Wohnungsnot

Trailerpark Karlshorst: 220 Menschen ohne Strom, und „die Lage spitzt sich zu“

In der Wohnwagensiedlung verschlechtert sich die Lage. Seit einer Woche gibt es keinen Strom. Hinter allem steckt ein Vermieter mit krimineller Vergangenheit

Ohne Strom: das Containerdorf im Hönower Wiesenweg 24/25 in Karlshorst.
Ohne Strom: das Containerdorf im Hönower Wiesenweg 24/25 in Karlshorst.Volkmar Otto

Sie leben in alten Wohnwagen oder in engen Containern; oft sind es nur wenige Quadratmeter. Trotzdem kostet die Miete hier bis zu 600 Euro pro Monat. Am Hönower Wiesenweg 24/25 in Karlshorst wohnen derzeit mehr als 220 Menschen in einem sogenannten Trailerpark.  Sie sind zum Teil arbeitslos, drogenabhängig oder psychisch krank. Manche sind von Altersarmut betroffen oder Geringverdiener.

Der Andrang auf Wohnungen in Berlin ist so groß und die Immobilienpreise so hoch, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als bis zu 600 Euro für ein kleines Fleckchen Privatsphäre auf einem Trailerpark auszugeben. Aber auch Menschen, die es sich eigentlich leisten könnten, woanders zu wohnen, leben in den Wohnwagen.

Doch dort, wo diese Menschen ohnehin schon unter prekären Bedingungen leben mussten, fehlt nun auch noch der Strom. Die Stromnetz Berlin GmbH hat der Containersiedlung die Zufuhr gekappt, wie der Bezirksstadtrat Kevin Hönicke (SPD) mitteilte. Nach Angaben des Bezirksamts Lichtenberg habe sich der Netzbetreiber aufgrund von „Sicherheitsbedenken und illegalen Stromerwerbs“ zu dem Schritt entschieden. Erst wenn der Eigentümer des Grundstücks beide Aspekte behebe, würde der Strom wieder angeschaltet. 

Aus dem Gefängnis ausgebrochen

Eine Woche ist es nun her, seit der Siedlung buchstäblich das Licht ausgeknipst wurde. „Die Lage spitzt sich zu“, sagt Kevin Hönicke im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Die Menschen sind hochgradig sauer.“ Auf ihren Vermieter, Ulrich Ziegler, den Eigentümer des Grundstücks. Der 34-jährige Mann ist der Polizei und den Medien nicht unbekannt: 2014 gelang es ihm, aus dem Gefängnis auszubrechen und für zwei Wochen vor der Polizei zu fliehen, bevor diese ihn wieder schnappte. Seit 2018 ist Ziegler wieder frei, und laut „Focus Online“ gehören ihm mehrere Grundstücke in Berlin.

Auch in Treptow-Köpenick errichtete er bereits kleinere Trailerparks, die aber wieder geräumt werden konnten. Die Siedlung in Karlshorst ist offenbar nicht zu stoppen. „Holen wir Leute raus, bringt er wieder neue rein“, sagt Hönicke, „und es werden mit jedem Mal mehr. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen.“ Deswegen glaubt Hönicke auch, dass eine Räumungsaktion unter dem Strich nicht viel bewirken würde.

„Herr Ziegler verkauft seine Machenschaften als soziales Projekt“, sagt der Sozialdemokrat. „Ich sage: Er benutzt die Menschen als Schutzschild.“ Denn eine Räumungsaktion treibe die Menschen entweder in die Obdachlosigkeit, oder das Bezirksamt müsse sich darum kümmern, die Menschen unterzubringen. Letzteres ist in Berlin eine echte Herausforderung. „Unter den Bewohnern sind Menschen mit Problemen. Außerdem ist nicht jeder sofort bereit, seine Unterkunft zu verlassen.“

Ellen (52) wohnt auf zwölf Quadratmetern und zahlt 600 Euro für ihren Wagen. Sie lebt hier seit anderthalb Jahren.
Ellen (52) wohnt auf zwölf Quadratmetern und zahlt 600 Euro für ihren Wagen. Sie lebt hier seit anderthalb Jahren.Volkmar Otto

Formal habe das Bezirksamt Lichtenberg nämlich seit längerem eine Nutzungsunterlassung rechtlich durchgesetzt bekommen. Das heißt: Theoretisch könne der Platz jederzeit geräumt werden. Aus Sorge, dass die dort lebenden Menschen in die Obdachlosigkeit geschickt werden, blieb es allerdings bisher bei einer Protokollerklärung vor Gericht. Die legt fest, dass die Nutzungsunterlassung vor Mai 2024 nicht vollstreckt wird, solange sich der Zustand der dort lebenden Personen nicht verschlechtere. 

