Helfer packen Kartons in einen postgelben Laster vor der Nathanael-Kirche am Grazer Platz in Friedenau. Der aus der Ukraine stammende Rechtsanwalt Andriy Ilin hätte gern, dass die Pakete mit Hilfsgütern jeden Kubikmeter im Innenraum des 20-Tonners füllen. Doch es ist noch viel Raum auf der Ladefläche. Ilin von der Organisation Ukraine-Hilfe schaut ungeduldig zu, wie der Stapel im Laster nur langsam wächst.
Der Lastwagen soll sich von Berlin aus in Richtung Polen und von dort weiter ins westukrainische Lwiw aufmachen. Der Fahrer erhält circa eine halbe Stunde vor der Grenze eine Nachricht. Er erfährt dann zu dem Grenzübergang, an dem die Wartezeiten gerade am kürzesten sind. Die Ladung wird in Lwiw, circa 70 Kilometer hinter der Grenze zu Polen, in Kleinlaster umgepackt. Die Fahrzeuge machen sich dann auf eine gefährliche Reise in die derzeit am heftigsten Regionen der Ukraine im Osten und in der Mitte des Landes.
Ilin ist erleichtert, dass keinem der Freiwilligen, die sich in der Ukraine ans Lenkrad der Hilfstransporte setzen, bisher etwas zugestoßen ist. Das abnehmende Volumen an Hilfsgütern, für das die Fahrer auf den Straßen des umkämpften Landes ihr Leben riskieren, bereitet ihm Sorgen. „Wir haben zu Beginn des Krieges zwei Laster voller Hilfsgüter in der Woche losgeschickt. Inzwischen haben wir Mühe, auch nur einen voll zu bekommen“, sagt er.
Selbst Spiritus für Operationen fehlt
Er lobt die Unterstützung der Berliner für die Geflüchteten aus der Ukraine. Ilin denkt aber an die Millionen Ukrainer, die im Land den Kämpfen ausgesetzt sind. Die Kriegshölle scheint konzentrische Kreise zu ziehen. „Wir unterstützen sechs Waisenhäuser in Lwiw. Ansonsten gehen alle unsere Güter tiefer ins Land. In der Westukraine ist die Versorgung ja noch am besten“, sagt Ilin.
Die Westukraine ist derzeit seltener Ziel der russischen Angriffe. Im Zentrum und im Osten des Landes seien dagegen viele Betriebe zerstört und Fabriken hätten den Betrieb eingestellt, berichtet Ilin. Je weiter im Osten der Ukraine, desto weniger verfügten die Menschen noch über das, was sie zum Überleben benötigen. Er zählt auf, was nun dringend fehlt: haltbare Lebensmittel, Medikamente aller Art, chirurgisches Material und die einfachsten Hilfsmittel für den Krankenhausbetrieb. „Wir haben Spiritusflaschen nach Kiew geschickt. Sogar Spiritus geht ihnen aus. Und jetzt wird so viel operiert“, sagt der Helfer. Nur eines fehle den Ukrainern derzeit nicht: Kleidung. „Wir haben Bedarfslisten erstellt, auf denen das vermerkt ist. Die Ukrainer haben wirklich genug zum Anziehen.“
Sie sitzen dort sonst im Dunkeln.
Benötigt werden auch Gegenstände, deren Verwendung an Friedenszeiten gewöhnte Menschen sich nicht sofort erschließt. Ilin spricht etwa von Stirnlampen und Knicklichtern, die nun dringend gebraucht werden. „Viele Menschen sind jetzt ohne Strom in Bunkern. Sie sitzen dort sonst völlig im Dunkeln“, sagt er

Versorgung verschlechtert sich von Tag zu Tag
Der Helfer erklärt sich die nachlassende Spendenbereitschaft mit dem Gewöhnungseffekt an die Nachrichten vom Krieg. Die Menschen in der Ukraine hätten diesen Luxus nicht. „Die Versorgung verschlechtert sich von Tag zu Tag“, sagt er. „Ich bitte die Berliner ganz dringend, jetzt nicht nachzulassen. Selbst wenn der Krieg endet, brauchen die Ukrainer noch Hilfe. Das Land ist zerstört.“
Brigitte Regiert ist eine von bis 140 Helfern, die an der Nathanael-Kirche in Schichten Spenden annehmen. Sie erstaunt die nachlassende Spendenbereitschaft nicht. Ich kenne meiner Berliner. Die haben gleich in ihren Kellern und Schränke geschaut, was sie spenden können. Jetzt ist aber wieder jeder mit seiner Arbeit beschäftigt, sagt sie.
