Crime

Der Uckermark-Mord an Andrea Steffen: Wie ein Täter sich selbst bestrafte

Andrea Steffen war 15, als sie in der Uckermark missbraucht und getötet wurde. Jahrelang blieb der Mord unaufgeklärt. Dann nahm sich ein Fahnder der Sache an.

Andrea Steffen wurde im Mai 1991 missbraucht und ermordet. Sie wurde 15 Jahre alt.
Andrea Steffen wurde im Mai 1991 missbraucht und ermordet. Sie wurde 15 Jahre alt.dpa

5164. Diese Nummer trägt die Spur, und sie ist eine von 39 Bodenproben, die im Jahr 2011 bei den Ermittlungen im Mordfall Andrea Steffen in der Uckermark gesichert wurden. Spur Nummer 5164 stammt von der Waldkante eines Feldes, das zwischen den Ortschaften Peetzig und Steinhöfel liegt. Laut Gutachten weist die Bodenprobe eine vollständige Übereinstimmung mit den Bodenpartikeln auf, die die Mordermittler 1991 an einer Socke sichergestellt hatten.

Der Strumpf war das einzige Kleidungsstück, das Andrea Steffen noch trug, als ihre Leiche gefunden wurde. Spur Nummer 5164 und weitere Indizien überzeugten die Ermittler, den wahren Mörder der Schülerin gefunden, das Verbrechen an der 15-Jährigen aufgeklärt zu haben. Nach 20 Jahren.

Mord verjährt nicht

Axel Hetke sitzt vor einem dünnen Ordner, bunte Pagemarker kennzeichnen die wichtigsten Stellen. Hetke ist 64 Jahre alt. Er war Chefermittler, als die Mordsache Andrea Steffen vor zehn Jahren als geklärt zu den Akten gelegt wurde. Es ist ein Fall, der zeigt, wie Ermittlungsdruck einen Täter auch nach langer Zeit noch überführen kann. Mord verjährt nicht. Trotzdem musste sich der Mörder der Jugendlichen nie vor einem Gericht verantworten.

Andrea Steffen war das jüngste von vier Geschwisterkindern. Sie wuchs in einem Ort bei Berlin auf. Als sich die Eltern scheiden ließen, blieb sie zusammen mit einer Schwester bei der Mutter. Mit dem Stiefvater, der bald zur Familie gehörte, verstand sich Andrea nicht. Als sie elf Jahre alt war, riss sie von Zuhause aus. Sie stieg in Berlin in einen Zug, der sie nach Neubrandenburg brachte. Dort wurde sie aufgegriffen.

Da Andrea nicht nach Hause zurück wollte, kam sie in ein Neubrandenburger Kinderheim. „Sie hat sich eigentlich ganz wohl dort gefühlt“, erzählt Hetke. Andrea war ein hübsches, kluges Mädchen, gut in der Schule – aber auch unternehmungslustig. Schon öfter war sie abgehauen aus dem Heim. Wenn es Ärger gab, wusste sie sich zu verteidigen.

Ein Ehepaar fand die nackte Leiche des Mädchens in einem Wald

Der 14. Mai 1991 war ein Dienstag. An jenem Tag beantragten Andrea Steffen und ihre Freundin Ausgang. Bis 22 Uhr hätten die Teenager im Heim zurück sein müssen. Doch die Mädchen hatten andere Pläne. „Entweder wollten die beiden Jugendlichen zu Andreas Schwester nach Berlin oder nach Schwedt, in das sogenannte Papageienhaus, in dem junge Menschen lebten“, sagt der Erste Kriminalhauptkommissar a. D.

Die Mädchen standen an der Bundesstraße 96, sie wollten trampen. Doch als kein Autofahrer anhielt, brach Andreas Freundin gegen 18 Uhr das Vorhaben ab und kehrte ins Heim zurück. Allein. Andrea hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch mitgenommen zu werden. Offenbar ging ihr Wunsch in Erfüllung – mit verhängnisvollen Folgen.

Am nächsten Morgen wurde die Jugendliche von Mitarbeitern des Kinderheims bei der Polizei als vermisst gemeldet. Es dauerte jedoch fünf Tage, bis klar wurde, was mit Andrea Steffen geschehen war. Am 19. Mai 1991 stieß ein Ehepaar beim Spaziergang auf die unbekleidete Leiche eines Mädchens.

