Zunächst möchte ich meinem Text eine klare Wahrnehmungsempfehlung für das monumentale Werk „Walter Ulbricht – Der deutsche Kommunist“ von Ilko-Sascha Kowalczuk voranstellen. Es ist der erste Teil eines geplanten Doppelwerks über einen der wirkmächtigsten deutschen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und dürfte das bislang wichtigste Werk von Kowalczuk sein. Teil 2 („Der deutsche Diktator“) ist für das nächste Jahr geplant.
Ich schreibe diesen Text als Fachfremder, aber leidenschaftlich Interessierter. Nicht nur, weil ich die Geschichtswissenschaft als eine der wichtigsten Disziplinen für Menschen betrachte, welche sich für Politik interessieren oder politisch aktiv sind (auf mich trifft beides zu), sondern auch, weil mich das Fach immer auch privat fasziniert hat – ich wäre sehr gerne Historiker geworden.
Ilko-Sascha Kowalczuk verwendet viel Fleiß und Mühe darauf, das gerade in Deutschland eher karikaturistische Bild von Walter Ulbricht zurechtzurücken. Dies kann man auch dem interessanten Begleitinterview entnehmen, das der Autor der Zeitschrift Super Illu gab. Im Folgenden möchte ich zwei Aspekte seines Buches aufgreifen und einer genaueren Betrachtung unterziehen.
Teil 1: Der sächsische Preuße, oder: Warum Walter Ulbricht?
Walter Ulbricht, geboren 1893 und aufgewachsen in der sozialdemokratisch-sozialistischen Hochburg Leipzig, hatte sein Leben dem Klassenkampf verschrieben. Er gehörte 1918/19 zu den Kommunisten der ersten Stunde. Mit Mitte zwanzig war er dafür im fast perfekten Alter – ein Umstand, der von Ilko-Sascha Kowalczuk vielleicht nicht ausreichend beachtet wird.
Ulbricht war zu diesem Zeitpunkt ein klassisch ausgebildeter Tischler (inklusive der traditionellen Walz), politisch ein glasklarer Überzeugungstäter und alles andere als ein opportunistischer Karrierist. Die erste Jahrhundertkatastrophe, den Ersten Weltkrieg, hatte er als Soldat im Hinterraum der Ostfront relativ unbeschadet überstanden.
Ulbricht war sehr intelligent, sehr ehrgeizig, sehr fleißig, sehr diszipliniert – und in Willensauseinandersetzungen mit anderen äußerst robust. Zwar geborener Sachse (sein Dialekt wird ihm und der DDR auf ewig anhängen), aber im Grunde ein Preuße.
Hätte sich die Parteiführung in Moskau 1944 den künftigen Vorsitzenden der SED und DDR-Gründer selber backen können, das Ergebnis wäre dem echten Walter Ulbricht wohl recht nahe gekommen – vielleicht ohne das Sächseln. Dass die auf den Trümmern des Kaiserreichs erwachsene erste Demokratie in Deutschland es nicht geschafft hatte, den Jungkader der Kommunisten, den Preußen aus Sachsen, auf ihre Seite zu ziehen, war womöglich eine echte deutsche Tragik.

Walter Ulbricht hatte alle notwendigen Voraussetzungen für eine kommunistische Karriere, und er bewies dies vom ersten Tag in der Partei und im Laufe seines Lebens immer wieder.
Warum dann die negative öffentliche Perzeption, gegen die Ilko-Sascha Kowalczuk teilweise fast wie besessen anschreibt?
Wenn man gedanklich einen Schritt zurückgeht, wird die Sache recht einfach: In der real existierenden kommunistischen Kadersekte KPD, bei der sich von Anfang an alles um Moskau und die Sowjetunion drehte, ging es in der Politik immer ums Überwältigen und Niederringen – ein permanenter Kampf mit Agitation, Lügen, psychischer und physischer Gewalt als Standardmitteln. Und es ging immer um den Sieg, der zwingend auch die totale Niederlage, meist Vernichtung des jeweiligen Gegners beinhaltete und eben nicht Überzeugung, Kooperation oder gar Kompromisse. Für diese Art Kampf braucht es andere Eigenschaften als für eine freiheitlich-demokratische Wettbewerbsgesellschaft – der Sympathiefaktor gehört zum Beispiel nicht dazu.
