Berlin-Die reale Lage und die Stimmung passen nicht zusammen an diesem kleinen Strand am Tegeler See. Der Sand ist weich und golden, der Himmel blau, die Sonne heiß, der See kühl. Im Wasser klettert ein etwa vierjähriges Mädchen immer wieder in ihren Schwimmreifen. Daneben lässt sich ihre Mutter auf einer Luftmatratze treiben. Am Ufer stehen zwei Jugendliche mit Bierflaschen, schauen übers Wasser, quatschen und lachen.
Die Stimmung wirkt heiter und sorgenfrei, aber eigentlich ist die Lage dramatisch. Denn nicht nur Berlin hat in diesem Sommer ein extremes Wasserproblem. In Brandenburg verhängen immer mehr Kommunen strenge Gießverbote in Gärten. An der Spree wurden Teile des Flusses am Spreewald gesperrt. Der allgemeine Wassermangel ist auch hier am Tegeler See zu erkennen. Am Ufer steht Schilf, das eigentlich nur im Wasser wächst.
Doch die wochenlange Hitze hat auch am zweitgrößten Berliner See dafür gesorgt, dass riesige Wassermengen verdunstet sind, sodass sich die Uferlinie fast drei Meter zurückgezogen hat. Nun steht das Schilf auf dem Trockenen und verdorrt.
Berlin leidet seit Wochen unter Hitzewellen. Es wird wohl der trockenste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen 1880. Obwohl die Hitzephase längst nicht vorbei ist, wurden bis zum Mittwoch bereits 60 Sommertage gezählt, also Tage mit mehr als 25 Grad. Damit sind es fünf Wochen vor dem Ende des Sommers bereits mehr Sommertage als im gesamten Vorjahr und fast doppelt so viele wie im Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990, dem gängigen Referenzzeitraum.
Eine Art Sperrgebiet
Die Dauerhitze macht Wasser zu einem begehrten Gut. Es ist wie so oft: Erst wenn etwas Alltägliches zur Mangelware wird oder teuer, merken die meisten, wie wichtig es ist. Das ist bei Wasser genauso wie beim Erdgas. Der Vorteil beim Wasser: Es muss in Berlin nicht importiert werden, sondern wird vor Ort gewonnen. Zum Beispiel genau gegenüber dieser Badestelle.
Dort liegt die kleine, bewaldete Insel Baumwerder, man sieht einen Steg mit einem „Betreten verboten“-Schild. Die etwa 300 Meter lange Insel ist eine Art Sperrgebiet der Berliner Wasserbetriebe. Auf ihr liegen zehn Tiefbrunnen. Sie liefern Wasser in das nahe Wasserwerk Tegel, das zweitgrößte und zweitälteste der Stadt.

Im Werk stellt Carsten Utke eine Karaffe Wasser auf den Tisch und sagt: „Prost. Bestes Berliner Leitungswasser.“ Der Chefwasserwerker betrachtet sein Glas und sagt: „Das war vor acht Stunden noch in 30 Metern Tiefe. Frischer geht’s nicht.“ Das Wasser ist schön kühl, und so trinkt auch er erst mal sein Glas leer. Dann erklärt er, dass es bei der großen Wasserfrage zwei Fraktionen gibt: „Die einen sagen: Wir stecken schon voll in einer großen Krise. Die anderen sagen: Die Lage ist nicht so schlimm. Die Versorgung hat 50 Jahre lang geklappt, das wird auch weitere 50 Jahre klappen.“
Wann ist Wasser nur noch Luxus?
Der 62-Jährige mit den langen weißblonden Haaren schüttelt den Kopf und sagt, dass beide Fraktionen unrecht haben. „Wir schaffen es noch immer, die Bevölkerung zu versorgen – mit Trinkwasser, aber bei diesen extremen Temperaturen eben nicht mit Wasser für den Rasen“, sagt der Diplomingenieur für Wasserwirtschaft. Trotzdem werde die Krise bereits in vielen Bereichen deutlich. Für die Förster in den vertrockneten Wäldern, für die Bauern auf verdorrten Feldern, für Kleingärtner ohne eigenen Brunnen und für alle, die auf einer verbrannten Wiese im Park sitzen.