Die Obduktion ergab, dass die Schülerin vergewaltigt und erwürgt worden war

Die Tote lag in einem Waldstück bei Warnitz nahe der Autobahn 11. Es gehört zum Gramzower Forst. Die Leiche trug nur einen Strumpf – und der gab erste Anhaltspunkte auf die Identität der Toten. „An der Socke war ein Wäschezeichen befestigt“, erinnert sich Hetke. Das Zeichen trug eine Nummer: 107. Diese Zahl war in allen Kleidungsstücken von Andrea Steffen zu finden, um sie nach dem Waschen zuordnen zu können. Jedes Kind im Heim hatte für seine Kleidungsstücke eine eigene Nummer.

Wenig später wurde aus der Befürchtung Gewissheit: Bei der Toten handelte es sich tatsächlich um die vermisste Andrea Steffen. Die Obduktion ergab, dass die Schülerin vergewaltigt und erwürgt worden war. Der Täter hatte gar nicht erst versucht, die Leiche unter Laub und Ästen zu verstecken.

„Die Rechtsmediziner gingen davon aus, dass Andrea schon kurz nach ihrem Verschwinden umgebracht wurde“, sagt Hetke. Während wenige Tage nach dem Auffinden der Leiche auch der Rucksack des Mädchens entdeckt wurde, fand die Polizei erst Anfang August 1991 bei einer sogenannten Nachsuche die Kleidungsstücke, die es bei ihrem Verschwinden getragen hatte. Etwa einen Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt lagen sie verstreut unweit eines Weges – zwischen den Ortschaften Gramzow und Melzow. „Es sah aus, als hätte sie der Täter aus einem Auto geworfen“, sagt der Ermittler. Auch die Kleidungsstücke enthielten Etiketten mit der Nummer 107.

Die Kriminalisten fanden nur wenige relevante Spuren

Die Kriminalisten waren sich sicher: Der Fundort der Leiche war nicht identisch mit dem Tatort. Die Erdspuren an Andreas Strumpf passten laut einem Gutachten nicht zu den Beschaffenheiten des Bodens in dem Wald bei Warnitz. Der Täter, so die Überzeugung der Fahnder, musste die Leiche mit einem Auto zum Ablageort geschafft haben. Der nahe Waldweg war jedoch zugewachsen, dort konnten keine Reifenprofile gesichert werden.

Ende März 2011 findet in der Uckermark der bis dahin größte Massengentest statt. Hunderte Männer geben eine Speichelprobe ab.
Ende März 2011 findet in der Uckermark der bis dahin größte Massengentest statt. Hunderte Männer geben eine Speichelprobe ab.dpa

Überhaupt fanden die Kriminalisten nur wenige relevante Spuren. DNA-Untersuchungen, so wie sie heute üblich sind bei Kapitalverbrechen, gab es damals noch nicht. Wo also anfangen mit der Suche nach dem Mörder? Zeugen waren nicht zu finden. Bis heute ist die Gegend ein dünn besiedeltes Gebiet. Eineinhalb Jahre ermittelte die Polizei im Mordfall Andrea Steffen, Ende 1992 wurden die Akten ergebnislos geschlossen.

Axel Hetke war zu dieser Zeit Chef der Kriminalpolizei in Bernau bei Berlin und hatte nichts zu tun mit den Ermittlungen. Das sollte sich erst viele Jahre später ändern. 1999 ging der Kriminalist nach Eberswalde, übernahm dort drei Jahre später eine Mordkommission.

„Wir haben damals neben der Bearbeitung aktueller Verbrechen auch geschaut, welche Mordfälle in den Landkreisen Barnim und Uckermark noch ungelöst waren“, erinnert sich Hetke. Eines dieser offenen Tötungsdelikte war der Sexualmord an Andrea Steffen. Die Ermittler entschieden, den Fall noch einmal anzugehen. Sie ahnten nicht, welcher Aufwand dahinter stecken würde.

Was auffiel: Es fehlten Kleidungsstücke des jugendlichen Mordopfers

Schon das Zusammentragen aller Akten gestaltete sich als schwierig. 1991 war das Land im Umbruch gewesen, Polizei und Staatsanwaltschaften hatten neue Strukturen erhalten. So war zu Beginn der Ermittlungen im Mordfall Andrea Steffen die Staatsanwaltschaft Potsdam zuständig, als Hetkes Mordkommission im Jahr 2004 die Akten anforderte, saßen die Ansprechpartner in Neuruppin.

