Haftanstalten

Trotz Urteil und Haftbefehl: Tausende Kriminelle laufen in Berlin frei herum

Entweder ist für verurteilte Mörder und Vergewaltiger kein Platz im Gefängnis – oder gesuchte Verdächtige sind abgetaucht.

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit in Berlin.
Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit in Berlin.Paul Zinken/dpa

Die Berliner Polizei fahndet nach 1761 Verdächtigen, die mit Haftbefehl gesucht werden. Unter den Personen, die noch frei herumlaufen, für die aber ein Untersuchungshaftbefehl ausgestellt wurde, sind unter anderem 58 Mordverdächtige, acht mutmaßliche Totschläger, 41 mutmaßliche Sexualstraftäter wie Vergewaltiger und auch 101 Menschen, die wegen gefährlicher Körperverletzung gesucht werden. Gefahndet wird außerdem nach rund 400 Dieben, neun Geldfälschern und 13 Personen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie zwei mutmaßlichen Geheimdienstagenten.

Diese Zahlen nannte die Senatsinnenverwaltung auf eine Anfrage des justizpolitischen Sprechers der Linke-Fraktion, Sebastian Schlüsselburg.

Mit Stand 1. Juli waren für Berlin im polizeilichen Fahndungsbestand außerdem 7653 Datensätze zu Haftbefehlen zur Strafvollstreckung offen. Auf freiem Fuß sind etwa 64 Personen, die wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurden, ebenso 50 Menschen, die wegen sexueller Nötigung beziehungsweise Vergewaltigung Haftstrafen bekamen, sowie 262 wegen Körperverletzung und 156 wegen gefährlicher Körperverletzung Verurteilte. In Freiheit sind außerdem 52 verurteilte Wohnungseinbrecher, 68 Personen, die wegen Raubes, und 79 Personen, die wegen schweren Raubes verurteilt wurden, ebenso 460 Betrüger.

Untersuchungsgefängnis Moabit zu 100 Prozent belegt

„Es bereitet mir große Sorge, dass so viele Haftbefehle offen sind. Es kann nicht sein, dass insbesondere 58 Mordverdächtige, 13 Terrorverdächtige und 40 Sexualstrafverdächtige frei herumlaufen. Ich erwarte von der Polizei, dass hier Prioritäten gesetzt werden“, sagt Sebastian Schlüsselburg.

Gleichzeitig war nach den Zahlen der Justizverwaltung Ende August die Untersuchungshaftanstalt Moabit zu 100 Prozent belegt. Für Schlüsselburg ist das nicht nachvollziehbar. „Berlin ist also aktuell nicht einmal ansatzweise in der Lage, die offenen Haftbefehle auch zu vollstrecken“, sagt er. Allein 329 Haftplätze seien mit Ersatzfreiheitsstraflern belegt, darunter viele sogenannte Schwarzfahrer. „Es wird Zeit, dass Gefängnisse von Bagatell- und Armutsstraflern befreit werden. Wer gefährdet die Sicherheit denn mehr – obdachlose Schwarzfahrer oder frei herumlaufende Mord- und Terrorverdächtige?“