Trotz exzessiver ideologischer Debatten gewann in der kommunistischen Sekte letztlich immer derjenige, der den momentanen und vor allem zukünftigen Kurs Moskaus dekodieren und postwendend umsetzen, das heißt gegen alle Widerstände durchprügeln konnte. Eine fast unmenschliche Aufgabe: Schwächen jeglicher Art (Freude am Alkohol oder anderen Genüssen, Romantik, Verliebtheit in die eigenen Lösungen, Faulheit jeglicher Art) waren da nicht nur störend, sondern im Laufe der Geschichte oft tödlich.
Ulbricht hatte solche Schwächen viel weniger als alle anderen Kader und zur Gründung der KPD, beim Start der Weimarer Republik, das richtige Alter, die richtige Gesinnung, die richtige Ausbildung, die Kriegserfahrung, die nötigen Begabungen und den Ehrgeiz. Aber all dies hätte noch nicht ausgereicht, deshalb zähle ich hier weitere Faktoren auf, die Walter Ulbricht in der Weimarer Zeit in die KPD-Führungsspitze brachten und bei Kriegsende zum Parteichef machten.
Notwendig, aber noch nicht hinreichend
In einer Autokratie dreht sich extrem viel um die Loyalität zur Macht, und zwar in Form der Institution (hier Moskau, die Sowjetunion, die Komintern und die Partei, die KPD; viel weniger die Ideologie), aber auch um Personen – beides ist auf komplizierte Weise miteinander verwoben, und die Chance auf ein Durchkommen haben letztlich nur die, die hier die richtige Balance finden und den besseren Instinkt besitzen.
Ulbrichts Erfolg beruhte auch darauf, dass er für sich eine wirklich gute Balance gefunden hatte: Absolute Loyalität zu Moskau und deren zwei Führern (Lenin und dann sehr bald Stalin) war selbstverständlich – und innerhalb der KPD hielt sich Ulbricht immer an Wilhelm Pieck. Ein Mann, der schon bald den Status eines elder fighters hatte und ihn in den Jahren der Moskauer Säuberungen zu den ganz wenigen Unberührbaren machte (neben etwa Dimitroff). Im Duo mit Pieck überstand Ulbricht die fiesen Kämpfe innerhalb der KPD nicht nur, sondern er stieg in der Hierarchie auf – was bei dem hohen Personalverschleiß natürlich oft auch ein natürlicher Nebeneffekt des politischen Alltags war.
Ulbricht stand auch immer für Inhalte – ein oft unterschätzter Aspekt, den Kowalczuk sehr gut herausarbeitet: Der Handwerker Ulbricht hatte sich immer um die Anbindung der Kommunisten an die Arbeiter in der Großindustrie gekümmert – sein Kernthema war die Verankerung der Parteiarbeit in Betriebsorganisation, neben der traditionellen Wohnortgliederung der deutschen Parteien.
Auch dies also ein Punkt, den konventionelle politische Analysten hierzulande gern unterschätzen, da er im deutschen Politikbetrieb so wenig zu zählen scheint: Inhalte sind sehr wichtig. Ulbricht wusste das.
Assessment Center Hotel Lux, Moskau
Das Exilmoskau Stalins war in den Zeiten der NS-Diktatur und des von NS-Deutschland geführten Weltkrieges auch eine Art kommunistisches Assessment Center: Josef Stalin betrieb neben den brutalen Säuberungen in den eigenen Reihen auch eine gnadenlose Auslese innerhalb der exilkommunistischen Funktionäre in Moskau – ab den 40er-Jahren dann auch in Antizipation der Nachkriegszeit und der anstehenden Expansion des Sowjetkommunismus in den Ostblock.
