In Gedanken scrollt die Mutter des getöteten Momo durch ihr Telefon, guckt sich immer wieder Bilder ihres Kindes an. Sie wartet vor Saal 501 des Landgerichts in der Turmstraße, der zweite Prozesstag hat offiziell schon begonnen. Doch in den Saal dürfen die Eltern noch nicht. Eine Zeugin ist nicht pünktlich gekommen. Auch heute fehlt das so markante weiße T-Shirt. Darauf angesprochen, lächelt Momos Mutter. Im ersten Prozess im vergangenen Frühjahr erkannten Unbeteiligte sofort Momos Familie, seine Freundinnen und Freunde. Alle trugen das weiße T-Shirt mit einem Foto des 13-Jährigen, eingerahmt von einem Herzen. „Wir vermissen dich“, war dort zu lesen.
Heute äußert sich der Angeklagte Gökhan Ü., zum zweiten Mal. Schon im April 2021 gab er vor Gericht die Taten zu. Ja, er habe das 13-jährige Kind am 31. Oktober 2020 getötet, sagte er damals, auch gab er zu, Momos Begleiter schwer verletzt zu haben. Plädierte aber noch auf Notwehr. Die Gruppe der Kinder sei aggressiv gewesen, nannte sie „Typen, die Streit suchten“. Mit seinem schwachen Herzen hätte er, der damals 41-jährige Erwachsene, es mit den Teenagern nicht aufnehmen können. Deshalb die Stiche. Einer davon war tödlich.
Jetzt, über ein Jahr später, klingt das anders. Von Notwehr ist keine Rede mehr. Vielleicht auch, weil der Bundesgerichtshof seine Revision im März abgewiesen hatte. Beim jetzt wieder aufgerollten Prozess geht es also nur noch um die Frage: War es Totschlag oder Mord? Entscheidend sei nur die Motivation der Tat, betonte auch die Vorsitzende Richterin heute. Dass der Angeklagte Momo vor knapp zwei Jahre getötet hat, „steht fest“.
Angeklagter: „Ich bin kein Kindermörder“
„Eins bin ich bestimmt nicht, ein Kindermörder“, lässt der Angeklagte über seine Rechtsanwältin sagen. Er bereue seine Taten sehr. Selbst Vater, könne er nachvollziehen, wie schmerzhaft sich die Tötung des eigenen Kindes anfühlen müsse. Er sei von der Situation überfordert gewesen, auch verwirrt und ängstlich. Er habe „einen Fehler gemacht“, gibt er zu Protokoll. Heute schaffe er es aber nicht, sich selbst zu seinen Taten zu äußern. Später im Prozess, fügt seine Anwältin vor der 32. Strafkammer hinzu, sei das aber durchaus noch geplant.
Die Eltern von Momo, keine drei Meter von dem Mann entfernt, der ihr Kind getötet hat, hören zu. Ruhig, nur im Gesicht ahnt man zu erkennen, wie sehr sie diese Aussagen mitnehmen. Dass der Prozess nun wieder aufgerollt wird, alles von vorn losgeht, ist auch für die Mutter nicht leicht. Auf den neuen Prozess angesprochen, schüttelt sie mit den Händen. Schwer sei das.
Beim ersten Prozess wurde Sarah F., die Begleiterin von Ü., zu einer wichtigen Zeugin. Sie sagte damals aus, dass Ü. ihr später die Taten gestanden hatte. Dass Momo „aus seinen Fehlern“ lernen solle und dass Ü. das Verhalten „respektlos“ gefunden habe. Über ein Jahr später sagt der Angeklagte dazu nur, dass er „dummes Zeug“ geredet habe. Auch geschuldet durch die Eindrücke der Taten. Ü. war mit F. auf einem Date, wollte – so sagt er vor Gericht – die Nacht mit ihr verbringen. „Ich träume immer noch von der Nacht“, sagt er in seiner Einlassung, „und hätte mir das Date anders vorgestellt“.
Aussage des zweiten Nebenklägers: Momo rief nach seiner Mutter
Achmed S. ist das zweite Opfer des Angeklagten. Er überlebte den Angriff, tritt auch in diesem zweiten Prozess als Nebenkläger auf. Das Gericht bewertete den Angriff auf ihn damals als minder schweren Fall gefährlicher Körperverletzung. Er erlitt eine Stichwunde im Oberkörper, war nach der Tat wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Der 23-Jährige fiel beim ursprünglichen Prozess allerdings durch erhebliche Widersprüche seiner Aussagen auf, an diesem Mittwoch erzählt er aber konsistent.
Das Gericht lud ihn auch nur, um die Geschehnisse direkt vor der Tat zu klären. Maßgeblich für seine Aussage seien, so die Richterin, nur die unmittelbare Begegnung zwischen Momo und dem Angeklagten. Auch hier zeigt sich wieder, dass der Angeklagte bereits schuldig gesprochen worden ist. Es geht deshalb ausschließlich um die Tatmotivation.
Der Zeuge S. traf Momo kurz vor der Tat an Halloween, gemeinsam gingen sie Richtung Monbijoupark. In der S-Bahn-Unterführung habe er sich von Momo und seiner Gruppe verabschiedet, da er anders verabredet gewesen sei. Am Angeklagten und seiner Begleitung F. ist er vorbeigegangen, außer „merkwürdiger Blicke“ habe er aber nichts Außergewöhnliches wahrgenommen.
Auf Nachfrage verdeutlicht Achmed S., dass der Angeklagte ihn „verächtlich“ angeschaut habe. Zu einer Berührung mit Gökhan Ü. oder seiner Begleitung sei es nie gekommen. Nachdem S. bereits am Beschuldigten vorbeigelaufen ist, habe er plötzlich Schreie gehört. Als er sich umdrehte, habe er dann gesehen, wie Ü. den 13-jährigen Momo mit der linken Hand festhalte, in die Ecke drückte. Erst dann soll Gökhan Ü. das Messer gezogen und zugestochen haben.







