im Erdgeschoss sind einige Fenster mit Holzplatten versperrt. 

Eine weitere Anwohnerin, die sich als Hannah vorstellt, berichtet, dass den Bewohnern der Liebigstraße 34 gezielt Angst vor ihren Nachbarn gemacht worden sei. Ihnen wurde gesagt, die Nachbarn wollten die Geflüchteten angeblich loswerden. Das stimme nicht, sagt Hannah. „Wir sind eine Gemeinschaft und wollen es auch bleiben.“

Gegen 12 Uhr öffnen sich kurz die Türen der Hausnummer 34 und einige Bewohner schauen heraus. Dagmar P. spricht mit den besorgten Müttern. „Wir sind auf jeden Fall bei euch“, versichert sie. Die Bewohner, mehrere Frauen und ein kleines Mädchen, bedanken sich und umarmen ihre Nachbarn. Sie sagen, die Mahnwache beschütze sie. „Ich habe keine Angst mehr“, habe eine der Frauen zu ihr gesagt, wie Dagmar P. berichtet. Als sich die Tür wieder schließt, stehen Dagmar P. Tränen in den Augen. 

Am Donnerstag bleibt es auch zwei Stunden nach der angekündigten Wohnungsübergabe ruhig. Es gibt keine Spur von dem Eigentümer oder „seinen Schergen“, wie die Nachbarn sie nennen. Der Einsatzleiter der Polizei appelliert währenddessen, bei erneuten Einschüchterungsversuchen der Bewohner, die Polizei zu alarmieren.

Der Eigentümer reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage der Berliner Zeitung.