Event am Wochenende

Wie nachhaltig ist Berlin? Ein Besuch der Messe „Green World Tour“

Auf der Nachhaltigkeitsmesse „Green World Tour“ wollen Unternehmen die Berliner inspirieren – mit E-Bikes und einem Schweine-Roboter. Wir waren dabei. 

Plastikfrei für eine gute Sache: Stefanie Krämer (l.) und Christiane Sieg vom Bioladen Der Sache Wegen an ihrem Infostand bei der Nachhaltigkeitsmesse Green World Tour.
Plastikfrei für eine gute Sache: Stefanie Krämer (l.) und Christiane Sieg vom Bioladen Der Sache Wegen an ihrem Infostand bei der Nachhaltigkeitsmesse Green World Tour.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Für Anastasiya Koshcheeva heißt Nachhaltigkeit die umweltbewusste Herstellung stilvoller Produkte, aber auch die Erhaltung bedrohter kultureller Traditionen. Sie ist Gründerin der Berliner Designfirma Moya, die Möbel, Haushaltswaren und verschiedene kleinere Gegenstände aus Birkenrinde entwirft und herstellt. Dabei wird die Rinde selbst von sieben Handwerkern in Sibirien, wo sie aufwuchs, geerntet. Dafür muss die Birke selbst nicht gefällt werden, die Rinde wächst auch in mehreren Schichten am selben Baum nach. Von daher sei Birkenrinde „super nachhaltig“, sagt Koshcheeva.

Es ist irgendwie ein seltsamer Begriff: Nachhaltigkeit. Allgemein wird sie als Synonym für die Klimafreundlichkeit gesehen; sie kann einem den Kohlenstoff-Fußabdruck verringern oder das Gewissen entlasten, denn schließlich hat man etwas Gutes für den Planeten getan. Gleichzeitig gibt es in vielen Branchen keine definierten Standards oder Anforderungen dafür, was tatsächlich als „nachhaltig“ gilt. Macht das den Begriff dann zu nichts mehr als ein Etikett, das beliebig und zynisch verwendet werden kann?

Koshcheeva und ihre Kolleginnen von Moya betreiben dieses Wochenende einen von 60 Infoständer auf dem Gelände der Schöneberger Malzfabrik. Sie sind als Teil der Nachhaltigkeitsmesse „Green World Tour“ da. Es ist eine Messe, auf der man viele Ansätze von Nachhaltigkeit kennenlernen kann. Es soll auch Wege zeigen, wie jeder auch kleine Dinge im eigenen Leben für das Klima ändern kann. Anastasiya Koshcheeva will die Besucher der Messe von der Vielseitigkeit von Birkenrinde überzeugen: „Ich wusste seit meiner Kindheit, das könnte eine natürliche, dauerhafte Alternative zu Leder oder Kunststoffmaterialien sein“, sagt sie. Da ihre Produkte aus Rinde und nicht aus Holz hergestellt werden, dessen Import aus Russland mit westlichen Sanktionen belegt ist, sind die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf das Unternehmen begrenzt.

Dabei sind aber nicht nur lokale Start-ups und Initiativen auf der Messe, sondern auch bekannte Namen – Freiwillige von Greenpeace verteilen Tragetaschen an die Besucher und versuchen, mithilfe eines unheimlich realistisch aussehenden animatronischen Schweins namens Rosalinde ihre Sympathie zu gewinnen – und ihre Spenden. Die vorbeigehenden Kinder finden Rosalindes zuckende Ohrenspitzen und Gumminase eher abschreckend. Oder es liegt daran, dass das Schwein nicht zwinkern kann, es sieht wirklich erschreckend aus. 

E-Bikes von Bosch: Super, braucht aber nicht jeder

An manchen Ständen der Messe muss man sich mehr als an anderen fragen, wie sehr das eigentlich mit dem Konzept der Nachhaltigkeit zusammenpasst – laut Duden heißt das konkret, dass man nicht mehr verbraucht werden darf, als wieder bereitgestellt werden kann. Das Technologieunternehmen Bosch ist auch vor Ort und bietet den Besuchern die Möglichkeit, seine E-Bikes zu testen, auch in der Lastenrad-Variante. Unser Fotograf ist interessiert und bekommt den Mondraker Prime RX zur Probefahrt angeboten – der mit 4399 Euro in der Mitte des Marktes liegt, erzählt uns ein Mitarbeiter. Der Fazit unseres Fotografen über seine Testfahrt: Super, fast wie ein Moped. Praktisch also, wenn man noch einen Schub braucht, um schnell zum nächsten Termin zu kommen – aber für die meisten Menschen sei ein normales Fahrrad wahrscheinlich genau richtig.

