Baustelle

Diese Berliner U-Bahnstrecke wird jetzt zweieinhalb Jahre lang gesperrt

Weil die U6 nach Alt-Tegel saniert wird, fahren bis Frühjahr 2025 keine U-Bahnen mehr dorthin.  Das wichtigste Teilprojekt beginnt aber erst im März. 

Ein Zug der U-Bahn-Linie U6 hält am U-Bahnhof Scharnweberstraße im Bezirk Reinickendorf. Vom 7. November an gibt es auch dort keinen Schienenverkehr mehr. 
Ein Zug der U-Bahn-Linie U6 hält am U-Bahnhof Scharnweberstraße im Bezirk Reinickendorf. Vom 7. November an gibt es auch dort keinen Schienenverkehr mehr. Berliner Zeitung/Peter Neumann

U-Bahn-Fahrgästen steht im Norden von Berlin eines der größten und langwierigsten Sanierungsprojekte bevor, das es jemals bei den  Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) gegeben hat. An diesem Montag ist es soweit: Auf der Linie U6 wird der U-Bahn-Verkehr zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel eingestellt.

Bis zum Frühjahr 2025 müssen die Fahrgäste dort auf Busse umsteigen, die deutlich länger unterwegs sind. Wann genau der U-Bahn-Betrieb wieder beginnt, kann die BVG noch nicht sagen. 

25.000 Menschen sind täglich auf dem Nordabschnitt der U6 unterwegs, der zum Teil auf einem Damm, zum Teil im Tunnel verläuft. Die meisten von ihnen haben keinen Blick für die bemerkenswerte Verkehrsanlage, die sie für die Fahrt zur Arbeit oder zum Einkaufen nutzen. Uwe Kutscher schon. „Sie steht unter Denkmalschutz“, sagt der U-Bahn-Bauchef der BVG.

Unerwartete Eleganz

Eine verständliche Entscheidung. Denn die Planer der ersten Berliner U-Bahn-Neubaustrecke seit 1930 haben Wert auf gute Gestaltung gelegt. Dezente Pastellfarben, elegante Konturen, Bahnhofsempfangshallen mit viel Licht, filigran wirkende Dächer und Wandverkleidungen aus vielen kleinen Fliesenquadraten: Als die Norderweiterung der damaligen U-Bahn-Linie C 1958, nur fünf Jahre nach dem Senatsbeschluss, komplett war, muss sie unglaublich modern gewirkt haben.

Uwe Kutscher ist Bauchef der Berliner U-Bahn. Mit erwarteten Kosten von 90 Millionen bis 100 Millionen Euro ist die Sanierung der Nordstrecke der U6 eines der größten Sanierungsvorhaben in Berlin. 
Uwe Kutscher ist Bauchef der Berliner U-Bahn. Mit erwarteten Kosten von 90 Millionen bis 100 Millionen Euro ist die Sanierung der Nordstrecke der U6 eines der größten Sanierungsvorhaben in Berlin. Berliner Zeitung/Peter Neumann

Aber dann fällt Uwe Kutschers Blick auf das Vordach am U-Bahnhof Scharnweberstraße. Zwischen der Dachbedeckung und dem Beton klafft ein Spalt, in dem Insekten ein- und ausfliegen. „Vermutlich Steinwespen“, scherzt der BVG-Mann. Oben auf dem Bahnsteig zeigt er auf die Risse im Bodenbelag und auf die Schäden im Betondach. 

Uwe Kutscher spricht auch über Mängel, die man als Fahrgast nicht oder nicht sofort sieht: auf den Rost, der nicht nur in diesem Dammbahnhof den Bewehrungsstahl angegriffen hat. Auf die Setzungen in der Dammstrecke, die einst mit Sand aufgeschüttet wurde, der beim Bau der Tunnelabschnitte anfiel. Die U-Bahn fährt auf „rolligem Boden“, auf „märkischem Karnickelsand“, der schon in den 1960er-Jahren immer wieder ins Rutschen kam, so der Bauingenieur. Die Löcher wurden mit Schottersteinen aufgefüllt. „An manchen Stellen ist die Schotterdecke schon mehr als einen Meter dick.“ 

Wann reißen die Stahlseile?

Doch das gravierendste Beispiel für Gefahren, die nicht ins Auge fallen, befindet sich über einer benachbarten Reinickendorfer Hauptverkehrsstraße. Nach einem kleinen Spaziergang steht Uwe Kutscher vor der Spannbetonbrücke, die mit einer Stützweite von mehr als 80 Metern die vierspurige Seidelstraße überspannt. „Ein sehr elegantes, schlankes Bauwerk“, würdigt der BVG-Planer. Als der Bau begann, fuhr darunter noch die Straßenbahn – deren Strecke mit der U-Bahn-Eröffnung stillgelegt wurde.

Doch andere Bauten dieser Art sind inzwischen instabil geworden. Ein prominentes Beispiel ist die 1968 fertiggestellte Elsenbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg, in dessen östlichem Überbau 2018 innerhalb von wenigen Tagen ein 25 Meter langer und 1,8 Millimeter breiter Riss aufplatzte. Dies ließ sich nur so erklären, dass Spannstahl schlagartig gerissen war. Auch in der U-Bahn-Brücke über der Seidelstraße sollen gespannte Stahlseile für Stabilität sorgen. „Weil sie einbetoniert sind, können wir aber nur ahnen, in welchem Zustand sie sind“, so Kutscher. Das heiße nicht, dass das Bauwerk schon kaputt sei. Aber das Risiko steige, und deshalb müsse gehandelt werden.

