Crime

28-Jähriger brachte Eltern um: „Ich wollte endlich meine Ruhe haben“

Andreas Bach* lebte wie in einem Gefängnis. Als er versuchte, sich umzubringen, bezeichneten ihn seine Eltern als Versager vom Dienst. Da brachte er sie um.

In diesen Fässern fand die Polizei Leichenteile.
In diesen Fässern fand die Polizei Leichenteile.Klaus Oberst

Es war kein Hass, der Andreas Bach* zum Äußersten trieb. „Ich wollte nur endlich meine Ruhe haben“, sagte er dem psychiatrischen Gutachter zu dem, was er getan hat. Es ist ein Satz, der eine unverständliche und furchtbare Tat erklären soll. Eine Tat, die wohl niemand versteht, der das Leben des jungen Mannes und seiner Eltern Susanne und Dietmar Bach* nicht kennt. Eine Familie, die der Psychiater als paranoid-schizoid bezeichnet – als eine Festung.

Andreas Bach wollte aus dieser Festung, aus diesem Gefängnis ausbrechen. Im Juni 2010 hat der damals 28-Jährige in einer brandenburgischen Kleinstadt Mutter und Vater umgebracht.

1982 wird Andreas Bach geboren, am 39. Geburtstag seines Vaters. Mutter Susanne, eine ehrgeizige Frau, ist sieben Jahre jünger als ihr Mann. Sie hat Chemie studiert, arbeitet im nahegelegenen Chemiefaserwerk. Die kleine Familie lebt in einer Doppelhaushälfte. Der Junge wird mit einer Fehlstellung der Füße geboren. Die Innenseiten der Fußsohlen sind verdreht. Die sogenannten Klumpfüße werden im Krankenhaus operiert, doch er läuft nie so wie andere Kinder.

Freunde hat der Junge nicht

Die Familie hat wenig Kontakt zu den Menschen in der Siedlung. Susanne Bach gilt als dominant. Ihr Mann, ein gelernter Schlosser, wird als ein ruhiger Zeitgenosse beschrieben. Streit zwischen den Eheleuten bekommen die Nachbarn nicht mit. Wie auch, dann hätten ja beide etwas sagen müssen, wird ein Zeuge vor Gericht erklären.

Andreas wächst allein auf, besucht nie einen Kindergarten. Die Erziehung übernimmt die Mutter. Susanne Bach geht dabei nach Unterlagen vor, die sie sich von einer befreundeten Erzieherin hat geben lassen. Sie will alles richtig machen, wacht wie eine Glucke über ihren Sohn, den sie „Hasilocke“ ruft.

Als Andreas in die Schule kommt, bringt ihn sein Vater zum Unterricht und holt ihn auch wieder ab. Freunde hat der Junge nicht, bei den Klassenfahrten fehlt er. Er wird nie zu einem Kindergeburtstag eingeladen. Auch auf dem Schulhof wird er von den Schulkameraden gemieden.

Der ganze Fokus lag auf der Bildung des Sohnes

Trotzdem ist er ein guter Schüler. Er hat einen Notendurchschnitt von 1,2. In der fünften Klasse rutscht er ab auf 1,5. Eigentlich nichts Dramatisches. Doch für die Mutter ist es eine Katastrophe. Die Hausaufgaben kontrolliert sie von nun an noch intensiver. Solange, bis der Junge aufs Gymnasium kommt.

Zu dieser Zeit sind Susanne und Dietmar Bach längst arbeitslos. Sie seien nach der Wende nie in der neuen Welt angekommen, sagen Bekannte. „Sie haben sich immer auf der Verliererseite gesehen“, erzählt ein anderer Nachbar. Sie hätten all ihre Hoffnungen auf ihren einzigen Sohn projiziert, wird der Hausarzt der Familie als Zeuge vor Gericht die Familiensituation beschreiben.

Idyllisch gelegen: In diesem Haus brachte Andreas Bach seine Eltern um.
Idyllisch gelegen: In diesem Haus brachte Andreas Bach seine Eltern um.Klaus Oberst

Eine unheilvolle Beziehung

Es ist eine unheilvolle Beziehung, die sich in all den Jahren zwischen Eltern und Kind aufgebaut hat. Susanne und Dietmar Bach haben ihren Sohn immer unter Kontrolle. Sein enges Zimmer, in das gerade mal ein Bett, ein Schrank und ein Stuhl passen, liegt direkt neben dem Schlafzimmer der Eltern. Selbst als der Junge kein Kind mehr ist, begleiten ihn die Eltern zum Arzt. Dort sagt Andreas Bach nie etwas, seine Mutter spricht für ihn.

