Die Arme, ja auch die Beine, bewegen sich ohne Mühe. Der Himmel dunkel, ein Niesel, der nicht nässt, aber alles zum Glänzen bringt – und von überall diese elektronische Musik. Fremde Gesichter, die sich Musikboxen zuwenden, als wären es Rotlichtlampen.
Die Augen geschlossen, Arme über den Kopf gerissen, alles ist weit in die Ferne gerückt, in die Ferne geschoben, die Wirklichkeit im Zelt, im Campingbereich dieses Festivals, zurückgelassen. Geatmet wird nur noch im Rhythmus der Musik.
Die Musik ist meine Atmung. Alles ist ohne Widerstand. In einer Welt, die nur noch Widerstände kennt. Nicht nur ich bin dankbar dafür, dass alles endlos scheint. Jeder hier ist es.
„Trink mal was“, sagt eine Person, legt zärtlich die Hand auf meine Schulter, kurz sind die Nerven dieser fremden Hand auf meiner Schulter verbunden mit meinen Nerven. Aus zwei wird eins, eine Gänsehaut zeigt sich wie ein Symptom.
Ich bebe, erschrecke mich, werde kurz herausgerissen aus dieser Trance, aus dieser Ekstase, aus dem Rausch. Und dann trinke ich vernünftig Wasser.
Letztes Jahr habe ich an dieser Stelle bereits geschrieben, was dieses Fusion-Festival mit mir gemacht hat, wie es sich anfühlt, MDMA zu nehmen, darüber will ich dieses Jahr nicht wieder schreiben, das wäre faul.
Fusion Festival: Schlamm, Pommesbuden, MDMA
Was ich aber dennoch wieder tun möchte, ist von diesem Festival zu erzählen, davon, wie es mich verblüfft. Egal ob auf MDMA oder nüchtern. Dieses Festival, bei dem jede Schlange, ob zum Klo oder zum Daiquiri-Stand, zu lang ist. Über dieses Festival, das zügig im Schlamm versinken kann, wo es neben Pommesbuden nach Kacke riechen kann, wo die Wege nicht befestigt sind und Menschen in kennzeichenlosen Autos umherfahren.
So viele Menschen aus verschiedenen Nationen, die meisten im synthetischen Nebel von Substanzen verschwunden, sie sprechen die Sprache ihrer Räusche, aber nicht mehr Englisch, Deutsch oder Französisch.
Die meisten auf diesem Festival, deren Macher letztes Jahr mit Miesen raus gingen, sind glücklich. Und das verblüffende ist: Es gäbe genug Gründe für Streik und Streit, für Wut und Hass. Für Menschen, die anderen Menschen Vorwürfe machen. Aber nein. Meist ist es friedlich, meist wird aufeinander geachtet und meist entsteht hier eine Sehnsucht, die nur einen Grund hat: die Friedfertigkeit.
Schild und Schwert: Nazi-Rock, Kampfsport, Wut
In einer ganz anderen Stimmung war ein Festival, das ich vor einigen Jahren in Ostritz besucht habe: das „Schild und Schwert“. Eine Art Nazi-Rock-Kampfsport-Festival. Bier und die verbrannten Rücken von im Freien arbeitenden Neonazis, Ultrarechten, Ideologen. Ein interessantes Festival, weil dort, ganz im Gegensatz zur Fusion, eine ungehobelte Wut im Mittelpunkt steht. Und auch dort wurden Drogen konsumiert. Speed, Kokain, Alkohol, Adrenalin. Aber die Sprache war eine andere. Ich wurde bedroht, ich solle mich verpissen, ich gehöre nicht dazu. Schulterzuckend habe ich das wahrgenommen, weil ich natürlich nicht dazu gehöre. Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist Menschenverachtung. Wer will da schon dazugehören?
Diese vielen Männer und wenigen Frauen auf diesem Festival, sie singen, sie grölen, sie sind wütend und vor allem sind sie wenige. Als ich das Festival besucht habe, waren es vielleicht 1000 Menschen, die dort seltsamer Folk-Musik zuhörten und sich doppeldeutige Aufkleber kauften.
Auf diesem Festival war niemand willkommen, der sich nicht zu dieser Ideologie bekannte. Auf diesem Festival wurden die Einsamkeit zelebriert, die Gewalt und der Hass.
Oktoberfest: Bier, entgleiste Männer, Tradition
Ich war auch schon auf dem Oktoberfest, als Berliner. Auch das würde ich als Festival bezeichnen. Auch hier wieder Substanzen, Kokain, Bier in großen Gläsern, Speed, manchmal Ecstasy. Die Leute zügellos, sie hätten allen Grund zur Freude, aber auf diesem Fest, auf dem auch ich schöne Momente im Flohzirkus hatte oder ein Gericht aus Rettich entdeckte, waren die Menschen angestrengt.
Eine große sexuelle Energie herrscht in den riesigen Zelten, entgleiste Männer, die Frauen in den Ausschnitt greifen, Frauen, vornübergebeugt mit hochgerutschten Kleidern und halb geöffneten Augen, Bier trinkend. Schweiß auf der Stirn, aufgerissene Münder, ein Orchester spielt laute Musik. Auf einem Balkon steht ein blonder Mann, der den Arm zum deutschen Gruß hebt. Seine Freunde lachen. Ich bin nüchtern, weil ich ungerne Alkohol trinke.
Eine Familie isst gebackenes Huhn, alte Menschen tanzen in traditioneller Kleidung, sie zelebrieren. Wenn ich sie beobachte, versuche ich mich vom Irrsinn in den Augen der Besoffenen abzulenken. Da ist viel Wut, da ist viel Kotze und auch viel Tradition, die hier gefeiert wird.
Drei Festivals, dreimal in Deutschland. Und ich habe das Gefühl, das Festival, das die größte Verachtung erfährt, ist eines, in dem es um Werte geht, die manche als links, ich aber als humanistisch, als menschlich bezeichnen würde.
Die Angst ist groß, vor jenen, die Pullover tragen, auf denen „refugees welcome“ steht. Die Aggressionen gegenüber jenen, die tolerant sind, die mehr als zwei Geschlechter zulassen, die gendern, die gegen das Sterben auf dem Mittelmeer sind, sind groß.