Was auffiel: Es fehlten Kleidungsstücke des jugendlichen Mordopfers – also mögliche wichtige Spurenträger. „Wir erklärten uns das damit, dass Andreas Sachen nach damaligem Stand der Wissenschaft untersucht und, als man keine Spuren fand, vernichten wurden“, sagt Hetke.

So konnte die Eberswalder Mordkommission eigentlich nur auf zwei Spuren zurückgreifen: die analysierte Bodenprobe von der Socke der Toten, die nicht zu dem Fundort der Leiche passte, und ein wichtiges Indiz aus der Rechtsmedizin in Berlin. Dort war die tote Schülerin untersucht und dabei auch ein Abstrich gemacht worden.

Aus diesem Abstrich konnten die Experten des Landeskriminalamtes bei den neu aufgenommenen Ermittlungen eine männliche Teil-DNA gewinnen. Es war die letzte aussichtsreiche Spur, die nach so vielen Jahren noch zum Erfolg führen konnte. „Damit sind wir ins Rennen gegangen“, sagt der einstige Kriminalist.

Ziel der Ermittler war ein Massengentest. Doch um dahin zu kommen, musste zunächst geklärt werden, ob es sich bei dieser Teil-DNA tatsächlich um eine Täterspur handelte oder ob der Abstrich damals kontaminiert worden war. „Wir mussten 13 Jahre nach der Tat den gesamten Personenkreis ermitteln, der sich anfangs mit dem Fall befasst hatte: Polizisten, Kriminaltechniker, Laboranten, Gerichtsmediziner“, erzählt Hetke. Diese Gruppe sei dann um männliche Bezugspersonen von Andrea Steffen erweitert worden.

Auch den Fundort der Leiche suchten die Ermittler noch einmal auf

Rund 350 Menschen standen schließlich auf der Liste. Von ihnen mussten die Fahnder Vergleichsmaterial besorgen – um sie als Spurenverursacher ausschließen zu können. Nebenbei seien noch einmal Ermittlungen im Kinderheim und in Andreas familiärem Umfeld geführt worden, um die Erkenntnisse von damals zu verdichten, wie es Hetke formuliert. Auch den Fundort der Leiche suchten die Ermittler noch einmal auf. „Mit all diesen Dingen beschäftigten wir uns in den ersten Jahren – immer wenn es die aktuelle Lage zuließ“, sagt der ehemalige Chef der Mordkommission.

Axel Hetke leitete in Eberswalde die Mordkommission, die für „Cold Cases" zuständig ist.
Axel Hetke leitete in Eberswalde die Mordkommission, die für „Cold Cases" zuständig ist.Gerd Engelsmann

Und die Ermittler holten die Experten der Operativen Fallanalyse, die sogenannten Profiler, ins Boot. „Wir mussten wissen, mit welcher Täterpersönlichkeit wir es zu tun haben und wie die Tat abgelaufen sein könnte“, erklärt Hetke. Die Fallanalytiker kamen zu dem Schluss, dass sich der Täter im Gramzower Wald sehr gut ausgekannt haben musste.

Der Mörder hatte sein Opfer höchstwahrscheinlich in den Abend- oder Nachtstunden des 14. Mai 1991 missbraucht und umgebracht und dann mit einem Auto an den Fundort transportiert. „Es gibt dort schwer befahrbare Wege, die nicht jeder so einfach findet. Und es muss stockdunkel gewesen sein“, sagt Hetke.

Nach eineinhalb Jahren standen etwa 2800 Namen auf der Liste der Ermittler

Die Fallanalytiker gaben den Ermittlern wichtige Anhaltspunkte, wo sie für eine molekulargenetische Reihenuntersuchung, also einen freiwilligen Speicheltest, ansetzen mussten. Sie sollte bei Männern stattfinden, die zum Tatzeitpunkt im Radius von 20 Kilometern um den Fundort der Leiche ihren Ankerpunkt, also zur Tatzeit dort gelebt oder gearbeitet hatten.

Zudem war der Gesuchte laut den Experten der Operativen Fallanalyse ein kräftiger Mann und 1991 mindestens 18 Jahre alt. Er hatte damit die Möglichkeit, legal Auto zu fahren. Und er war nach ihrer Einschätzung nicht älter als 65 Jahre. „Mit diesem Raster hatten wir nun ein echtes Problem“, erzählt der damalige Chefermittler. 62 Ortschaften fielen in den angegebenen Radius. Nach eineinhalb Jahren standen etwa 2800 Namen auf der Liste der Ermittler.