Problemzone Nummer eins auf dem Nordabschnitt der U6: die Spannbetonbrücke über der Seidelstraße. Sie entsteht neu als Stahlbrücke mit Stützweiten von 48 und 35 Metern sowie einer lichten Höhe von 4,60 Meter.
Problemzone Nummer eins auf dem Nordabschnitt der U6: die Spannbetonbrücke über der Seidelstraße. Sie entsteht neu als Stahlbrücke mit Stützweiten von 48 und 35 Metern sowie einer lichten Höhe von 4,60 Meter.Berliner Zeitung/Sabine Gudath

„Eigentlich wollten wir schon 2020 anfangen“, sagte der U-Bahn-Bauchef. Weil ein Planfeststellungsverfahren verlangt wurde, musste der Termin aber verschoben werden. Am 7. November, dem ersten Montag im nächsten Monat, gehen die Arbeiten los.

Der Charme der 1960er-Jahre: ein Blick in den Treppenbereich des U-Bahnhofs Scharnweberstraße.
Der Charme der 1960er-Jahre: ein Blick in den Treppenbereich des U-Bahnhofs Scharnweberstraße.Berliner Zeitung/Peter Neumann

Der gesamte Nordabschnitt wird praktisch neu gebaut, so die BVG. Ein kleiner Ausschnitt des Arbeitsprogramms, das sich auf 100 Millionen Euro summiert: 2,3 Kilometer Dammstrecke werden mit 1100 Stahlrohren, die alle drei Meter in den Boden gerammt werden, verstärkt. 6,5 Kilometer Gleis und acht Weichen werden neu verlegt, vier Bahnhöfe von Grund auf instand gesetzt. Die Stationen Holzhauser Straße und Borsigwerke bekommen Aufzüge. Doch das größte Einzelprojekt wird der Neubau der Brücke über die Seidelstraße sein. Damit das alte Bauwerk mithilfe eines „kontrollierten Einsturzes“ (Kutscher) entfernt werden kann, muss die Seidelstraße ein Wochenende im März 2023 gesperrt werden. Der Nachfolger wird aus Stahl bestehen. „Allein das Brückenbauprojekt soll zwei Jahre dauern“, sagt der BVG-Planer.

Rund zweieinhalb Jahre werden Tegel und der Nordwesten Reinickendorfs nicht mehr per U-Bahn erreichbar sein. Als Ersatz fahren barrierefreie Busse, die von der Straße 462 am U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz laut Fahrplan in 16 Minuten nach Alt-Tegel fahren sollen. Zum Vergleich: Die U6 braucht für diese Distanz sieben Minuten. Eingesetzt werden bis zu 20 Busse, die im dichten Takt verkehren – tagsüber mit Abständen zwischen einer Minute und drei Minuten. Dem Vernehmen nach hat das Busunternehmen Schröder Reisen bei der BVG-Ausschreibung alle vier Lose gewonnen.

Neue Mietstationen für E-Scooter und Fahrräder im Norden von Berlin

Zwischen Eichborndamm und An der Mühle werden temporäre Busspuren markiert, so die BVG. Für Autos bleibt in der Regel ein Fahrstreifen pro Richtung. Einige Parkplätze und Ladezonen werden entfernt. Für den motorisierten Individualverkehr wird es zu Einschränkungen kommen, kündigt das Unternehmen an.

Als Alternative zum klassischen Ersatzverkehr richtet die BVG an den U-Bahnhöfen Alt-Tegel, Borsigwerke, Holzhauser Straße, Scharnweberstraße, KurtSchumacher-Platz (alle U6), Rathaus Reinickendorf (U8) und an den S-Bahnhöfen Karl-Bonhoeffer-Klinik, Eichborndamm und Tegel (S25) zusätzlich JelbiPunkte ein, an denen Roller und Räder gemietet werden können.

Künftig nur noch ein Fahrstreifen pro Richtung auf der A111

Nebeneffekt der U6-Verkürzung: „Weil U-Bahn-Wagen frei werden, kann auf dem verbleibenden Abschnitt häufiger gefahren werden“, sagte Uwe Kutscher.

Risse im Bodenbelag des Bahnsteigs im U-Bahnhof Scharnweberstraße. Die U6 gilt als betriebssicher. Doch Schäden wie diese zeigen: Die Anlage muss saniert werden.
Risse im Bodenbelag des Bahnsteigs im U-Bahnhof Scharnweberstraße. Die U6 gilt als betriebssicher. Doch Schäden wie diese zeigen: Die Anlage muss saniert werden.Berliner Zeitung/Sabine Gudath

Im Frühjahr 2025 soll die U6 wieder bis Alt-Tegel fahren. Warum lässt sich das nicht präziser sagen? „Weil wir den genauen Termin wirklich noch nicht wissen“, erklärt der Bauchef. Wer könne schon vorhersagen, wie hart die Winter werden?

Klar ist nur eines: Die Sanierung der U-Bahn-Strecke nach Alt-Tegel wird nicht das letzte große Infrastrukturprojekt im Berliner Nordwesten sein. Gleich danach will die Projektgesellschaft Deges mit der Erneuerung der Autobahn nach Tegel beginnen. 2026 soll das Vorhaben, bei dem auf längeren Abschnitten nur ein Fahrstreifen pro Richtung übrig bleibt, an Tempo gewinnen. Erwartete Dauer: sieben Jahre.