Keiner konnte sich sicher sein, dass er (die kommunistischen Führer in Moskau waren fast alles Männer) nicht ermordet wird. Trotzdem konnte man umgekehrt schon Muster erkennen, die zum sicheren Todesurteil führten: Bei innerparteilichen Kämpfen, etwa zwischen Thälmann und Neumann in der KPD, hielt Stalin meist zu den eher einfacher gestrickten Persönlichkeiten mit echt proletarischem Hintergrund. Intellektuelles Weltrettertum aus dem bürgerlichen Milieu war ihm verhasst – daher hatten ein Neumann und die in seinem Umfeld agierenden Leute nie eine Chance. Thälmann wurde von Stalin aber nur im direkten Vergleich mit Neumann bevorzugt, von der Kaderdisziplin und der Belastbarkeit für spätere Aufgaben her hatte das Duo Pieck-Ulbricht sicherlich die besseren Karten. Mit Heinz Neumann, Hermann Remmele, Hans Kippenberger, Herrmann Schubert, Hugo Eberlein (alle in Moskau erschossen), Fritz Heckert (Schlaganfalltod mit 56 Jahren im Moskau von 1936) und Willi Münzenberg (Tod im französischen Exil unter dubiosen Umständen im Juni 1940) waren bis Ende 1941 zentrale Funktionäre beziehungsweise Vertreter der KPD-Gründungsgeneration im Exil tot. Das Kaderfeld für die deutsche KPD-Führung hatte sich massiv gelichtet, die Aktien der Überlebenden stiegen mit jedem weiteren Todesfall.

Die Prüfungen
Aber das reine Überleben war nur die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für die letztliche Entscheidung von Stalin, wer an die Spitze der prosowjetischen Kaderformation gelangt. In seinem Dauer-Assessment-Center im Hotel Lux mussten die verbliebenen Aspiranten weitere Prüfungen überstehen. Und hier sehe ich das Schicksal von Walter Ulbricht etwas anders, als Ilko-Sascha Kowalczuk es zu verstehen scheint. Dass die Wahl Stalins letztlich auf Ulbricht fiel, halte ich nämlich nicht für zufällig.
Zunächst aber noch eine notwendige Voraussetzung, eine Pflichtübung, eine Pflichtprüfung: Im Jahr 1938 wurde auch Ossip Pjatnizki „gesäubert“ – im für sowjet-kommunistische Kämpfer schon stattlichen Alter von 56 Jahren ein „alter Kommunist“. (Eigentlich ein absurder Begriff, aber natürlich zutreffend, wenn man seit dem 20. Lebensjahr Berufsrevolutionär war.) Pjatnizki war Ulbrichts wichtigster Mentor, Leitstern und Strippenzieher auf Seiten der Komintern in Moskau gewesen, die Vorwürfe gegen ihn und seine 127 angeblichen Mitverschwörer („Rechtsabweichler“) waren für Ulbricht hochbrisant, da er selber in den ewigen innerparteilichen Kämpfen mit Pjatnizki meist gegen „Linksabweichler“ gekämpft hatte.
Aber Stalin hatte wohl bemerkt, dass Ulbricht immer loyal zu Moskau und dem Funktionär Pjatnizki gewesen war, und da er die Absurdität der von ihm selbst konstruierten Vorwürfe kannte, unterlag sein Terror nur selten einer „Den eigenen Lügen verfallen“-Logik. Trotzdem musste sich Ulbricht kaderkorrekt verhalten und tat dies auch.
Die Kür, und damit fiel aus meiner Sicht die Entscheidung, aber war Ulbrichts Umgang mit politischen Vorwürfen gegen ihn, in der Auseinandersetzung mit Wilhelm Florin und vor allem bei der Attacke auf seine „Lebensliebe“ (Kowalczuk) Lotte.
In allen Punkten hatte Ulbricht meines Erachtens gegenüber Stalin Erfolg: Bei der Überprüfung der eigenen Person drehte Ulbricht den Spieß um und verlangte eine umfassende Tiefenprüfung und genaue Diskussion sämtlicher Vorhaltungen – er wusste, dass er im Vergleich mit anderen nie geschwächelt hatte und ihm nach rationalen Maßstäben kein Vorwurf zu machen war.
War dies schon ein starkes Auftreten, so wusste er Stalin auch mit seinem Verhalten zu den Vorwürfen gegen Lotte zu beeindrucken. Ulbricht hatte ein sehr fürsorgliches Verhältnis zu seinen drei Frauen und seinen beiden Kindern. Natürlich nur im Rahmen eines Berufsrevolutionärs und Berufsfunktionärs, aber immerhin. Und so ging er auch hier aufs Ganze: Wenn Lotte stirbt, dann falle er auch. Zwar war dies nicht das Muster des stalinistischen Russlands – hier wurde ja auch innerhalb der Familie gern denunziert –, dennoch erkannte Stalin wohl, dass er keinen kommunistischen Führer in Deutschland präsentieren konnte, der seine Frau und große Liebe absurden Hexenverfolgungen geopfert hatte – und vielleicht ahnte er auch, dass Ulbricht ihm und der Sowjetunion dieses Verbrechen nie verziehen hätte.