Trotz Stromabschaltung hätten die Polizei und die Feuerwehr Hönicke versichert, dass „Leib und Leben der Menschen akut nicht gefährdet sind“. Doch wie es im Hinblick auf den Winter weitergehen soll, ist noch völlig unklar. Insgesamt sind 90 Wohneinheiten auf zwei Duschcontainer angewiesen gewesen, von denen derzeit nur noch einer warmes Wasser hat. Notstrom wurde lediglich für Aquarien angeschaltet, weil sonst die Fische unmittelbar gestorben wären, sagt Hönicke.

Der RBB besuchte vor einigen Tagen eine Rentnerin in einem der Wohncontainer. Christine Schulze ist nachts auf ein Atmungsgerät angewiesen. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung versicherte Kevin Hönicke nun, die Mieterin sei inzwischen in einem Hotel untergebracht worden. „Ich stehe mit Frau Schulze schon seit einem Jahr in Kontakt“, sagt der Stadtrat, „sie wollte schon länger unbedingt da raus.“

Hönicke und das Bezirksamt Lichtenberg wollen jedem Anwohner des Trailerparks ein Angebot machen, wenn er oder sie nicht mehr dort leben möchte. Bisher hätten sie vier Personen seit der Stromabschaltung herausgeholt. „Die Menschen können nichts dafür, dass Herr Ziegler illegale Vermietung betreibt.“

Auch der Bezirksverband der Partei Die Linke glaubt dem Vermieter mittlerweile nicht mehr, dass er aus sozialen Motiven handele. „Ulrich Ziegler ist ein undurchsichtiger Charakter“, sagt Antonio Leonhardt. „Einerseits ist er sehr profitorientiert und presst das Maximum aus den Bewohnern und dem Grundstück heraus, auf der anderen Seite scheint er manchmal doch um seine Bewohner besorgt.“ Antonio Leonhardt ist in der Stadtentwicklungspolitik tätig und hat schon einige Male mit Ziegler persönlich gesprochen. 

Im Trailerpark in Karlshorst gibt es mittlerweile 90 Wohneinheiten.
Im Trailerpark in Karlshorst gibt es mittlerweile 90 Wohneinheiten.Volkmar Otto

Laut Leonhardt müsse Ziegler das Grundstück in Karlshorst bereits in den frühen 2000ern für „einige Tausend Euro“ erworben haben. „Jetzt hat es einen Millionenwert.“ Wann sich der Trailerpark genau etabliert hat, ist nicht bekannt. „Als das noch Industriebrachland war, hat sich niemand dafür interessiert“, sagt Leonhardt. Aufmerksamkeit für Zieglers Siedlung gab es erst, als unter dem Schirm von Bonova mit der „Parkstadt“ ein krachneues Wohngebiet in unmittelbarer Nähe entwickelt wurde. Besonders die CDU ist an einer Räumung interessiert.

Die Linke hingegen formuliert noch schärfer als die SPD die Schattenseiten einer Räumung: „Die Menschen können nirgendwohin“, sagt Leonhardt. „Sicher werden sie für ein, zwei Nächte in eine Unterkunft gebracht, was danach passiert, interessiert jedoch keinen. Dann sind sie nämlich von der Fläche runter.“ Das sei nach Meinung von Leonhardt das eigentliche Endziel all jener, die so stark auf Räumung pochen. „Das Bezirksamt muss auf jeden Fall versuchen, die Situation zu deeskalieren und vor allem: den Menschen zu helfen.“ Die gerichtliche Räumungsfrist von Mai 2024 will die Linke allerdings auch einhalten. Deswegen sei es umso wichtiger, damit anzufangen, langfristige Alternativen für die Bewohnerinnen und Bewohner des Trailerparks zu finden. 

Kevin Hönicke ist sich seiner Verantwortung offenbar bewusst. „Man muss hier zwischen moralischem und rechtlichem Anspruch unterscheiden“, sagt er. Rechtlich gesehen, wäre die Räumung überfällig, moralisch aber kann Hönicke dies momentan nicht mit sich vereinbaren.