Als die Umweltsenatorin Bettina Jarasch am Mittwoch das Wasserwerk besucht, ruft die Grüne die Bevölkerung zum sparsamen Umgang mit der kostbaren Ressource Wasser auf. „Dass wir dies gemeinsam mit den Wasserbetrieben machen, zeigt, das hier längst umgedacht wurde.“ Früher wurde meist zu einem ordentlichen Verbrauch aufgerufen, um die Leitungen zu spülen. „Solche Zeiten sind vorbei und kommen auch nicht wieder.“
Seit Monaten rufen Politiker wegen Putins Angriffs auf die Ukraine zum Energiesparen auf und wegen des Klimawandels und der Dürre auch zum Wassersparen. Jarasch sagt: „Wassersparen ist auch Energiesparen.“ Die Rechnung der Wasserbetriebe geht so: Die Berliner verbrauchen pro Tag 600.000 Kubikmeter – das ist so viel, wie ins Olympiastadion passt. Das sind 600.000 Tonnen, die durch die Leitungen gepumpt und hinterher gereinigt werden müssen. Deshalb verbrauchen allein die Wasserbetriebe so viel Energie wie der gesamt Bezirk Lichtenberg.

Nun geht die Senatorin durch eine Tür, hinter der es nicht mehr brütend heiß, sondern kühl ist. Richtig kalt sogar. Zwölf Grad. So kalt wie das Wasser, das in dieser langen Halle in den 20 Doppelbecken links und rechts gereinigt wird. Das kalte Wasser aus der Erde sickert hier durch Sand, sodass Eisen und Mangan herausgefiltert werden.
Jarasch erklärt, warum Berlin kein Gieß-Verbot verhängt. Die Zahlen belegten, dass noch keine Notsituation herrsche, sagt sie. „Das Wasser reicht noch. Aber wir haben im Wasserrecht die Möglichkeit zu reglementieren.“ Die Versorgung mit Trinkwasser soll davor geschützt werden. „Aber Luxusverbrauch kann eingeschränkt werden.“ Dazu zähle für sie unnötiges Rasensprengen oder den Pool zu oft zu füllen.
Die Flüsse sind derzeit keine Flüsse
Doch wie sollen die Berliner trotzdem sparen? Duschen statt Vollbad geht, aber Waschmaschinen und Spülmaschinen zapfen automatisch. Regenwasser kann im Garten und für Balkonpflanzen genutzt werden. Es gibt etwas, das richtig spart: die Abschaffung des eigenen Pools. Er war früher in der gemauerten Version ein Statussymbol der Wohlhabenden, heute gibt es ihn aus Kunststoff für ein paar Hundert Euro für jeden Kleingarten. Er fasst meist 14 Kubikmeter Wasser. Die meisten wechseln es dreimal pro Saison. Macht 42 Kubikmeter. So viel Wasser, wie ein Bewohner dieser Stadt im gesamten Jahr verbraucht.
Die derzeitige Dürre sorgt dafür, dass überirdisch vieles vertrocknet und sie verhindert, dass sich die Grundwasserspeicher im Boden füllen. In den vergangenen fünf Jahren gab es vier Dürresommer. Der Grundwasserspiegel sinkt. Der Vorteil in Berlin: Das meiste Trinkwasser wird nicht aus den tiefen Grundwasserschichten gefördert, die vom Regen abhängig sind. 70 Prozent kommen aus dem sogenannten Uferfiltrat. Das Wasser der Seen oder Flüsse versickert im Uferbereich und wird auf dem Weg zu den Grundwasserleitern abgefangen und gefördert. Bei den Wasserbetrieben heißt es: Solange noch Wasser in den Flüssen und Seen ist, können wir auch Trinkwasser fördern.
Doch am Tegeler See ist deutlich erkennbar, dass der Wasserspiegel sinkt. Und die großen Flüsse der Stadt sind derzeit auch keine echten Flüsse, keine Fließgewässer, sondern stehen. Die Spree fließt zwischen der Stadtmitte und dem Müggelsee sogar wieder rückwärts. Insgesamt gelangt kaum noch Wasser nach Berlin: Die Havel bringt aktuell etwas mehr als drei Kubikmeter pro Sekunde aus dem Norden, die Spree liefert nur etwas mehr als einen Kubikmeter zum Müggelsee. Macht zusammen knapp fünf Kubikmeter. Aber doppelt so viel Wasser verlässt die Stadt Berlin in Richtung Potsdam.
Derzeit sind die Berliner Flüsse gigantische Staugebilde, die zu großen Teilen aus den sechs Klärwerken gespeist werden. Bei so wenig frischem Zulauf bestehen die aufgestaute Spree und die Havel zu großen Teilen aus gereinigtem Abwasser. Das klingt gewöhnungsbedürftig, aber in den Klärwerken werden 98,5 Prozent aller Schadstoffe eliminiert. Die Wasserbetriebe wissen, wie wichtig das Abwasser im Berliner Wasserkreislauf ist. In den nächsten zehn Jahren werden zwei Milliarden Euro in neue Klärstufen investiert, damit es noch sauberer wird.