Im Frühsommer 1944 hatte sich das Bewerberfeld (Pieck war als elder statesman gesetzt) in Moskau auf zwei Personen reduziert: Wilhelm Florin und Walter Ulbricht – beide fast im selben idealen Alter von 50 (Florin war zehn Monate jünger), beide Karrieren mit ähnlichem Hintergrund. Und beide im allerwahrsten Sinne des Wortes Todfeind-Parteifreunde. Es konnte nur einen geben.
Florin gegen Ulbricht
Ich bin sicher, dass es nur einen geben konnte. Warf Stalin einfach eine Münze?
Ich denke nicht, denn es gab einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden: Bei Kowalczuk steht dies auf Seite 749 im letzten großen Kapitel 12 („Aufstieg zum deutschen Führer der KPD“) im Abschnitt „In Erinnerung Umerzogener“. Einer von Ulbrichts Inhalten war die Arbeit mit Kriegsgefangenen (er zeigte hier auch großen Einsatz in Stalingrad) – wie so viele gute Ansätze fruchtete dies im KPD-Universum aber nicht.
Kowalczuk zitiert hier eine Stimme aus der Zielgruppe, die von Ulbrichts Bemühungen nicht beeindruckt war und im direkten Vergleich Florin vorzog: „Florin ließ nicht nur seinen Verstand, sondern auch sein Herz sprechen.“ Ich würde hier kaderkommunistisch eiskalt sagen: Und das war genau das Problem. Den Export des Sowjetkommunismus nach Deutschland (und darum ging es ja im Grunde) kann man weder mit Verstand noch mit Herz betreiben – letztlich rekrutierten die KPD-Funktionäre, mit teils guten Absichten, Karrierekader, und diejenigen, die auf diesen Karrieristen-Apparatschik-Weg gingen, werden es kaum bereut oder aber sich später von der SED-DDR abgewendet haben.
Die wirkliche Notwendigkeit aus den Verbrechen der NS-Zeit war das Etablieren von Freiheit und Demokratie, und dafür konnten weder Ulbricht noch Florin – weder mit dem Verstand noch mit dem Herzen – werben. Etwas, das ein Herbert Wehner erkannt hatte. Das Spiel der KPD-SED war von Anfang an verloren. Und dann nimmt man doch bitte lieber als Hauptfigur den, der keine Illusionen hat und auch keine verbreitet: Walter Ulbricht.

Die Entscheidung
Im Buch legt sich der Historiker Kowalczuk nicht fest, aber im Begleitinterview lässt er es anklingen: Am Ende sieht er hier den Zufall im Spiel, „zufällig wie der Tod“.
Ich teile diese Interpretation nicht, und dies ist auch mein einziger größerer Kritikpunkt an dem gesamten Werk. Ilko-Sascha Kowalczuk „erspart“ trotz 750 Seiten Inhalt und 200 Seiten Anmerkungen dem Leser das Nachdenken über das aus meiner Sicht Offensichtliche: Wilhelm Florin starb mitten in den hochtourig laufenden Vorbereitungen auf die Nachkriegszeit im Sommer 1944 in Moskau plötzlich und unerwartet – nur wenige Wochen später ermordeten die Nationalsozialisten Ernst Thälmann in Buchenwald. Damit war der Weg für Ulbricht nicht nur frei, sondern von diesem Moment an kader-alternativlos.
Hatte der Schicksalsgott Tod dem Machthaber Stalin die Entscheidung abgenommen? Ulbricht, wie auch die anderen Kommunisten, insbesondere außerhalb Stalins innerem Kreis, hatte jedenfalls kaum Einfluss darauf, wer starb und wer leben durfte, das legt Kowalczuk glaubhaft dar.