Dem sei ein monatelanges Recherchieren in den Einwohnermeldeämtern vorausgegangen, sagt Hetke. „1991 gab es noch keine elektronische Erfassung, nur Karteikarten.“ Dann habe es die Gemeindestrukturreform gegeben, Zuständigkeiten hätten sich geändert. „Wir stießen in den Archiven nicht gerade auf Gegenliebe.“

2300 Männer wurden zum Speicheltest eingeladen

Hinzu kam eine weitere Schwierigkeit: Etliche Personen, die ins Raster passten, waren gestorben, verzogen oder hatten durch Heirat einen anderen Namen angenommen. Axel Hetke weiß noch, wie sie in anderen Bundesländern nachfragten. Selbst im Ausland ließen sie mit Rechtshilfeersuchen nach einstigen Uckermark-Bewohnern suchen: in Österreich, Polen, der Schweiz, sogar in Australien.

Der enorme Einsatz zeigte sich auch bei den Akten: Passten die Ergebnisse der Mordermittlungen zunächst in sieben Bände und drei Sonderbände, so kamen mit der Recherche für den Massengentest 68 Aktenordner mit Personenspuren hinzu.

Dann war es soweit: Im März 2011 wurden rund 2300 Männer zum bis dahin größten freiwilligen Speicheltest in Brandenburg eingeladen. An fünf Orten in der Uckermark richtete die Polizei Teststellen ein. Bis Mitte April folgten mehr als 90 Prozent der Angeschriebenen der Einladung. „175 waren nicht erschienen“, weiß Hetke aus seinen Unterlagen. Bis Oktober wurde nachgetestet. Nur ganz wenige hätten sich ganz geweigert, ihren Speichel abzugeben. Die Zahl habe im einstelligen Bereich gelegen, sagt der einstige Kriminalist.

Als der Massengentest begann, hatte die Mordkommission den Kontakt zu Andreas älterer Schwester Manuela aufgenommen. Man wollte verhindern, dass die Familie im Erfolgsfall aus der Presse erfahre, dass man den Mörder gefunden habe, sagt Hetke. Denn die Reihenuntersuchung und vor allem die Ergebnissen daraus stießen bei den Medien auf großes Interesse.

Doch ein Treffer, nämlich die Übereinstimmung einer abgegebenen Speichelprobe mit der an Andreas Leiche gewonnenen DNA, blieb aus. Axel Hetke sagt, dass sie damals überlegt hätten, den Radius für den Speicheltest noch einmal auszuweiten. Dazu jedoch kam es nicht mehr.

Mörder lebte nur 25 Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt

Am 30. November 2011 strahlte der RBB die Dokumentation „Auf der Spur des Mörders“ zum Mordfall Andrea Steffen aus. Nicht zur besten Sendezeit, sondern 22.15 Uhr. Darin wurde auch über den bisher größten Speicheltest im Märkischen berichtet. Axel Hetke geht davon aus, dass diese Sendung den Druck auf den Täter erhöhte.

Denn drei Tage später, frühmorgens kurz vor 7 Uhr, klingelte bei ihm zuhause das Telefon. Der Kripo-Chef der Bernauer Wache meldete sich. Er berichtete Hetke von einem Mann, der sich in der Nähe des S-Bahnhofs Bernau-Friedenstal vor einen Zug geworfen habe. Der Tote war ein Mann, der mit seiner Familie in einem Ort am nördlichen Berliner Stadtrand gelebt hatte.

Doch nicht wegen des Suizids des 64-Jährigen hatte der Kripo-Chef zum Telefonhörer gegriffen. Es war der Peugeot des Familienvaters, der am Bahndamm stand. Auf der Mittelkonsole hatten die Beamten einen handschriftlich verfassten Abschiedsbrief entdeckt; er war auf liniertem Papier geschrieben.

Täter schrieb: „Ich unterziehe mich selbst der größten Strafe“

In dem DIN-A4-großen Brief berichtet der Mann, 1991 ein trampendes Mädchen im Auto mitgenommen zu haben. In einem Wald sei es zu Sex gekommen, dabei sei er von Ekel gepackt worden, und er habe sich abgewendet. Den Tod des Mädchens könne er sich nicht erklären.