Andreas liebt Mathematik und Informatik, er programmiert in seiner Freizeit Computerspiele. Am liebsten aber würde er Medizin studieren und Chirurg werden. Doch das will seine Mutter nicht. Susanne Bach ist eine zänkische Frau geworden, die sich auch mit den Nachbarn anlegt. Sie hat für ihren Sohn andere Pläne. „Mutti hat gemeint, Anwalt sei ein ehrbarer Beruf“, erzählt Andreas Bach vor Gericht. Jura solle er studieren, sagt die Mutter. Kein Wunsch, ein Befehl.

Ihr Sohn gehorcht. Er sei der Auseinandersetzung darüber aus dem Weg gegangen, wird er sagen. Als sich Andreas Bach an der Universität für das Jura-Studium einschreibt, sind seine Eltern dabei. Morgens, wenn der junge Mann zur Uni fährt, schließt ihm sein Vater das Tor auf. Am Nachmittag wartet Dietmar Bach schon ungeduldig hinter dem Gartenzaun auf seinen Sohn, um ihn wieder hereinzulassen. So erzählen es die Nachbarn. Andreas sei immer wortlos an seinem Vater vorbeigegangen. Er habe noch nicht einmal einen eigenen Schlüssel gehabt. Selbst die Ferien verbringt er mit seinen Eltern.

Ein Selbstmordversuch, der misslingt

17 Semester quält sich der junge Mann durch das Studium. Er traut sich nicht, hinzuschmeißen. „Jura war überhaupt nichts für mich“, wird er später sagen. Er habe jedoch keine Alternativen gesehen. „Ich bin es gewöhnt, etwas zu Ende zu bringen, was ich angefangen habe.“

Im Januar 2009 erklärt er seine Eltern, er habe das erste Staatsexamen bestanden. Eine Lüge. Von seinen Ersparnissen kauft er sich heimlich Computertechnik und träumt von einem Leben, das er nicht leben darf. Er beschließt, der Festung zu entkommen.

Am 20. November 2009 kauft sich Andreas Bach ein Messer, dann steigt er auf den Dachboden der juristischen Fakultät und schneidet sich die Pulsadern auf. Doch der Selbstmordversuch misslingt. Als die Wunden aufhören zu bluten, wählt er die Notrufnummer.

Die Atmosphäre in der Familie war eiskalt

Eine Woche bleibt der junge Mann im Krankenhaus. Ärzte finden seine Eltern einfühlsam und hilfsbereit. Der psychiatrische Gutachter erklärt später, dass das Verhalten von Susanne und Dietmar Bach in der Klinik nur Fassade gewesen sei. In Wirklichkeit seien sie tief enttäuscht gewesen. „Für sie ist eine Welt zusammengebrochen.“

Andreas Bach findet nun den Mut, sein ungeliebtes Studium abzubrechen. Doch er kehrt auch wieder in die Doppelhaushälfte zurück. Gespräche über den Selbstmordversuch sind dort tabu. Den Nachbarn erzählen die Eltern, Andreas sei wegen eines Unfalls in stationärer Behandlung gewesen. Für Susanne und Dietmar Bach ist der Sohn nun der „Versager vom Dienst“, so wird es Andreas Bach später dem psychiatrischen Sachverständigen berichten.

Die Feiern zu Weihnachten, Silvester und dem gemeinsame Geburtstag mit dem Vater fallen aus. „Weil Mutti nicht danach war“, sagt Andreas Bach. Selbst der sonst so zurückhaltende Vater überschüttet den Sohn mit Häme: Opa habe es im Zweiten Weltkrieg immerhin geschafft, sich selbst umzubringen, sagt er. Als „eiskalt“ beschreibt der Gutachter die Atmosphäre in der Familie.

Dietmar Bach ist schlecht gelaunt

Andreas Bach bleibt nicht untätig. Er hat ein Ziel, will Diplom-Finanzwirt werden. Die Arbeit mit Zahlen sei für ihn etwas Konkretes gewesen, gibt er später zu Protokoll. Für seine Mutter allerdings ist ein Fachschulabschluss nur zweitklassig. Der junge Mann lässt sich jedoch nicht beirren. Er schickt Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz nach Nordrhein-Westfalen, zum Bund und nach Hamburg.

Nordrhein-Westfalen und der Bund sagen ab, für Hamburg erhält Andreas Bach eine Einladung zum mündlichen Auswahlgespräch. Termin ist der 10. Juni 2010. Es sei seine letzte Chance gewesen, aus dieser Familie herauszukommen, wird sein Anwalt später erklären.

Als Andreas Bach am 9. Juni 2010 aufsteht, um einen Tag vor dem Gespräch nach Hamburg zu fahren, ist er eigentlich guter Dinge. Doch das ändert sich schon bald. Seine Mutter schläft noch, als er zusammen mit seinem Vater am Frühstückstisch sitzt. Dietmar Bach ist schlecht gelaunt.

