Mobilität

Bahnstrecke nach Berlin droht der Kollaps – was jetzt getan werden muss

Schon heute gibt es auf der Frankfurter Bahn täglich 180 Fahrten, Tesla-Züge kommen dazu. Nun wird die Forderung, die Ostbahn auszubauen, immer lauter.

Startklar für die Fahrt auf der Ostbahn nach Küstrin-Kietz: Ein Dieseltriebwagen der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) auf der Regionalbahnlinie RB26 steht im Bahnhof Lichtenberg.
Startklar für die Fahrt auf der Ostbahn nach Küstrin-Kietz: Ein Dieseltriebwagen der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) auf der Regionalbahnlinie RB26 steht im Bahnhof Lichtenberg.Emmanuele Contini

Güter gehören auf die Bahn – und Menschen auch! Was aber ist, wenn die Realität nicht zu den Sonntagsreden passt? Wenn Trassen kaum noch Verkehr aufnehmen könnten, weil ihre Kapazitätsgrenze in Sicht ist? Jetzt hat der Bund erstmals eingestanden, dass ein Teil der Bahnstrecke zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) auf die „Vollauslastung“ zusteuert. Der Kollaps könnte verhindert werden, wenn eine andere Verbindung endlich ausgebaut würde, sagte Christian Görke, Bundestagsabgeordneter der Linken aus Brandenburg, am Mittwoch. Doch der Bund zahle lieber für das Projekt, den Bahnhof beim Tesla-Werk auszubauen. Görke forderte Berlin und Brandenburg auf, das Projekt Ostbahn selbst in die Hand zu nehmen – und zeigte mögliche Strategien auf.

Guido Noack von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostbrandenburg hat nachgerechnet. „Im Moment sind zwischen Berlin und Frankfurt täglich im Schnitt rund 180 Züge unterwegs, darunter 70 Güterzüge“, so der Verkehrsexperte der Kammer. Weil die Bahn in früheren Jahren Gleise abbauen ließ und der Regionalexpress RE1 seit Ende des vergangenen Jahres alle 20 Minuten fährt, ist der Platz auf dem Doppelgleis schon heute knapp. Züge aus Polen werden bei Ziltendorf zwischengeparkt, das Stahlwerk Eisenhüttenstadt konnte den Plan, die Bahn stärker zu nutzen, nicht verwirklichen.

Die Tesla-Ansiedlung östlich von Berlin, die auch von der IHK begrüßt wird, erhöht den Druck. Der Elektroautohersteller plant bis zu 24 Güterzüge pro Tag. Hinzu kommt der Shuttle-Zug, der Besucher und Beschäftigte von Erkner aus zum Werk bei Grünheide bringen wird. Dem Vernehmen nach will die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) gleich nach den Sommerferien mit Talent-Triebwagen mit dem Betrieb beginnen - zunächst mit wenigen Zugpaaren pro Tag, später mit mehr. Nicht nur Guido Noack ist klar: Die Frankfurter Bahn ist am Limit. Viel mehr Verkehr wäre dort nicht möglich. Dabei wird die Ost-West-Trasse als Alternative zur Straße dringend benötigt. Die parallel verlaufende A12 gilt als die am stärksten belastete Güterverkehrsroute in Deutschland, so Noack.

Schnurgerade an Strausberg und Seelow vorbei in Richtung Osten

Bislang hat der Bund nicht den Eindruck erweckt, dass er unweit der Bundeshauptstadt Verkehrsprobleme entstehen sieht. Inzwischen scheint er zumindest etwas sensibler geworden zu sein. Das ergibt sich aus einer Drucksache des Bundestags, die Christian Görke am Mittwoch während einer Konferenz in Trebnitz (Märkisch-Oderland) vorgestellt hat. Absender ist Michael Theurer (FDP), Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, beantwortet wird eine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion.

„Die Bundesregierung rechnet für den Abschnitt Berlin-Wuhlheide – Fangschleuse 2030 mit einer Vollauslastung“, teilte die Bundesregierung unter 20/6747 mit. „Damit hat der Bund zum ersten Mal eingeräumt, dass die Schienenkapazität in Ostbrandenburg am Limit ist“, sagte Görke am Mittwoch. Dieser Befund müsse für die Verantwortlichen eine Konsequenz haben: „Sie müssen jetzt konzentriert über einen Bypass nachdenken.“ Eine andere Strecke könnte dazu dienen, neuen Verkehr aufzunehmen und so den Kollaps zu verhindern: die Ostbahn. Sie führt von Berlin schnurgerade an Strausberg, Müncheberg und Seelow vorbei über die Oder nach Kostrzyn (Küstrin) und weiter in Richtung Osten.