In der Schaltzentrale des Wasserwerks Tegels sitzen drei Mitarbeiter vor knapp 20 Bildschirmen. „Die Abläufe sind weitgehend automatisiert“, erklärt Carsten Utke, der Chef. Auf einem Bildschirm ist der Wasserverlauf zu sehen, ein typischer Tag: Der niedrigste Wert war morgens um 2.51 Uhr, ab 5 Uhr ging es recht steil nach oben, bis um 8.20 Uhr fast der Höchstwert erreicht war. Die Kurve wird ab 15.45 Uhr wieder steigen und gegen 19.45 Uhr den Höhepunkt erreichen – kurz vor der „Tageschau“.
Alles fließt von allein, trotzdem darf nichts den Computern überlassen werden. „Das wird bei WM-Fußballspielen mit deutscher Beteiligung klar“, sagt Utke und holt einen Ausdruck vom 13. Juli 2014 hervor. WM-Finale in Brasilien. Eine klassische Kurve, ohne Ausschläge. Bis kurz vor 21 Uhr, Anpfiff. Da bricht der Verbrauch massiv ein.
Eine Million Berliner drücken gleichzeitig die Klospülung
Die Kurve zeigt: In der ersten Halbzeit traut sich fast niemand auf die Toilette, dann schießt der Wert hoch. Dann wieder Ruhe. Eine steile Kurve folgt nach 90 Minuten Spielzeit und in der Halbzeit der Verlängerung.
Utke zeigt, dass der Wert in der Halbzeit fast dreimal so hoch ist wie der bisherige Tageshöchstwert. „Wir haben 1,7 Millionen Wohnungen in Berlin, wenn da in der Hälfte gleichzeitig die Toilettenspülung gedrückt wird, fällt der Druck in den Leitungen massiv ab.“ Doch die Elektronik reagiere erst, wenn es zu spät ist, wenn der Druck unten ist. Deshalb sitzen bei jedem wichtigen Spiel die Leute in den Schaltzentralen und beobachten im Fernsehen, wie viel Verlängerung der Schiedsrichter gibt und bringen ein paar Minuten vor seinem Pfiff zusätzliche Pumpen ans Netz.
Dass die Fachleute solche Verbrauchsspitzen deuten können, liefert nun vielleicht den Beweis, dass die Berliner langsam umdenken. Jens Feddern, der Chef der Wasserversorgung, hat sich mit seinen Leuten die Werte dieses Extremsommers genau angeschaut.
Sie fanden tatsächlich ein paar kleinere Störungen in den sonst so gleichmäßigen Kurven: Um vier Uhr morgens macht die Kurve einen Sprung nach oben und bleibt oben. Es sind also keine Toilettenspülungen, sondern ein Dauerverbrauch, der früher nicht üblich war. Feddern zeigt, dass es zu jeder vollen Stunde einen Sprung gibt. „Wir haben einige Zeit gebraucht, bis wir das rätselhafte Phänomen gelöst haben“, sagt er.
Die Lösung ist recht einfach: Die meisten Zeitschaltuhren können nicht minutengenau eingestellt werden, sondern auf die volle Stunde. „Es scheint so, dass immer mehr Berliner ihren Rasensprenger um vier, um fünf und um sechs Uhr automatisch anschalten lassen“, sagt er. „Es nützt also etwas, wenn wir appellieren.“ Wenn man seinen Rasen unbedingt sprengen will, dann sollte man das am frühen Morgen tun, damit weniger kostbares Wasser verdunstet. Feddern sagt auch, dass der Verbrauch trotz des Extremsommers nicht wie früher gestiegen ist. „Früher hätten wir bei solcher Hitze bestimmt 80.000 Kubikmeter mehr pro Tag benötigt“, sagt er. „Die Berliner denken also um.“

Sein Kollege Carsten Utke geht in den Keller. In einem langen Flur steht in der Ecke etwas, ein wenig an eine überdimensionierte Kühltruhe erinnert. Oben drei große Fenster. Von dort geht der Blick in die Tiefe auf die grünlich schimmernden Kacheln eines Pools. Aber es ist kein Pool, sondern ein gigantisches unterirdisches Becken. Der Blick geht fünf Meter tief, aber nicht allzu weit, denn das Becken ist mehr als 100 Meter lang. Ein Foto an der Wand zeigt, wie riesig die Halle ist. Eine Kathedrale des Wassers. „Ein Reinwasserbehälter“, sagt Utke. Die drei Fenster sind aus Panzerglas und mit Sicherheitsschlössern versehen. „Da darf keiner ran. Es geht um Trinkwasser. Das hier ist quasi die Verpackung eines Lebensmittels.“