Neben den Reihen glänzender Fahrräder steht auch ein kleines Zelt, in dem sich eine Theke befindet, die an eine Testküche erinnert. Hier stehen weitere Bosch-Mitarbeiter, die das neue Küchengerät des Unternehmens, den Cookit, vorstellen wollen, das verspricht „deine ganze Küche in einem Gerät zu vereinen“. Hat es aber eine besondere Nachhaltigkeitsfunktion? Eine Mitarbeiterin seufzt. „Man kann damit gut vorkochen“, sagt sie. Das sei eigentlich ein nettes Zusatzangebot von Bosch zu den E-Bikes.

Greenpeace-Schwein Rosalinde sollte auf der Messe Sympathie gegen die Übel der Massentierhaltung wecken.
Greenpeace-Schwein Rosalinde sollte auf der Messe Sympathie gegen die Übel der Massentierhaltung wecken.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Auf der Messe ist klar, wie viele Unternehmen zunehmend wissen, dass ihre Kunden ein Interesse an „Nachhaltigkeit“ haben – und reagieren entsprechend. Zum Beispiel: Die Berliner Eismanufaktur Florida Eis ist ebenfalls auf der Messe vertreten und verkauft Eisbecher in seiner neuen „grünen“ Verpackung, die kompostierbar ist und aus Bambus besteht. Einige der neuen Geschmacksrichtungen der „green“ Linie sind sogar vegan und werden mit Hafermilch hergestellt. Die Messebesucher können drei 500-ml-Becher zu einem ermäßigten Preis kaufen, mit gratis Kordelzug und Trockeneis im Gepäck dazu.

„Nachhaltigkeit als Thema ist wegen der Pandemie untergegangen“

So ein breitgesellschaftliches Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist natürlich erfreulich, sagt Christiane Sieg, Besitzerin des Kiezladens Der Sache Wegen in Prenzlauer Berg, der verpackungsfreie und andere umweltbewusste Produkte verkauft. Dass aber etwa Supermärkte ihr Angebot an vegane und nachhaltige Produkte erweitert haben, hat ein nicht unbedingt schönes Ergebnis für kleine Läden wie den ihren: Vielen droht jetzt die Schließung. In diesem Jahr geriet Siegs Laden in finanzielle Schwierigkeiten, ihr gelang es, mit einer Crowdfunding-Kampagne 21.000 Euro zu sammeln, um ihn zu halten. „So konnten wir feststellen, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit da ist“, sagt sie. „Ich habe aber das Gefühl, Nachhaltigkeit als Thema ist in den letzten zwei Jahren wegen der Pandemie untergegangen.“ Sie blickt „zuversichtlich“ auf die Zukunft, will aber keine großen Vorhersagen machen: „Es kann noch was Verrücktes passieren.“

Eine andere Art Kampagne wird ein paar Stände weiter geführt, am Tisch der Bürgerinitiative Klimaneustart Berlin. Zwei Freiwillige sammeln Unterschriften von den Besuchern auf eine Petition für ein Volksbegehren darüber, ob Berlin bis 2030 klimaneutral werden soll. Der Aktivist Filipe Hernandes sagt, er habe in den Jahren, in denen er sich für ein klimaneutrales Berlin einsetzt, schon eine Veränderung festgestellt, aber nicht unbedingt die, die man erwarten würde. „Vor Corona war es deutlich einfacher, wenn man auf der Straße unterwegs war“, sagt er. „Heute ist so viel in der Welt los, die Leute haben keine Zeit, keine Kapazität mehr, sich mit der Klimakrise zu befassen.“ Er bemerkt das selbst auch in seinem Freundeskreis.

Hier sollte es jedoch zumindest theoretisch ein Publikum mit mehr Sympathie oder Interesse für die Sache geben, sagt er. Die Kampagne braucht 175.000 gültige Unterschriften, damit das Ziel eines klimaneutralen Berlins der gesamten Bevölkerung vorgelegt wird. Bis Frühmittag am ersten Tag der „Green World Tour“ in Berlin hat Filipe Hernandes zwischen 20 und 30 Unterschriften gesammelt.