Die Sonne brennt auf den Wannsee herab, es sind 28 Grad, auf einem Jetski rasen zwei Menschen übers Wasser. Was die beiden nicht wissen: Die Besatzung eines Zivilbootes der Wasserschutzpolizei misst ihr Tempo – 69 Kilometer pro Stunde. Erlaubt sind hier 25. Nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei legen der Mann und die Frau an einem Sportverein an. An Land werden sie von Polizisten eingeholt. Diese erklären ihnen, was zu schnelles Fahren auf einem See bedeutet.
Mit zunehmenden Temperaturen hat der Wahnsinn wieder begonnen auf Berlins Wasserstraßen, den Flüssen und Seen. An 365 Tagen schauen die Polizisten rund um die Uhr nach dem Rechten auf und an Berlins Gewässern. Zu tun gibt es für sie genug. Wenn zum Beispiel wieder mal ein Auto in einen Kanal gefahren ist oder wenn eine Wasserleiche geborgen werden muss, was öfter vorkommt.
Über den Jetski-Vorfall auf dem Wannsee hat die Polizei in dieser Woche auf Twitter informiert. Und was antwortete ein Leser? „Hätte mir auch passieren können. Wer denkt denn als Laie unbedingt an Tempolimits auf Wasserstraßen.“ Unbeabsichtigt machte er auf das eigentliche Problem aufmerksam: auf die Ahnungslosigkeit vieler Bootsführer und die auch daraus resultierende Anarchie auf Berlins Gewässern.
Denn seit zehn Jahren ist das Fahren eines Motorbootes bis zu einer Leistung von 15 Pferdestärken ab einem Alter von 16 Jahren ohne Führerschein erlaubt. Möglich gemacht hat das ein Bundestagsbeschluss im Oktober 2012 mit dem Titel „Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt“, den das Bundesverkehrsministerium umsetzte. Er setzte die bisher gültige Führerscheinfreigrenze in der Sportschifffahrt für den See- und Binnenbereich von 5 PS auf 15 PS hoch. Bootsverleiher jubelten. Die Verleihstationen im Land breiteten sich aus.
Ein großer Blechkahn steckt im Teltowkanal fest
„Während der Coronazeit, in der die Leute nicht in den Urlaub fliegen konnten, schossen die Vermietstationen noch einmal wie Pilze aus dem Boden“, sagt Sabine Schumann. Die Polizeihauptkommissarin führt uns durch die Dienststelle der Wasserschutzpolizei an der Baumschulenstraße in Treptow. Von diesen Stationen gibt es in Berlin drei: in Treptow, im Regierungsviertel in Tiergarten und am Wannsee.
Auf der WSP-Wache Ost, wie sie behördenintern genannt wird, gibt es neben der Polizeistation einen offiziellen Marinestützpunkt. Nicht nur in Kiel, Eckernförde und Warnemünde ist die Bundesmarine also stationiert. Mit ihrem Boot in Berlin veranstaltet die Bundesmarine immer mal wieder ihre Ausfahrten, zum Beispiel im Auftrag der Bundesregierung.

Hier an der Baumschulenstraße sind die Bootsliegeplätze knapp. Denn sie sind zum Teil belegt mit sichergestellten Schiffen. So sind hier zwei Jollenkreuzer verzurrt. Sie sind heruntergekommen und voll mit Gerümpel. Auf einem der Boote brütet gerade ein Teichhuhn. Solche Gefährte werden sichergestellt, weil sie nicht verkehrstüchtig, herrenlos oder die Eigentumsverhältnisse unklar sind.
Auch ein großer Blechkahn wurde hier festgemacht. Nachdem dessen Aufbauten abgebrannt waren, hatte ihn ein Privatmann gekauft und wollte damit bis zum Rhein schippern. Doch weil das Schiff nur einen winzigen Außenbord-Motor hat, ist es so gut wie manövrierunfähig. Als es im Teltowkanal feststeckte und den Verkehr blockierte, mussten die Wasserschutzpolizisten das Boot längs nehmen und zur Wache schleppen. Sie untersagten dem Besitzer die Weiterfahrt. Jetzt muss die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung darüber befinden, unter welchen Voraussetzungen das Boot bewegt werden darf.
Ein 1,30 Meter langer Karpfen an der Rohrwallinsel
Für Aus- und Fortbildungen der Beamten sind die Wintermonate reserviert. Denn ab Mitte April geht es in der Regel auf dem Wasser richtig los. Neulich holten die Polizisten an der Rohrwallinsel bei Karolinenhof einen riesengroßen 1,30 Meter langen Karpfen aus dem Wasser. Er schwamm mit dem Bauch nach oben. Vielleicht starb er wegen der niedrigen Sauerstoffkonzentration im Wasser, bedingt durch die Sommerhitze der vergangenen Wochen.
Wenn die Temperaturen steigen, kommen fröhliche Menschen auch mal auf die Idee, aus zwei Ölfässern und einer Holzplanke ein Floß zu bauen. Oder es ereignen sich Fälle wie vor zwei Wochen an der Bammelecke: Eine Familie saß in einem Schlauchboot und winkte in Richtung des Polizeibootes. Der kleine Sohn hatte kurz zuvor eine ältere Frau untergehen sehen. Der Vater war ins Wasser gesprungen, hatte die Frau wieder nach oben geholt und ans Ufer gebracht. Sie hatte einen epileptischen Anfall. Die Besatzung des Polizeibootes leistete erste Hilfe. Per Rettungshubschrauber wurde die Frau ins Krankenhaus gebracht.

