U-Bahn-Fahrgästen steht im Norden von Berlin eines der größten und langwierigsten Sanierungsprojekte bevor, das es jemals bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) gegeben hat. An diesem Montag ist es soweit: Auf der Linie U6 wird der U-Bahn-Verkehr zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel eingestellt.
Bis zum Frühjahr 2025 müssen die Fahrgäste dort auf Busse umsteigen, die deutlich länger unterwegs sind. Wann genau der U-Bahn-Betrieb wieder beginnt, kann die BVG noch nicht sagen.
25.000 Menschen sind täglich auf dem Nordabschnitt der U6 unterwegs, der zum Teil auf einem Damm, zum Teil im Tunnel verläuft. Die meisten von ihnen haben keinen Blick für die bemerkenswerte Verkehrsanlage, die sie für die Fahrt zur Arbeit oder zum Einkaufen nutzen. Uwe Kutscher schon. „Sie steht unter Denkmalschutz“, sagt der U-Bahn-Bauchef der BVG.
Unerwartete Eleganz
Eine verständliche Entscheidung. Denn die Planer der ersten Berliner U-Bahn-Neubaustrecke seit 1930 haben Wert auf gute Gestaltung gelegt. Dezente Pastellfarben, elegante Konturen, Bahnhofsempfangshallen mit viel Licht, filigran wirkende Dächer und Wandverkleidungen aus vielen kleinen Fliesenquadraten: Als die Norderweiterung der damaligen U-Bahn-Linie C 1958, nur fünf Jahre nach dem Senatsbeschluss, komplett war, muss sie unglaublich modern gewirkt haben.

Aber dann fällt Uwe Kutschers Blick auf das Vordach am U-Bahnhof Scharnweberstraße. Zwischen der Dachbedeckung und dem Beton klafft ein Spalt, in dem Insekten ein- und ausfliegen. „Vermutlich Steinwespen“, scherzt der BVG-Mann. Oben auf dem Bahnsteig zeigt er auf die Risse im Bodenbelag und auf die Schäden im Betondach.
Uwe Kutscher spricht auch über Mängel, die man als Fahrgast nicht oder nicht sofort sieht: auf den Rost, der nicht nur in diesem Dammbahnhof den Bewehrungsstahl angegriffen hat. Auf die Setzungen in der Dammstrecke, die einst mit Sand aufgeschüttet wurde, der beim Bau der Tunnelabschnitte anfiel. Die U-Bahn fährt auf „rolligem Boden“, auf „märkischem Karnickelsand“, der schon in den 1960er-Jahren immer wieder ins Rutschen kam, so der Bauingenieur. Die Löcher wurden mit Schottersteinen aufgefüllt. „An manchen Stellen ist die Schotterdecke schon mehr als einen Meter dick.“
Wann reißen die Stahlseile?
Doch das gravierendste Beispiel für Gefahren, die nicht ins Auge fallen, befindet sich über einer benachbarten Reinickendorfer Hauptverkehrsstraße. Nach einem kleinen Spaziergang steht Uwe Kutscher vor der Spannbetonbrücke, die mit einer Stützweite von mehr als 80 Metern die vierspurige Seidelstraße überspannt. „Ein sehr elegantes, schlankes Bauwerk“, würdigt der BVG-Planer. Als der Bau begann, fuhr darunter noch die Straßenbahn – deren Strecke mit der U-Bahn-Eröffnung stillgelegt wurde.
Doch andere Bauten dieser Art sind inzwischen instabil geworden. Ein prominentes Beispiel ist die 1968 fertiggestellte Elsenbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg, in dessen östlichem Überbau 2018 innerhalb von wenigen Tagen ein 25 Meter langer und 1,8 Millimeter breiter Riss aufplatzte. Dies ließ sich nur so erklären, dass Spannstahl schlagartig gerissen war. Auch in der U-Bahn-Brücke über der Seidelstraße sollen gespannte Stahlseile für Stabilität sorgen. „Weil sie einbetoniert sind, können wir aber nur ahnen, in welchem Zustand sie sind“, so Kutscher. Das heiße nicht, dass das Bauwerk schon kaputt sei. Aber das Risiko steige, und deshalb müsse gehandelt werden.

„Eigentlich wollten wir schon 2020 anfangen“, sagte der U-Bahn-Bauchef. Weil ein Planfeststellungsverfahren verlangt wurde, musste der Termin aber verschoben werden. Am 7. November, dem ersten Montag im nächsten Monat, gehen die Arbeiten los.

Der gesamte Nordabschnitt wird praktisch neu gebaut, so die BVG. Ein kleiner Ausschnitt des Arbeitsprogramms, das sich auf 100 Millionen Euro summiert: 2,3 Kilometer Dammstrecke werden mit 1100 Stahlrohren, die alle drei Meter in den Boden gerammt werden, verstärkt. 6,5 Kilometer Gleis und acht Weichen werden neu verlegt, vier Bahnhöfe von Grund auf instand gesetzt. Die Stationen Holzhauser Straße und Borsigwerke bekommen Aufzüge. Doch das größte Einzelprojekt wird der Neubau der Brücke über die Seidelstraße sein. Damit das alte Bauwerk mithilfe eines „kontrollierten Einsturzes“ (Kutscher) entfernt werden kann, muss die Seidelstraße ein Wochenende im März 2023 gesperrt werden. Der Nachfolger wird aus Stahl bestehen. „Allein das Brückenbauprojekt soll zwei Jahre dauern“, sagt der BVG-Planer.
Rund zweieinhalb Jahre werden Tegel und der Nordwesten Reinickendorfs nicht mehr per U-Bahn erreichbar sein. Als Ersatz fahren barrierefreie Busse, die von der Straße 462 am U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz laut Fahrplan in 16 Minuten nach Alt-Tegel fahren sollen. Zum Vergleich: Die U6 braucht für diese Distanz sieben Minuten. Eingesetzt werden bis zu 20 Busse, die im dichten Takt verkehren – tagsüber mit Abständen zwischen einer Minute und drei Minuten. Dem Vernehmen nach hat das Busunternehmen Schröder Reisen bei der BVG-Ausschreibung alle vier Lose gewonnen.
Neue Mietstationen für E-Scooter und Fahrräder im Norden von Berlin
Zwischen Eichborndamm und An der Mühle werden temporäre Busspuren markiert, so die BVG. Für Autos bleibt in der Regel ein Fahrstreifen pro Richtung. Einige Parkplätze und Ladezonen werden entfernt. Für den motorisierten Individualverkehr wird es zu Einschränkungen kommen, kündigt das Unternehmen an.
Als Alternative zum klassischen Ersatzverkehr richtet die BVG an den U-Bahnhöfen Alt-Tegel, Borsigwerke, Holzhauser Straße, Scharnweberstraße, KurtSchumacher-Platz (alle U6), Rathaus Reinickendorf (U8) und an den S-Bahnhöfen Karl-Bonhoeffer-Klinik, Eichborndamm und Tegel (S25) zusätzlich JelbiPunkte ein, an denen Roller und Räder gemietet werden können.
Künftig nur noch ein Fahrstreifen pro Richtung auf der A111
Nebeneffekt der U6-Verkürzung: „Weil U-Bahn-Wagen frei werden, kann auf dem verbleibenden Abschnitt häufiger gefahren werden“, sagte Uwe Kutscher.

Im Frühjahr 2025 soll die U6 wieder bis Alt-Tegel fahren. Warum lässt sich das nicht präziser sagen? „Weil wir den genauen Termin wirklich noch nicht wissen“, erklärt der Bauchef. Wer könne schon vorhersagen, wie hart die Winter werden?