Kräftezehrend war Florins Leben auf jeden Fall gewesen, aber der Zeitpunkt war extrem ominös. Ich lehne mich historisch-wissenschaftlich jetzt weit aus dem Fenster, aber: Ich halte es für sehr viel wahrscheinlicher, dass Stalin seine Entscheidung bewusst zugunsten Ulbrichts traf und mit der üblichen Konsequenz durchzog. Dass Ilko-Sascha Kowalczuk diese offenkundige Möglichkeit, die in der Historikerszene wohl durchaus debattiert wird, dem Leser vorenthält, ist ein kleiner Makel, tut aber dem großartigen Werk insgesamt keinen Abbruch. Denken können wir in einer freien Gesellschaft selber. Was wir brauchen, sind Fakten und gute Quellen.
Teil 2 – Die KPD, das unterschätzte Monster der Weimarer Republik
Als weiteres Verdienst des Werks von Ilko-Sascha Kowalczuk ist mithilfe der Nachzeichnung der kommunistischen Karriere von Walter Ulbricht ein demaskierendes Porträt seiner Partei, der Kommunistischen Partei Deutschlands, entstanden.
Die KPD von Beginn an undemokratisch
Es ist kaum möglich, mit wenigen Worten darzustellen, wie tief undemokratisch der Charakter dieses roten Freimauerordens von Anfang an war. Geboren aus der Spaltung der sozialistischen Bewegung durch Krieg und den Umsturz in der Sowjetunion, war die KPD durch Feindschaft und persönlichen Hass (ich meide das Wort sonst, aber hier trifft es vollumfänglich zu) gegen die Kräfte der alten Ordnung (des Kaiserreichs), der neuen Ordnung (der bürgerlichen, wettbewerblichen, demokratischen Weimarer Republik) und insbesondere gegen den demokratisch-sozialistischen, sozialdemokratischen Teil der Arbeiterbewegung, die SPD, geprägt.
Das Innenleben der Partei bestand aus persönlich-ideologischen Richtungskämpfen, einer schier endlosen Reihe von Sitzungen, schriftlicher und mündlicher Agitation und Propaganda in Permanenz, großer Rücksichtslosigkeit gegen politische Feinde und die eigenen Leute. Gewalt, Konspiration, Terror und vor allem permanentes Lügen nach außen und gegenseitiges Denunzieren innerhalb der Partei waren Usus.
Sicherlich befördert durch die Ermordung ihrer Führungsspitze, insbesondere von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, unmittelbar nach Parteigründung, wurde die KPD von Moskau permanent an einer mehr oder weniger langen Leine geführt. Was mir als einem SED-kritisch aufgewachsenen DDR-Jugendlichen immer als westdeutsche Überzeichnung aus dem Kalten Krieg vorkam, wird bei Kowalczuk für die Weimarer Zeit und natürlich insbesondere für die NS-Zeit ganz plastisch – eine eigene Rolle der KPD gab es praktisch nie. Sie war immer ein Werkzeug Moskaus.
Ulbricht als der effektivere Moskauversteher
Und so ist für mich auch die Karriere des Walter Ulbricht überhaupt nicht so erstaunlich: Er war letztlich einer der effektivsten Moskauversteher und zögerte nie, die oft abstrusen Haken zu schlagen, die von dort vorgegeben wurden. Dies schloss die destruktive Haltung gegenüber der SPD, ihren Mitgliedern und Anhängern ein. Ich sehe bis zur Stunde null von Seiten der in Moskau residierenden KPD-Führung keine echte Annäherung an die SPD, weil Stalin dies nicht wollte. Und er wusste genau, warum: Freiheit und Demokratie waren mit dem System der Einparteienherrschaft nicht vereinbar. Geprägt von Personenkult und ideologischer Verblendung entwickelten sich die kuriosesten Blüten in Sowjetunion und DDR erst nach dem Kriegsende und entfalteten ihre volle destruktive Kraft.
Moskautreue war also nur gegen das „System“ möglich (mit diesem Begriff wurde in der Weimarer Republik der demokratische Staat von links und rechts denunziert), und dies hieß zuvorderst: gegen die Sozialdemokratie.
Die KPD missbrauchte auch konsequent den Parlamentarismus, genau wie die Pressefreiheit und andere Freiheitsrechte – bei Kowalczuk kann man gut nachlesen, wie Mandate, Mitarbeiter, Demonstrations- und Streikrechte taktisch eingesetzt wurden. Und dabei nicht nur hemmungslos agitiert, sondern offen gelogen wurde.

