Berlin-Wie lange kann Berlin den Flüchtlingsstrom aus der Ukraine noch bewältigen? Es mehren sich Forderungen, den Katastrophenfall zu fordern, um auf diese Weise zusätzliche Ressourcen zu gewinnen und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen.
So spricht sich die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial für die Ausrufung des Katastrophenfalls aus. Das ermögliche etwa flexibel Räumlichkeiten zu beschlagnahmen, die als Notunterkünfte genutzt werden können, sagte sie dem RBB. Darüber hinaus könnten in so einem Fall leichter Personen von ihren Regelaufgaben abgezogen werden, um zu unterstützen.
Aus Sicht von Albrecht Broemme, der sich mit Katastrophen auskennt, ist es noch nicht so weit. Er leitete früher die Berliner Feuerwehr und dann das Technische Hilfswerk. Derzeit ist der 68-Jährige Koordinator für die Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge. „Einen Kat-Fall haben wir wahrlich nicht“, sagt er. Im Moment seien die Flüchtlingszahlen relativ niedrig. Ein Teil komme über Cottbus in andere Bundesländer, und aus Polen würden viele direkt in andere europäische Staaten verteilt.
Allerdings rechnet Broemme damit, dass die Zahlen demnächst wieder rapide steigen werden, auf 20.000 pro Tag. „Derzeit haben wir einen Rückstau, weil wegen der Kriegshandlungen die Fluchtwege in der Ukraine blockiert sind. Bis dahin sollten wir die Zeit nutzen, uns vorzubereiten.“ Am Hauptbahnhof seien die Abläufe bereits sehr gut organisiert, sagt er. Broemme bereitet derzeit in den Messehallen weitere Massenunterkünfte vor. Derzeit laufe die Erkundung der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne, wo Hunderte Familien unterkommen sollen. Wie viel freie Kapazität es dort gibt, das soll am Freitag feststehen.
Bundesländer können Katastrophenfall auslösen
Im Berliner Katastrophenschutzgesetz heißt es: „Katastrophen sind Ereignisse, die das Leben, die Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung einer Vielzahl von Menschen oder Tieren, die Umwelt oder sonstige bedeutsame Rechtsgüter in so außergewöhnlichem Ausmaß gefährden oder schädigen, dass deren Bewältigung nur unter Beteiligung der Katastrophenschutzbehörden und der Mitwirkenden im Katastrophenschutz angemessen geleistet werden kann und deren Zusammenwirken ressortübergreifend koordiniert werden muss.“
Ein Katastrophenfall kann vom jeweiligen Bundesland ausgerufen werden. So war es etwa in Halle und einigen Landkreisen in Bayern und schließlich dort landesweit während der Corona-Pandemie. Die Behörde muss dann alle anfallenden Kosten tragen und wegen der Maßnahmen erstandene Schäden ersetzen. Auch weitreichende juristische Konsequenzen können die Folge sein.
Bei einer Katastrophe hieße dies etwa, dass die Senatsverwaltung für Inneres die Maßnahmen koordiniert. Die Beschäftigten der Katastrophenschutzbehörden können verpflichtet werden, zur Verfügung zu stehen. Im Katastrophenfall oder bei einer Großschadenslage haben alle betroffenen Katastrophenschutzbehörden unverzüglich ihre Krisenstäbe in der durch Art und Ausmaß gebotenen Stärke einzuberufen. Katastrophenschutzbehörden – das sind die Senatskanzlei, die Senatsverwaltungen, die Bezirke, die Feuerwehr und die Polizei. Sie müssen dann eine ausreichende personelle Besetzung und deren unverzügliche Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeiten sicherstellen.
Im Katastrophenfall oder bei einer Großschadenslage tritt ein ressortübergreifendes Entscheidungsgremium zusammen und trifft ressortübergreifend Entscheidungen. Das Gremium setzt sich aus den Hausleitungen der Senatskanzlei und der übrigen betroffenen Senatsverwaltungen zusammen. Im Katastrophenfall beruft die Innensenatorin oder ein von ihr bestimmtes Mitglied der Hausleitung die Sitzungen ein und wirkt auf eine unverzügliche Entscheidung hin.
Jeder kann verpflichtet werden
Die Innenverwaltung kann zudem öffentliche Stellen zur Katastrophen-Abwehr anweisen und Personen über 18 Jahre sowie Personenvereinigungen zur Mitwirkung bei der Katastrophenabwehr in Anspruch nehmen. Die Betreffenden haben das laut Gesetz zu erdulden. Zudem kann Eigentum beschlagnahmt werden – im aktuellen Fall könnten dies Räume sein, in denen Flüchtlinge untergebracht werden. Auch Fahrzeuge könnten beschlagnahmt werden. Eine Klage dagegen bei Gericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Hilfsorganisationen können verpflichtet werden, Kräfte zur Verfügung zu stellen und haben den Anforderungen der Feuerwehr nachzukommen. Anerkannte private Hilfsorganisationen sind der Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser-Hilfsdienst. Alle Behörden des Landes Berlin, die nicht Katastrophenschutzbehörde sind, sind verpflichtet, diese zu unterstützen.