Die Kriminaloberkommissarin Julia Schatz und die Polizeihauptkommissarin Daniela Weise haben gerade die „Lietze“, das Polizeiboot mit der Kennung „WSP 20“, am Steg festgemacht. Sie wissen einiges über den Leichtsinn der Menschen. Julia Schatz berichtet von einem Vorfall jüngst in der Nähe: Auf einem Bodyboard ließ sich ein Mann von einem Motorboot ziehen. Er fiel herunter und trieb im Wasser. „Die Frau war überhaupt nicht in der Lage, das Boot zu führen und trieb damit umher“, sagt die Polizistin. Von vorn sei ein Fahrgastschiff gekommen und auch eines von hinten. Das Polizeiboot war zufällig gerade dort und konnte den Ort absichern, sodass der Mann ins Motorboot zurückklettern konnte.
Es geschehen mitunter abenteuerliche Dinge. Erst kürzlich haben Eltern ihr Kind ins Wasser geworfen und mit einem Schwimmring am Boot hinterhergezogen. Was sie nicht bedacht hatten: Das Schiff fährt in der gleichen Fahrrinne, in der auch Ausflugsschiffe fahren oder sich auch ganz leise ein Schubkahn nähern kann. „Die Leute können sich nicht vorstellen, welche Gefahr von so einem drehenden Propeller ausgeht“, sagt Sabine Schumann. „Das ist wie ein Häcksler.“
Mutproben und Sprünge von der Oberbaumbrücke
Und dann sind da die vielen Partyflöße. Für die meisten braucht es keinen Motorboot-Führerschein. Jeder kann sie ausleihen. Daniela Weise berichtet von Eltern, die ein Floß ausgeliehen haben und ihre Kinder vorn auf die Kante setzen. „Es braucht nur eine Welle, und ein Kind rutscht ab. Wir erklären den Menschen dann immer, was da so alles passieren kann“, sagt sie. Einmal im Jahr passiert ein Unfall, bei dem ein Kind unter ein Boot rutscht und schlimmstenfalls von der Schraube verletzt wird.
Die Runde um die Müggelberge sind der Klassiker bei Partyfloß-Mietern, die aus Sicht der Polizistinnen von den Verleihern nicht immer gut darüber belehrt werden, was sie dürfen und was nicht. „Die Leute geben schon an, dass sie belehrt werden“, sagt Julia Schatz. „Aber in der Praxis wird es dann doch nicht so richtig gemacht, weil es schnell gehen muss, weil bei schönem Wetter ein riesiger Andrang herrscht. Und selbst wenn es eine Belehrung gibt, ist es für die Kunden so viel, dass man es gar nicht richtig aufnehmen kann.“ Erst letzte Woche war sie zu einem Unfall alarmiert worden, als ein Kajütboot mit einem Ruder-Einer kollidiert war. Der Führer des Kajütbootes hatte keine Ahnung, dass der Ruderer Vorfahrt hatte. „Die meisten sagen bei so etwas: Das wussten wir gar nicht“, sagt Schatz.
Die Polizistinnen haben schon viel erlebt und staunen doch immer wieder, zu was sich Menschen bei heißem Wetter verleiten lassen. Zu Mutproben etwa, wenn ein Heranwachsender zeigen will, was er für ein toller Typ ist. Dann springt man schon mal von der Oberbaumbrücke. Oder es werden Wetten abgeschlossen, wie nah man vor ein Fahrgastschiff ins Wasser springen kann – etwa von der Brücke, die sich vom Hauptbahnhof zum Regierungsviertel spannt.
RIB-Boote mit 200 PS wurden angeschafft und Jetskis kommen im Herbst
Auf den drei Wachen der Berliner Wasserschutzpolizei sind insgesamt 15 blau-weiße Boote stationiert. Viele von ihnen sind ältere Modelle, 40 oder 50 Jahre alt. Aber man sieht ihnen das Alter nicht an, weil sie gepflegt sind – etwa bei der „Lietze“, Baujahr 1966, 13,3 Meter Länge, 3,35 Meter Breite und 200 PS Leistung. Das Boot hat einen Schottelantrieb, also einen Propeller, der sich um 360 Grad und damit das Boot auf der Stelle drehen kann. Die „Lietze“ brachte es neulich, als der Schiffsführer den Gashebel „auf den Tisch legte“, wie man so sagt, auf 19 km/h.