Geflüchtete packen mit an
Die Unterstützer der Ukraine-Hilfe packen im Innenraum der Kirche auf den Bänken Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter in Kartons. Viele sprechen Ukrainisch. Es sind Geflüchtete. Gerade erst den Bomben entkommen, packen sie für Menschen mit an, die nicht flüchten können oder wollen.
Die Literaturlehrerin Liudmyla Kondrachuk aus Kiew kam am 10. März in Berlin an. „Meine Tochter lebt in Potsdam. Sie hat sich so große Sorgen gemacht, deshalb habe ich die Ukraine verlassen“, sagt sie. Die Entscheidung scheint ihr schwer gefallen zu sein. Kondrachuk erzählt, dass sie während der Maidan-Revolution vor acht Jahren in Kiew gegen den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch auf die Straße gegangen sei. Viele Ukrainer unterstützen die Demonstranten mit gespendetem Essen oder Schlafsäcken. „Wir haben damals gelernt, dass wir für die Freiheit etwas tun müssen“, sagt sie.
Für Erholung bleibt keine Zeit
Nun unterrichte sie ihre durch den Krieg in der Ukraine und in Europa verstreuten Schüler jeden Tag online. Jede freie Minute verbringe sie als Helferin. Nach Erholung von den Strapazen des Krieges und Flucht stehe ihr der Sinn nicht. „Die Arbeit ist jetzt mein Leben“, sagt sie.
Berliner können Spenden für die Ukraine auch an der Biesdorfer Oberfeldstraße an einem Sammelpunkt abgegen. Die 35-jährige Event-Managerin Viktoria Günther hat die Hilfsaktion „Vika hilft“ zu Beginn des Kriegs ins Leben gerufen. Die Resonanz war überwältigend. Bald fuhr von Biesdorf aus fast täglich ein Transporter voller Hilfsgüter bis an die 900 Kilometer entfernte polnisch-ukrainische Grenze, oft starteten sogar mehrere Transporte am Tag. Einige brachten die Spenden auch bis weit in das Land.

Mütter flüchten zu Fuß mit ihren Kindern
„Anfangs haben wir vor allem Kleidung an die Grenze gebracht“, erinnert sich Viktoria Günther. Die Mitarbeiter vom Malteser-Hilfsdienst vor Ort an der Grenze hätten ihnen aber schon bald signalisiert, dass davon gut vorhanden wäre. „Heute sind Kinderbuggys wichtig, weil viele Mütter nur mit einer Tasche und ihrem Kind auf dem Arm aus der Ukraine fliehen“, sagt die Initiatorin der Aktion. Und: Lebensmittel werden immer benötigt. Am besten Fleisch in Dosen und Dosensuppen, die mit einem Campingkocher warmgemacht werden könnten. Ebenso würden Schmerzmittel, Pflaster, Jodsalbe und Fieberzäpfchen noch immer dringend benötigt – auch Powerbanks mit Kabel, Taschenlampen oder Notstromaggregate.
Niemand kann permanent spenden.
Günther kennt aber auch die regionalen Unterschiede. In Lwiw zum Beispiel, wo die Initiative regelmäßig Krankenhäuser beliefert, seien neben Medikamenten und Verbandsstoffen durchaus Unterwäsche und Socken für die Männer nötig, die dort versorgt werden. In Tscherkassy am Dnepr warteten die Menschen auf Lebensmittel und Hygieneartikel.


