Eine Autobahn schrumpfen – geht das? Ja, das geht. Die Autofahrer in Berlin werden es erleben. Ein 13,3 Kilometer langer Autobahnabschnitt im Nordwesten der Stadt wird mehr als sieben Jahre lang zur Großbaustelle. Damit die Arbeiter auf der A111 Platz haben, um ans Werk gehen zu können, muss die Kapazität stark eingeschränkt werden. So wird abschnittsweise nur noch ein Fahrstreifen pro Richtung zur Verfügung stehen. Das teilte James Kanyi von der Projektgesellschaft Deges in Berlin mit. Der Ingenieur leitet das Projekt, dessen Vorbereitungen nun eine wichtige Phase erreicht haben.
Die Grundsanierung der A111 ist ein Vorhaben, das im Schatten anderer geplanter Baumaßnahmen an der Stadtautobahn steht. Der Abriss und der Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke, die im Verlauf der A100 in Charlottenburg die Spree überspannt, wird eine spektakuläre Angelegenheit werden. Auch die Westendbrücke im Schatten des ICC, ebenfalls am Stadtring gelegen, bekommt eine Nachfolgerin. Nicht weit entfernt wird das Dreieck Funkturm, wo die Avus auf die A100 stößt, in anderer Lage und kompakter als heute, neu aus dem Boden gestampft. Geschätzte Bauzeit: acht Jahre.
264 Ingenieurbauwerke – eine Perlenkette aus Beton und Stahl
Auf die Autofahrer kommen im Westen Berlins also schon einige Unannehmlichkeiten zu, die sich in die 2030er-Jahre hinziehen. Doch die Erneuerung der A111, die vom Dreieck Charlottenburg nach Tegel und weiter zur Stadtgrenze führt, ist umfangreicher als die anderen Projekte. Dort geht es nicht um einzelne Bauten, sondern um nicht weniger als 264 Ingenieurbauwerke, die sich wie eine Perlenkette aufreihen. Es handelt sich um 39 Brücken, 16 Tunnel- und Trogbauwerke, 95 Verkehrszeichenbrücken und Schranken, 105 Lärmschutz- und Stützwände sowie neun Bauwerke der Entwässerung.

Dieses Bauvorhaben ist auch in einem weiteren entscheidenden Punkt anders. „Für unsere Projekte an der A100 in Charlottenburg können wir zusagen, dass während der Arbeiten die Kapazität der Autobahnabschnitte erhalten bleibt. Die Regel lautet, dass die Zahl der Fahrstreifen nicht verringert wird“, sagte Bereichsleiter Andreas Irngartinger. „An der A111 ist das aber leider nicht möglich.“
„Mit dem knappen Platz, den wir vorfinden, müssen wir zurechtkommen“
Ein großer Teil der Autobahn aus 1970er- und 1980er-Jahren verläuft in Geländeeinschnitten, die zu Trogbauwerken ausgebaut wurden, oder in Tunneln. „Diese Bauwerke können nicht aufgeweitet werden“, bedauerte Irngartinger. Verbreiterungen der Autobahn, die heute zwei, zum Teil auch drei Fahrstreifen pro Richtung sowie meist nur schmale Seitenbereiche aufweist, seien ausgeschlossen. „Mit dem knappen Platz, den wir vorfinden, müssen wir zurechtkommen“, sagte er. Für die Kraftfahrer, die auf der A111 unterwegs sind, wird das während der Bauarbeiten gravierende Folgen haben.
„In dieser Zeit bedeutet das, dass wir den Verkehr in den Baubereichen einschränken müssen“, kündigte Andreas Irngartinger an. „Eine Lösung kann so aussehen, dass wir auf jeder Seite der Autobahn nur noch einen Fahrstreifen pro Richtung anbieten können. Es wird zum Teil auch so sein, dass der gesamte Verkehr in beiden Richtungen auf einer Seite konzentriert werden muss.“ Dazu wird es unter anderem auch auf Tunnelabschnitten kommen. „Dort wird dem Verkehr dann nur jeweils eine Röhre zur Verfügung stehen, in der anderen wird gearbeitet“, berichtete der Planer.
Und nebenan entstehen 5000 Wohnungen
Für den knapp einen Kilometer langen Tunnel Flughafen Tegel sieht das Konzept zum Beispiel vor, dass je eine Röhre gesperrt wird und der Verkehr, der dort normalerweise rollt, über die Abfahrt Kurt-Schumacher-Platz und den Kurt-Schumacher-Damm umgeleitet wird. Dort ist aber zu beachten, dass nebenan auf früherem Flughafengelände das Schumacher-Quartier mit rund 5000 Wohnungen gebaut werden soll. „Das wird den Bereich mit zusätzlichem Baustellenverkehr belasten“, sagte Irngartinger. Geplant sei, dass der heutige Zubringer zur Stadtstraße herabgestuft wird. „Unser Wunsch ist, dass dies erst dann geschieht, wenn wir unsere Arbeiten beendet haben“, so die Deges.
Unter dem Flughafen Tegel, auf dem im Herbst 2020 der Betrieb endete, müssen im Autobahntunnel verschlissene Fahrbahndecken erneuert werden. Die Betriebstechnik muss dagegen nicht angefasst werden, sie ist 2008/09 saniert worden. Da ist das Bauprogramm anderswo an der A111 schon umfangreicher.