Das ist nicht besonders schnell. Raser kann man damit nicht stoppen. Und illegale Rennen sind durchaus ein Thema in Berlin, nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf dem Wasser. Denn manch einer möchte sein PS-starkes Boot auch mal so richtig schön ausfahren und verabredet sich zu Rennen. Dazu gibt man sich auch die Standorte der Polizei durch. Ist das blau-weiße Boot auf dem Langen See, dann wird das Rennen auf dem Müggelsee veranstaltet. Die Höchstgeschwindigkeiten liegen auf den Berliner Gewässern bei 5, 6, 8, 10, 12 und maximal 25 km/h.
Allerdings hat die Berliner Wasserschutzpolizei inzwischen einiges Neues zu bieten: zum Beispiel drei Festrumpf-Schlauchboote mit je 200 PS. Die sogenannten RIB-Boote sind wendig, schnell, und verursachen wegen ihres geringeren Gewichts weniger Wellen. Sie sind gut auf Trailer zu verladen.
Sogar ein Segelboot besitzt die Berliner Wasserschutzpolizei
Im Herbst sollen an der Baumschulenstraße zudem zwei Jetskis stationiert werden. Das sind Fahrzeuge, auf denen die Fahrer wie auf einem Motorrad sitzen. Die blauen 250 PS starken Wasserflitzer mit der Aufschrift „Polizei“ werden mit Blaulicht und Funkgeräten ausgestattet sein. Die Jetskis sollen für Rettungseinsätze gut sein oder zur Verfolgung von Straftätern.
Davon abgesehen verfügen die Beamten auch über vier zivile Motorboote und sogar über ein Segelboot. Es dient Ausbildungszwecken, weil die Beamten es auch mit Seglern zu tun haben und deshalb Segelerfahrung haben müssen.
Schon seit einigen Jahren sind einige Boote mit Löscheinrichtungen ausgerüstet, um Brände zu bekämpfen – wie zum Beispiel am vergangenen Wochenende, als es in Oberspree bei einem Wassersportverein brannte und mehrere Boote in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mit ihrer großen Wasserspritze halfen die Polizisten vom Boot aus beim Löschen.
Geburtstagsfeiern am Strand des Kleinen Müggelsees
Wegen der Corona-Pandemie und dadurch geschlossener Clubs und Lokale verlagerten sich die Partys in die Berliner Grünanalagen und an die Strände. Auch nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen hat sich das nicht geändert. „Unser größtes Problem ist der Lärm am Wochenende“, sagt Daniela Weise. „Wenn am Kleinen Müggelsee 40 Leute am Strand Geburtstag feiern, aber 50 Meter gegenüber Leute wohnen.“ Wasser übertrage den Schall besonders gut.

„Wir wollen den Leuten ja nicht den Spaß verderben“, sagt Sabine Schumann. „Jedoch knallen da Welten aufeinander. Die einen holen den Ghettoblaster raus und werfen Würste auf den Grill und sehen darin ihre Erholung. Die anderen sehen ihre Erholung eher darin, Ruhe zu haben. Und dazwischen stehen dann wir.“ Und so nahm die Wasserschutzpolizei im Jahr 2020 in Berlin 95 Ordnungswidrigkeiten, kurz „Owi“ genannt, wegen Lärms auf. Hinzu kamen 1134 Owi-Anzeigen gegen Bootsführer, die zum Beispiel zu schnell, ohne Papiere oder Kennzeichnung unterwegs waren.
Im Jahr 2021 protokollierten die Beamten 154 „Owi Lärm“ und 1158 „Owi Schiff“. Und im vergangenen Jahr waren es 96 „Owi Lärm“ und 966 „Owi Schiff. Hier bleibt es wohl eine Interpretationsfrage, ob der Rückgang auf die Wirksamkeit der Arbeit der Polizisten zurückzuführen ist oder ob es daran liegt, dass die Menschen nach Corona nicht mehr zum Urlaub daheim verdammt sind.
Polizei kontrollierte in Berlin 8077 Sportboote
Beschwerden von Bürgern gehen vor allem vom Kleinen Müggelsee und der Müggelspree ein sowie vom Rummelsburger See und der Unteren Havelwasserstraße samt Wannsee. Der Wachhabende der Wache Ost nahm im vergangenen Jahr 31 telefonische und elf schriftliche Beschwerden entgegen. Die Menschen beschwerten sich über Raser und Lärm. Der Wachhabende der Wache West am Wannsee bekam 16 Beschwerdeanrufe wegen Raserei und fünf wegen Lärm.

Die knapp 170 Berliner Wasserschutzpolizisten versuchen der Anarchie auf den Berliner Gewässern etwas entgegenzusetzen. Allein die Beamten der Wache Ost an der Baumschulenstraße führten im vergangenen Jahr 17 Schwerpunkteinsätze durch und maßen unter anderem mit Radargeräten die Geschwindigkeiten. Sie leiteten vier Straf- und 44 Ordnungswidrigkeitsverfahren unter anderem gegen betrunkene Bootsführer und Raser ein. Die Polizisten führten in Berlin 8077 Sportbootkontrollen durch.