Der Mann hatte auch einen Ort erwähnt: „Günterdorf bei Greiffenberg“ in der Uckermark. Tatsächlich handelte es sich um Günterberg. Und er gab an, dass er damals davon ausgegangen sei, das Mädchen nicht getötet zu haben. Im vergangenen April seien ihm aber Zweifel gekommen – also kurz nachdem der Massengentest begonnen hatte. Das Schreiben endet mit den Worten: „Ich unterziehe mich selbst der größten Strafe.“ Auf der Rückseite äußerte er die Bitte an die Polizei, die Medien von seiner Familie fernzuhalten.

„Nach diesem Suizid mussten wir drei entscheidende Fragen klären: Ist der Mann, der sich vor den Zug geworfen hat, wirklich der Verfasser des Briefes? Ist der Inhalt des Schreibens glaubhaft? Und letztlich, ob es tatsächlich einen Bezug zum Mord an Andrea gibt“, erzählt Hetke.

Die ersten beiden Fragen konnten Gutachter mit ja beantworten. Außerdem: Warum sollte jemand mit so einer Lebenslüge aus dem Leben scheiden? Darüber hinaus gab es zu jener Zeit kein anderes derartiges Verbrechen in der Region, das der Verfasser des Briefes gemeint haben könnte. Damit war auch der Bezug naheliegend.

Die Ermittler stellten fest, dass der Mann tatsächlich in der Uckermark aufgewachsen und nur 25 Kilometer vom Fundort der Leiche gelebt hatte. 1970 war er mit 22 Jahren nach Südbrandenburg, schließlich an den nördlichen Stadtrand von Berlin gezogen. Zweimal hatte er geheiratet.

Ein Schwur am Grab, der nach 20 Jahren in Erfüllung ging

Er war gelernter Schäfer, hatte sich in den 80er-Jahren zum Schafscherer weiterbilden lassen und war für den damaligen Bezirk Frankfurt (Oder) zuständig gewesen. 1990 sattelte der Mann zum Taxifahrer um. In seiner Freizeit war er aber weiterhin als Schafscherer unterwegs – im Norden Brandenburgs.

„Er hatte östlich des Oberuckersees, also dort, wo auch die Leiche von Andrea Steffen gefunden wurde, feste Bezugspunkte“, sagt Hetke. Dort habe sich der Mann um Schafe gekümmert. Die Ermittler schauten sich in der Gegend Stallanlagen an, Kriminaltechniker entnahmen Bodenproben.

Bei Steinhöfel, unweit vom im Abschiedsbrief erwähnten Günterberg, wurden die Experten fündig. Sie entdeckten einen Boden, der so beschaffen war, dass er den Anhaftungen am Strumpf von Andrea Steffen vollständig entsprach. Es war die Spur Nummer 5164. „Eine Bodenprobe ist fast so signifikant wie ein Fingerabdruck“, erklärt Hetke. Nun waren die Fahnder sicher, den Fall gelöst zu haben. Auch wenn die männliche DNA-Anhaftung an der Leiche von Andrea Steffen nicht von dem vom Zug überrollten Mann stammte. Sie musste – so die Einschätzung der Experten – wohl doch einem Unbeteiligten zugeordnet werden. Die Ermittler konnten an die Öffentlichkeit gehen.

Am 2. März 2012 luden sie zu einer Pressekonferenz zum Mordfall Andrea Steffen. Gerd Schnittcher, der damalige Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Neuruppin, sagte zu Beginn in zahlreiche Kameras: „Wir haben den Mörder, aber es wird keine Verurteilung geben.“ Auch Axel Hetke nahm an der Pressekonferenz teil – als Chef der mittlerweile beim Landeskriminalamt speziell für ungeklärte Altfälle in Brandenburg eingerichteten Mordkommission.

Doch nicht dieses öffentliche „Wir haben ihn“ war für ihn der emotionalste Moment. Sondern der Moment, als sie vor Andreas Schwester Manuela standen. „Wir wurden mit einem Blumenstrauß und Schokolade empfangen“, erinnert sich Hetke. Als junge Frau hatte sie 1991 bei der Beerdigung ihrer Schwester geschworen, dass der Mörder eines Tages seine Strafe erhalten würde – und sollte es 20 Jahre dauern.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.