Ein Beispiel ist der Tunnel Tegel Ortskern, 775 Meter lang. James Kanyi zählt auf: „Die komplette Betriebstechnik muss überholt und heutigen Anforderungen angepasst werden. Weil das Grundwasser hoch steht, dringt immer wieder Wasser ein. Deshalb wird es auch um die Entwässerung gehen. Hydranten, Belüftung, Fluchttüren, Brandschutz: Das sind weitere Themen.“ Befürchtet wurde, dass der unterirdische Baukörper aus Beton komplett weggemeißelt werden muss. Das hätte eine drei- bis vierjährige Vollsperrung der A111 erfordert. „Doch inzwischen konnten wir Entwarnung geben.“
In den anderen Tunneln, etwa unter der Beyschlagsiedlung und am Forstamt Tegel, ist ebenfalls neue Sicherheitstechnik erforderlich. Nach dem Unglück im Montblanc-Tunnel zwischen Italien und Frankreich, in dem 1999 ein Lkw in Brand geriet und 39 Menschen starben, sind die Anforderungen an den Brandschutz enorm gestiegen. „Es hat einen Quantensprung gegeben“, sagte Irngartinger. „Das wirkt sich natürlich auf die A111 aus.“
Auch anderswo erfordern aktuelle Regelwerke Anpassungen und Neuerungen. So müssen Abwasserbecken geschaffen werden, in denen wasserschädliche Substanzen herausgelöst werden. „Weil damit auch wasserrechtliche Auswirkungen verbunden sind, rechnen wir damit, dass zumindest für den Mittelteil ein Planfeststellungsverfahren erforderlich wird“, so Kanyi.
Der Mittelteil – das weist darauf hin, dass der Berliner Abschnitt der A111 während der Bauzeit in drei jeweils ungefähr gleich lange Stücke geteilt wird. Die erste Bauphase umfasst den Abschnitt „Nord 1“, der von der Stadtgrenze zum Waidmannsluster Damm in Tegel führt, und „Mitte“ von der Seidelstraße bis zum Dreieck Charlottenburg. „Dort rechnen wir derzeit mit einer Bauzeit von rund vier Jahren“, sagte Andreas Irngartinger. In der zweiten Phase folgt der Abschnitt „Nord 2“, der zwischen den anderen Teilstücken erstreckt. Geschätzte Bauzeit dort: drei bis dreieinhalb Jahre.
Eine Vollsperrung wäre den Autofahrern nicht zuzumuten
„Natürlich wäre es bautechnisch am einfachsten, wenn das gesamte mehr als 13 Kilometer lange Autobahnteilstück gesperrt würde“, so Projektleiter Kanyi. „Doch das können wir den Kraftfahrern nicht zumuten.“ Es wird auch so hart genug für sie. Die jüngsten Daten gehen von bis zu 135.000 Kraftfahrzeuge pro Tag aus.

Und wann soll es losgehen? „Nicht vor 2025“, heißt es bei der Deges. Zuletzt lautete die Ansage: „frühestens 2023“. Noch sei viel zu tun. „Wir haben für jedes der 264 Ingenieurbauwerke ermittelt, in welchem Zustand es sich befindet“, sagte Andreas Irngartinger. „Das war eine fast unendliche Kleinarbeit.“ Jetzt geht es darum, wiederum für alle Bauten und Anlagen konkrete Lösungen zu erarbeiten.
Eine gewaltige Datenbank mit rund 16.000 Datensätzen ist entstanden, berichtete James Kanyi. „Dabei geht es nicht nur um die einzelnen Anlagen, sie müssen auch im Zusammenhang gesehen werden. Ein Beispiel: Die Leitplanken auf dem Mittelstreifen müssen den aktuellen Regelwerken entsprechend neu gebaut werden. Künftig brauchen sie mehr Platz, was bedeutet, dass auf dem Mittelstreifen keine Leuchten mehr stehen können. Wir bauen also auch eine neue Beleuchtung, mit Lichtmasten an den Seiten.“
Längere Bauzeit: U6 nach Alt-Tegel zweieinhalb Jahre gesperrt
Werden Umleitungen ausgeschildert? Nein, hieß es bei der Deges. „Im Bereich Heckerdamm wird der Autobahnverkehr über neben dem Trog verlaufende Stadtstraßen geleitet. Ansonsten soll es aber keine designierten Umleitungen geben. Ziel ist es, die Kraftfahrer auf der Autobahn zu halten.“
Am besten, sie schauen sich jetzt schon mal nach Alternativen um. Immerhin soll die U-Bahn wieder nach Tegel fahren, wenn die Arbeiten auf der Autobahn beginnen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sperren zwar die U6 zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel, um die Anlagen zu erneuern. Doch dies ist dies für den Zeitraum von November 2022 bis Frühjahr 2025 geplant, sagte BVG-Sprecher Jannes Schwentu.
Damit hat sich die Bauzeit erneut verlängert. Nun sind es rund zweieinhalb Jahre. Zuletzt war von 20 Monaten Sperrung die Rede. „Das war Ende 2018 in einer früheren Planungsphase“, bestätigte Jannes Schwentu. „Die Zeiträume mussten im Zuge der Ausschreibungen der Leistungen noch einmal angepasst werden mussten. Es ist ein sehr großes Bauvorhaben mit sehr vielen Beteiligten, die koordiniert werden müssen.“