Sieger der Geschichte durch permanentes Verlieren
Frappierend ist auch zu lesen, dass die KPD stets von einer Niederlage zur nächsten stolperte – fast jede Kollektiventscheidung ging von falschen Voraussetzungen aus, steckte vollkommen unrealistische Ziele oder dichtete offenkundige Niederlagen oder gar Verbrechen dreist um.
Wenn sich Stalin mit den USA geeinigt hätte und Deutschland nicht zwischen den Mächten geteilt worden wäre – er hätte die völlig runtergewirtschaftete Truppe in Moskau mit einem Fingerschnippen von der Weltgeschichtsbildfläche verschwinden lassen können und damit sicherlich auch keinen Moment gezögert. Stattdessen bekamen die Übriggebliebenen unter Führung von Ulbricht ein halbes Land geschenkt. Dies war natürlich direkte Folge der Weltverbrechen der NS-Zeit, aber dennoch keine gute Wendung der Geschichte.
Es ist erstaunlich, dass die KPD in der deutschen Geschichtsschreibung trotzdem ein Image hat, welches nicht annähernd so negativ ist wie das anderer Antidemokraten. Das ist indes kein Zufall, denn die Kommunisten hatten Geschichtsfälschung und Dauerlüge, die eigene Heiligsprechung und die Dämonisierung des politischen Feindes perfektioniert.
Die komplette Dekonstruktion dieser Seite des Kommunismus erfordert sicherlich eigene Werke, aber man ahnt bei Kowalczuk die Wirkmächtigkeit der Narrative, insbesondere wenn sie auf einem wahren Kern basieren, wie bei den echten, brutalen Verfolgungen durch die Nationalsozialisten.
Ich habe den Eindruck, dass auch Kowalczuk sich der geschickten Geschichtspropaganda der Kommunisten nicht komplett entziehen kann. Zwar lässt er es nur anklingen, aber es wird deutlich, dass Kowalczuk „glaubt“, dass der Reichstagsbrand von den Nazis geplant und durchgeführt wurde. Da erliegt er dem süßen Gift der Verschwörungstheorie, deren Entstehung zwar unklar, die aber vielleicht gerade deshalb besonders wirksam wurde. Ich bin überzeugt davon, dass die Einzeltäterhypothese richtig ist und Hitler die Gelegenheit „nur“ beim Schopfe packte.
Und auch das ist historisch interessant: Die Nazis waren zwar effektiv in Sachen Massenveranstaltung (hierbei den Kommunisten überlegen) und Monumentalbau (hier stand Stalins Sowjetunion kaum nach, obwohl der kommunistische Monumentalismus immer ein wenig auf die menschliche Komponente geachtet hat), aber im Geschichtsfälschen und in Pressekampagnen waren die Kommunisten haushoch überlegen. Beim Reichstagsbrand misslang die Schuldverschiebung an die Kommunisten kläglich, weil Dimitroff vor Gericht über sich hinauswuchs und weil es trotz Mitgliedschaft van der Lubbes in einer kommunistischen Partei eben auch nicht stimmte. Die kommunistische Braunbuch-These hingegen konnte ihre Wirkung mittel- und langfristig voll entfalten.
Wer sich dies nicht vorstellen kann: Die Sowjetkommunisten leugneten die streng geheime Aufteilung Polens und damit Europas im Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts bis 1990 vehement, und auch das Massaker von Katyn lasteten sie jahrzehntelang den Nationalsozialisten an. Die Kommunisten wussten: Wer die Macht hat, kann die Wahrheit bestimmen. Sie haben das zu jedem Zeitpunkt auf jeder Ebene durchexerziert.
Die unverständliche Attraktivität des Kommunismus
Es ist auch ein Verdienst des Buchs von Kowalczuk, dass man noch einmal eintaucht in die historisch schwer erklärliche und noch weniger erträgliche Attraktivität, die der Kommunismus auch in seiner real existierenden brutalen Form in der Sowjetunion offenbar auf viele, vor allem auf Intellektuelle ausübte und ausübt. Bei Kowalczuk werden einige im Detail als fellow traveller diskutiert – Lion Feuchtwanger, der Apologet des Terror-Moskaus von 1936, als der schlimmste.