„Die Ostbahn muss zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden“

Doch in ihrem jetzigen Zustand könnte die traditionsreiche Trasse, die von 1867 an zwischen Berlin und Königsberg durchgehend befahrbar war, keine zusätzlichen Aufgaben übernehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eines der beiden Gleise abgebaut, unter Hartmut Mehdorn ließ man weitere Gleisabschnitte und Weichen entfernen. Mehr als der stündliche Regionalbahnverkehr, den die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) auf der Linie RB26 abwickelt, wäre nicht möglich. „Deshalb ist klar: Die Ostbahn muss zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden“, bekräftigte Görke. Das ist in allen Parteien Konsens – in Berlin, Brandenburg und im Europäischen Parlament.

Die Frankfurter Bahn führt durch Berlin-Köpenick. So soll der Bahnhof nach dem Umbau aussehen. Weil dort ab Sommer 2027 außer S-Bahnen auch Regionalzüge halten, wird die Leistungsfähigkeit zusätzlich belastet.
Die Frankfurter Bahn führt durch Berlin-Köpenick. So soll der Bahnhof nach dem Umbau aussehen. Weil dort ab Sommer 2027 außer S-Bahnen auch Regionalzüge halten, wird die Leistungsfähigkeit zusätzlich belastet.Visualisierung: Vectorvision

Doch der Bund bleibt hart: Er will keine Verantwortung übernehmen und sieht das Ganze als Ländersache. Theurer: „Bei der Ostbahn handelt es sich um eine Nahverkehrsstrecke, welche nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung den Verkehrsbedarfen gerecht wird.“ Dabei stößt schon die Linie RB26 an Kapazitätsgrenzen. Eine Prognose hat etwas mehr als 3100 Fahrgäste pro Tag erwartet. Heute seien östlich von Strausberg täglich rund 4500 Reisende unterwegs, westlich davon bereits 6100, so Frank Schütz von der Interessengemeinschaft Ostbahn. „Als 2021 die Arbeiten an der Oderbrücke nach Kostrzyn begannen, hieß es zu Recht, dass dies ein wichtiges internationales Projekt sei“, rief er in Erinnerung. Die Brücke werde bereits für zwei Gleise angelegt.

Baukosten von bis zu 930 Millionen Euro erwartet

„Unser Adressat ist der Bund, wir dürfen ihn nicht aus der Verantwortung entlassen“, sagte Christian Görke. Doch Berlin und Brandenburg müssten aktiver werden, forderte der Linke-Bundestagsabgeordnete – und zeigte zwei Handlungsmöglichkeiten auf.

Eine Strategie könnte es sein, dass die Bundesländer die Planung vorfinanzieren. Dafür gebe es ein Vorbild, sagte er: das Projekt, die Bahnstrecke zwischen Angermünde und Szczecin (Stettin) auf zwei Gleise auszubauen und zu elektrifizieren. „Auch hier wollte sich der Bund nicht engagieren“, so Görke. Also gingen Berlin und Brandenburg mit jeweils 50 Millionen Euro bei den Planungskosten in Vorkasse. Inzwischen habe ihnen die Europäische Union den Großteil der Ausgaben erstattet: 92 Millionen Euro.

Das Tesla-Werk östlich von Berlin. Das Unternehmen will viele Autos per Bahn versenden. Im Tesla-Bahnhof soll ab Ende August auch ein Shuttle-Zug für Beschäftigte und Besucher halten.
Das Tesla-Werk östlich von Berlin. Das Unternehmen will viele Autos per Bahn versenden. Im Tesla-Bahnhof soll ab Ende August auch ein Shuttle-Zug für Beschäftigte und Besucher halten.Paatrick Pleul/dpa

Variante Nummer 2 wird von der Bundesregierung sogar selbst angesprochen. „Der Bund ist grundsätzlich bereit zu prüfen, ob eine anteilige finanzielle Beteiligung des Bundes im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) möglich ist“, teilte sie auf die Anfrage der Linke-Fraktion hin mit. Das GVFG ist ein Förderprogramm, das bis 2026 läuft und bei dem der Bund 90 Prozent der Kosten übernimmt. „Allerdings müssten sich die Bundesländer klar darüber sein, dass sie einen Eigenanteil von bis zu 90 Millionen Euro beisteuern müssten“, gab Görke zu bedenken. Die Kosten für den Ausbau werden auf 500 Millionen bis 930 Millionen Euro beziffert.

