Friedrichshain

Streit um Drei-Religionen-Kita: Sind Bäume wichtiger als Kinder?

Die geplante christlich-jüdisch-muslimische Kindertagesstätte in Friedrichshain wird als Modellprojekt gelobt. Anwohner fürchten um eine grüne Insel im Kiez.

Sie gehören zur Bürgerinitiative: Iris Noa (l.), Anja Roder und Tochter Marlene mit einem Protestschild
Sie gehören zur Bürgerinitiative: Iris Noa (l.), Anja Roder und Tochter Marlene mit einem ProtestschildMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Der Blick fällt erst einmal auf den klotzigen Würfel des Berghains. Der nur am Wochenende geöffnete Technoclub wirkt werktags leblos wie ein Akku, der zum Aufladen am Stecker hängt.

Von Freitagnacht bis Montagmorgen vibrieren die Bässe in dem ehemaligen Fernheizkraftwerk. Die Polizeidirektion 5 hat fußläufig von Berlins heiligsten Hallen der elektronischen Musik ihr Quartier. Einsatzfahrzeuge starten von der Dienststelle aus mit Blaulicht und Sirene zu Einsätzen im Bezirk. Wer ein ruhiges Pflaster in der Großstadt sucht, scheint an der Wedekindstraße am falschen Ort zu sein.

Ein Durchgang führt an der auf das Berghain zulaufenden Straße in einen Innenhof. Der Besucher bestaunt ein riesiges Gelände und die unerwartete Stille. Blätter rascheln, Vögel zwitschern. Von Stadtlärm keine Spur. Die Fläche ist durch einen Zaun getrennt. Ein Teil des Areals gehört der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte WBM und der Wohnungsbaugenossenschaft WBG. 

Ein kleiner Wald aus Pappeln, Kastanien und Birken sprießt im anderen Teil des Geländes, der hinter dem Zaun liegt. Er ist circa 1200 Quadratmeter groß und gehört der evangelischen Sankt-Markus-Gemeinde an der Marchlewskistraße 40. Die Gemeinde hat mit dem Evangelischen Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin-Mitte-Nord einen Erbpachtvertrag abgeschlossen.

Der Kitaträger plant ein Modellprojekt auf der Fläche, die den kleinen Stadtwald beherbergt. 135 Kinder jüdischen, muslimischen und christlichen Glaubens sollen in drei getrennten, aber miteinander verbundenen Kindertagesstätten in einem circa 8,2 Millionen Euro teuren Neubau betreut werden. Das Vorhaben finanziert sich aus öffentlichen Zuwendungen, Stiftungsgeldern und Privatspenden. 

Eine Bürgerinitiative kämpft für den Erhalt von Bäumen

Die Nachbarinnen Anja Roder und Iris Noa sitzen an einem Holztisch in dem Geländeteil, der den Anwohnern zur Verfügung steht. Eine weitere Frau ist mit von der Partie, sie möchte anonym bleiben. Die drei Anwohnerinnen gehören zu den fünf aktiven Mitgliedern der Bürgerinitiative 10243. Sie kämpfen für den Erhalt der Bäume. 

Sie berichten, dass sich die Nähe zu einem der berühmtesten Clubs der Welt an Wochenenden bisweilen akustisch bemerkbar mache. Für mehr Krach sorge allerdings die Polizei auf der anderen Straßenseite. „Die Bäume im Innenhof schlucken den Lärm“, sagt Anja Roder.

Die Bürgerinitiative argumentiert aber nicht mit der Lebensqualität im Kiez. Sie protestiert gegen die Rodung von 22 der 25 Bäume auf der anderen Seite des Zauns. Es fallen am Holztisch inzwischen hinlänglich bekannte Begriffe aus der Debatte um eine klimagerechte Stadtplanung wie „Versiegelung“ oder „Beschattung“.

Betonierte Flächen saugen bei den durch den Klimawandel häufiger zu erwartenden Starkregen kein Wasser auf. Überschwemmungen werden deshalb wahrscheinlicher. Der Grad an Versiegelung in Berlin betrug laut Angaben der Senatsverwaltung im Jahr 2021 fast 34 Prozent. Schattenspendende Bäume wiederum gelten Stadtplanern als unentbehrlich für die Anpassung an Hitzewellen. 