Andreas Bach greift nach dem Küchenmesser

Schließlich gehen Vater und Sohn in den Keller. Dietmar Bach will Kartoffeln holen, mittags soll es Kartoffelsalat geben. Sein Sohn benötigt die Kühltasche. Der Vater hat eine blaue Schüssel und ein Küchenmesser dabei, mit dem er den Kartoffelsack aufschneiden will. Er geht voran, stellt im Keller die Schüssel mit dem Messer ab.

Dann, so schildert es Andreas Bach vor Gericht, habe der Vater angefangen zu nörgeln. „Er sagte, dass er nur wegen mir so früh aufstehen musste, um mich zum Bahnhof zu fahren.“ Damit nicht genug. Dietmar Bach äußert, dass die Fahrt nach Hamburg „sowieso sinnlos“ sei. „Bei mir lief etwas über. Es hat Klick gemacht“, sagt der junge Mann.

Andreas Bach greift nach dem Küchenmesser. Sei still, schreit er seinen Vater an und sticht zu. Immer wieder. Selbst als der 67-Jährige längst bäuchlings am Boden liegt. Dann läuft er ins Bad, zieht sein verschwitztes und blutverschmiertes T-Shirt aus und denkt, dass er für Hamburg packen müsse. Auf dem Weg in sein Zimmer wird seine Mutter wach.

Der Tod der Eltern

Was dann geschieht, hat Andreas Bach später so berichtet: Die Mutter habe ihn gefragt, ob er sich reisefertig mache. Dann habe sie ihm zugerufen: „Du kannst dir die Reise sparen, es ist nur Geldverschwendung.“ Als der Sohn gehen will, schimpft ihm seine Mutter hinterher, dass sie noch nicht fertig sei. „Es war dieselbe Leier wie im Keller“, wird der junge Mann sagen. Aus dem Werkzeugkasten holt er sich einen Hammer, stürmt damit ins Schlafzimmer und schlägt zu – bis seine 60-jährige Mutter tot ist.

Die Leichen wickelt Andreas Bach in Malerfolie, die er mit Paketband verklebt. Seine blutigen Sachen stopft er in einen Müllsack. Dann fährt er mit dem Auto zum Bahnhof, steigt kurz nach 11 Uhr in den Zug nach Hamburg, übernachtet in einem Hotel und ist am nächsten Tag pünktlich zum Vorstellungsgespräch in der Finanzverwaltung. Noch am selben Tag fährt er mit dem Zug zurück, gegen 18 Uhr ist er wieder zu Hause – bei seinen toten Eltern.

Die sterblichen Überreste von Susanne Bach

Andreas Bach kauft eine Kettensäge, um die Leichen zu zerteilen. Zunächst probiert er Schnitte an einem Holzbalken. Er besorgt sich auch einen Fernseher, um die Fußball-Weltmeisterschaft sehen zu können. Den Verwesungsgeruch, der durch das Haus wabert, versucht er, mit Duftkerzen zu übertünchen. Nachts verbrennt er die Leiche seines Vaters im Ofen, am Tag zerstückelt er seine Mutter. Die Leichenteile stopft er in Plastiktüten, die er in blauen 60-Liter-Maischefässern deponiert.

Den Nachbarn erzählt der junge Mann, seine Eltern seien bei einer Studienkollegin der Mutter. Dabei waren sie bis dahin kaum länger als ein paar Tage weg – und nie ohne ihren Sohn. Nach vier Wochen ruft ein misstrauisch gewordener Bewohner der Siedlung die Polizei. Die Beamten stoßen im Schuppen auf die Plastikfässer mit den sterblichen Überresten von Susanne Bach und auf einen Pappkarton mit der Asche ihres Mannes.

Der junge Mann bekommt die Höchststrafe

Andreas Bach gesteht sofort, Mutter und Vater getötet zu haben. Im Prozess erzählt der blasse, hagere junge Mann mit den viel zu kurzen Hosen emotionslos von seinem fremdbestimmten Leben. Es habe ihm der Mut gefehlt, einfach seine Sachen zu packen und sein eigenes Leben zu führen. Der psychiatrische Gutachter attestiert dem Angeklagten eine schizoide Persönlichkeitsstörung. Bei der Tötung des Vaters sei Andreas Bach vermindert schuldfähig gewesen.

Trotzdem bekommt der junge Mann die Höchststrafe. Im Februar 2011 wird er wegen zweifachen Mordes aus Heimtücke zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Richter sagt zu der Entscheidung, es sei ein Urteil, das man nicht unbedingt als befriedigend empfinden müsse. Sechs Monate später wird das Urteil rechtskräftig.

* Namen geändert.

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