Der Abgeordnete forderte „Tesla-Tempo für die Ostbahn“. An der Frankfurter Bahn unweit der Elektroautofabrik sehe der Bund kein Problem damit, Verantwortung für ein Bahnbauprojekt zu übernehmen, sagte er. Denn die am Mittwoch vorgestellte Drucksache brachte ans Licht, dass der Um- und Ausbau des Bahnhofs Fangschleuse in den vordringlichen Bedarf, wie ihn das Bundesschienenwegeausbaugesetz definiert, aufgenommen worden ist. „Dieses Vorhaben genießt also Priorität – aber die Ostbahn soll eine Nahverkehrsstrecke bleiben: Das passt nicht zusammen“, so Christian Görke.

NEB-Sprecherin: „Die Betriebsqualität hat sich deutlich verbessert“

So wichtig es sei, die Zukunft in den nächsten Jahren zu planen: Die Verantwortlichen müssten sich auch darum kümmern, dass das Angebot auf der Ostbahn schon in den kommenden Monaten besser wird, forderte die Initiative für zuverlässigen Nahverkehr. „Wir brauchen kurz- und mittelfristige Maßnahmen für die RB26“, sagte Friederike Fuchs, die Sprecherin, am Mittwoch in Trebnitz. Immer wieder fahren die Züge nur mit einem Triebwagen, nicht mit zwei. „Das bedeutet, dass es in Stoßzeiten sehr voll wird und Fahrgäste zurückbleiben müssen“, so die Dahmsdorferin. Die „schrottigen Pesa-Links“, gemeint sind die polnischen Dieseltriebwagen, müssten von der Linie RB26 verschwinden. Auch müssten die Anschlüsse häufiger als heute funktionieren.

„Die Betriebsqualität auf der Linie RB26 hat sich im Vergleich zum Jahr 2022 deutlich verbessert“, entgegnete Katja Tenkoul von der Niederbarnimer Eisenbahn. Weil Baustellen den Betrieb beeinträchtigten, sei die Pünktlichkeitsquote im vergangenen August und September auf 61 und 67 Prozent gesunken. Dagegen galten von Januar bis März sowie im Juni bis zu 96 Prozent aller Fahrten als pünktlich – was bedeutet, dass sie exakt nach Plan verliefen oder maximal vier Minuten, 59 Sekunden verspätet waren.

Auch die Zugausfälle seien im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen, da auch die Anzahl und der Umfang der Baumaßnahmen abgenommen hat, hieß es. „Von Januar bis Juni 2022 fielen mehr als 41.000 Zugkilometer nur durch Baumaßnahmen an der Streckeninfrastruktur und der Oderbrücke aus“, bilanzierte Tenkoul. „Im Vergleich dazu waren es im ersten Halbjahr 2023 nur noch rund 7.700 Zugkilometer.“

Manchmal kommt nur ein Triebwagen – und dann wird es voll

Die NEB-Sprecherin äußerte sich auch zu der Kritik, dass Züge nicht immer in Doppeltraktion (also mit zwei Triebwagen) verkehren. „Von den für Januar bis Mai bestellten Doppeltraktionen wurden 90 Prozent vertragskonform erbracht“, sagte sie. Allerdings sei die Ausfallrate im Juni auf circa 13 Prozent gestiegen. „An Wochenenden im Mai sind vereinzelt bestellte Umläufe nicht in Doppeltraktion gefahren. Hauptgründe für die ausgefallenen Doppeltraktionen waren Fahrzeugstörungen und Fahrzeugmangel“, erläuterte Tenkoul. „Im Juni dagegen fuhren an den Wochenenden mehr Züge in Doppeltraktion als bestellt. Ausflugsreisende hatten dadurch mehr Platz in den nachfragestarken Fahrten.“

Es habe Verbesserungen gegeben, so die Bürgerinitiative, deren Facebook-Gruppe zur RB26 mittlerweile 1440 Mitglieder hat - rund die Hälfte aus Polen. „Doch in den Stoßzeiten ist die Situation oft immer noch prekär“, entgegnet Friederike Fuchs. Die Ostbahn ist nicht nur ein Zukunftsprojekt – der Betrieb müsse bald besser werden.