Entsiegelte Flächen bieten außerdem Rückzugsgebiete für zum Teil bedrohte Tierarten. „Das Gelände hinter dem Zaun ist ziemlich verwildert. Das ist ein Paradies für Tiere“, sagt Iris Noa. Füchse, Greif- und Singvögel sowie Fledermäuse fühlten sich in den von der Fällung bedrohten Bäumen an der Marchlewskistraße heimisch, erzählen die Anwohnerinnen. 

Eigentlich sollte der Bau der Kita in diesem Jahr beginnen und zwei Jahre dauern. Doch die Baugenehmigung steht noch. Eine Sprecherin des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg teilt mit, dass Unterlagen und Nachweise für die Erteilung fehlten. Medienberichten zufolge wird derzeit geprüft, ob und wie viele der dem Bauprojekt im Weg stehenden Bäume geschützt sind. 

Die Bürgerinitiative deutet an, dass sie den Neubau und die Baumfällungen auf dem Gelände für nicht mehr abwendbar hält. Das interreligiöse Projekt an sich habe auch nie zur Debatte gestanden, betont Anja Roder. „Wir haben uns aber gefragt, ob hier der richtige Ort dafür ist“, sagt sie. Ziel der Initiative sei es nun, auf die Öffentlichkeit einzuwirken und für eine Umplanung zu werben. Jeder dem Neubauprojekt abgetrotzte Baum lohne den Einsatz, sagen die Anwohnerinnen. 

Friedrichshain: Befürworter hoffen auf neue Kitaplätze

Es ist ein Wettstreit zwischen zwei wichtigen Anliegen, der Anwohner und Befürworter des Kita-Projekts entzweit. Die Versorgung mit Kitaplätzen steht dem für die Klimaanpassung notwendigen Erhalt von Grün in der Stadt gegenüber.

Die Träger des Projekts – neben dem Evangelischen Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord sind das der Verein zur Förderung der jüdischen Bildung und des jüdischen Lebens Masorti und die Bildungs- und Begegnungsstätte Deutsches Muslimisches Zentrum Berlin – verweisen auf den täglichen Kampf von Eltern in Berlin um Kitaplätze.

Umkämpftes Grün mitten in der Stadt
Umkämpftes Grün mitten in der StadtMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Die Rabbinerin Gesa Ederberg vom Verein Masorti erklärt, dass es in Berlin bereits einige jüdische Kindertagesstätten gebe. Sie benötigen alle besondere Sicherheitsvorkehrungen. Auch der Neubau an der Marchlewskistraße 40 soll über eine Sicherheitsschleuse sowie einen 2,40 Meter hohen Zaun verfügen. Laut Kathrin Janert vom Evangelischen Kirchenkreis für Kindertagesstätten sei der Neubau auch deshalb nur in den geplanten Dimensionen realisierbar.

Janert berichtet von einer angesichts des angespannten Immobilienmarktes schwierigen Suche nach möglichen Standorten für das Modellprojekt. Ein Neubau am Stadtrand sei von vornherein ausgeschlossen gewesen – nicht nur, um den Eltern lange Anfahrtswege zu ersparen. „Eine solche Kita mit Signalwirkung gehört mitten in die Stadt“, sagt Janert. Sie habe Verständnis für die Bedenken der Bürgerinitiative und verspricht Ersatzpflanzungen als Kompensation. Zur Fällung der 22 Bäume gebe es aber keine Alternative, betont Janert.

Die Versprechen des Bauherren überzeugen die Bürgerinitiative nicht. Neu gepflanzte Bäume bräuchten Jahre, um zur Abkühlung der Stadt beizutragen. „Es ist immer besser, alte Bäume zu erhalten“, sagt Anja Roder. 

Linke-Abgeordneter Valgolio plädiert für neue Pflanzungen

Damiano Valgolio ist direkt gewählter Abgeordneter der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. Er unterstützt das Projekt Drei-Religionen-Kita. Allerdings seien bei den Planungen die Interessen der Anwohner nicht ausreichend berücksichtigt worden, sagt Valgolio. Er sieht noch Spielraum, um nachzujustieren. Der Abgeordnete schlägt eine vom Bauherrn der Kita finanzierte Bepflanzung des von den Anwohnern genutzten Geländeteils mit Bäumen vor. „Das würde die Akzeptanz des Projekts in der Nachbarschaft stärken.“

Anna Poeschel, Sprecherin des Projekts Drei-Religionen-Kita, zeigt sich offen dafür, bei den Grundstückseigentümern WBM und WBG für Neupflanzungen zu werben. Die Zuwendungen des Staates seien aber projektbezogen. „Wir können im Moment eine Finanzierung deshalb nicht zusagen“, sagt sie.