Wohnen & Mieten

Sozialer Wohnungsbau soll mit 50 Milliarden Euro angekurbelt werden

Ein Verbändebündnis verlangt mehr Anstrengungen von Bund und Ländern, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Dies sind die Forderungen der Experten.

Blick auf Berlin: Sozialwohnungen sind hier wie fast überall in Deutschland knapp.
Blick auf Berlin: Sozialwohnungen sind hier wie fast überall in Deutschland knapp.imago/Dirk Sattler

Es ist eine traurige Höchstmarke. In Deutschland fehlen inzwischen mehr als 700.000 Wohnungen. So viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Das geht aus einer am Donnerstag präsentierten Studie des Pestel-Instituts aus Hannover und des Bauforschungsinstituts ARGE aus Kiel hervor, das vom Verbändebündnis Soziales Wohnen in Auftrag gegeben wurde.

Dem Bündnis gehören neben dem Deutschen Mieterbund (DMB), die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) sowie die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) an.

Das Wohnungsdefizit sei im vergangenen Jahr um 300.000 Wohnungen angewachsen, sagte der Leiter des Pestel-Instituts Matthias Günther. Grund dafür ist eine starke Zunahme der Bevölkerung. Für das vergangene Jahr ergebe die Bilanz der Zu- und Abwanderung ein Plus von rund 1,5 Millionen Menschen, die zusätzlich in Deutschland leben. Vor allem durch den Krieg in der Ukraine. „Wir haben damit eine absolute Rekord-Zuwanderung – mehr als im bisherigen Rekord-Flüchtlingsjahr 2015“, sagte Günther. 

Für das Pestel-Institut ist klar: „Das wohnungsbaupolitische Ziel der Bundesregierung, pro Jahr 400.000 Wohnungen – jede Vierte davon eine Sozialwohnung – neu zu bauen, ist gut kalkuliert“, so Günther. Allerdings müssten sich Bund und Länder beeilen, mehr Neubau möglich zu machen: Statt der geplanten 100.000 Sozialwohnungen dürften im ersten Regierungsjahr der Ampelkoalition wohl nur 20.000 Sozialwohnungen entstanden sein. Die Regierung müsse damit hinnehmen, dass sie 80.000 Sozialwohnungen schuldig geblieben sei. Die Länder sieht der Chef des Pestel-Instituts aber ebenso in der Pflicht. „Spitzenreiter und damit Musterland des sozialen Wohnungsbaus ist unbestritten Hamburg“, sagte Günther. Es folgten, bezogen auf die von den Ländern investierten Fördergelder, Bayern, Schleswig-Holstein, Berlin und Baden-Württemberg. Schlusslicht im Länderranking ist das Saarland.

Der Bund soll gut drei Viertel der Summe beisteuern

Das Bündnis Soziales Wohnen sieht in dem Urteil der Wissenschaftler einen „Alarmruf“. „Die Situation am Wohnungsmarkt ist dramatisch“, sagte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. Das Verbändebündnis fordert deswegen ein Sondervermögen für den Wohnungsneubau in Höhe von 50 Milliarden Euro. Damit soll der Bau von 380.000 Sozialwohnungen bis zum Ende der Legislaturperiode ermöglicht werden. Sondervermögen klingt gut, bedeutet aber, dass Bund und Länder das Geld dafür aufbringen müssen. Gut drei Viertel der Summe sollen vom Bund kommen.

Gerade um den sozialen Wohnungsbau ist es schlecht bestellt. Von einst rund vier Millionen Sozialwohnungen bundesweit sind heute noch rund 1,1 Millionen Wohnungen übrig. Zu wenig, um den Bedarf an preiswerten Unterkünften zu decken. Nur ein Zehntel der Menschen, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, könne heute in einer solchen Wohnung leben, so der Mieterbund-Präsident. Das Problem: Noch immer verlieren alte Sozialwohnungen ihre Sozialbindung, der Neubau kommt kaum hinterher.

Ohne Förderung würde ein Quadratmeter 23 Euro kosten

Die Baukosten sind jedoch hoch, ohne staatliche Förderung sind preisgünstige Wohnungen im Neubau deswegen kaum zu bekommen. „Der Neubau einer Mietwohnung kostet in einer Großstadt heute im Schnitt nahezu 3980 Euro pro Quadratmeter“, sagte ARGE-Institutsleiter Dietmar Walberg. Dazu kämen noch einmal umgelegte Kosten von gut 880 Euro für das Grundstück. Das ergebe Kosten von fast 4900 Euro für einen Quadratmeter Wohnfläche im Mietwohnungsbau. Ohne Förderung würde dies nach Berechnungen des Pestel-Instituts eine Miete in Höhe von 23 Euro pro Quadratmeter zur Folge haben.

Um eine Miete von 6,50 Euro je Quadratmeter zu erreichen, die im sozialen Wohnungsbau üblich ist, müsste eine 60 Quadratmeter große Wohnung eine staatliche Subvention von rund 126.000 Euro erhalten. Um das Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen zu erreichen, sei also eine Förderung in Höhe von 12,6 Milliarden Euro pro Jahr nötig. Um die Kosten zu begrenzen, fordert das Bündnis zugleich die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent für den sozialen Wohnungsbau. Ebenso eine deutlich raschere Bearbeitung von Förderanträgen.

Geplante Unterkünfte sollen zu Sozialwohnungen werden

Hier müsse dringend ein „Bürokratiebeschleuniger“ eingebaut werden. Vorbild dabei sei das Land Schleswig-Holstein, wo die Bearbeitung eines Förderantrags für den Bau von Sozialwohnungen in der Regel nicht länger als vier Wochen dauere. Darüber hinaus sollten Baurecht und Bebauungspläne den sozialen Wohnungsbau künftig stärker in den Fokus rücken: Ziel müsse es sei, den Bau von Sozialwohnungen deutlich zu erleichtern. Hierzu solle auch ein Sonderprogramm beitragen, das ein Switchen vom regulären Mietwohnungsbau zum sozialen Wohnungsbau unterstütze: Aus geplanten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnhäusern sollen dabei geförderte Sozialwohnungen entstehen.

Damit soll der Trend gestoppt werden, dass Bauprojekte in der aktuellen Krise aus finanziellen Gründen immer häufiger komplett auf Eis gelegt werden. Und es müsse bundesweit in allen Kommunen „Wohn-Härtefallkommissionen“ geben. Diese würden dann, so das Bündnis, über ein Zehn-Prozent-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden und gezielt benachteiligte Bevölkerungsgruppen bei der Wohnungsvergabe berücksichtigen.