Nahverkehr

Neue Studie: Geplanter U-Bahn-Bau in Berlin schadet dem Klima

Die Eröffnung der neuen U5 lässt die Diskussion über den Ausbau des Tunnelnetzes wiederaufleben. Nicht jede Investition in Schienenwege dient der Umwelt.

Durch den Streckenplan mit der verlängerten U-Bahnlinie 5 sieht man die Station Rotes Rathaus.
Durch den Streckenplan mit der verlängerten U-Bahnlinie 5 sieht man die Station Rotes Rathaus.dpa/Carsten Koall

Berlin-Der U-Bahn-Bau ist ein Klimakiller – so könnte man das Ergebnis einer neuen Studie auf den Punkt bringen. Für den Bau von Tunneln und Bahnhöfen werde so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen, dass die Klimabilanz erst nach deutlich mehr als hundert Jahren positiv ausfalle. Das ist das Fazit einer Untersuchung, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. „Wir fordern die Politik auf, alle Projekte und Machbarkeitsuntersuchungen für neue Strecken einzustellen“, sagte Matthias Dittmer, einer der Autoren. Im Wahlkampf 2021 dürfe die U-Bahn deshalb kein Thema mehr sein. „Stattdessen müssen alle Kapazitäten auf den Ausbau des Straßenbahnnetzes fokussiert werden“, lautete die Forderung.

Der Zeitpunkt für die Präsentation war mit Bedacht gewählt: Am Freitag geht nach 20 Jahren Pause in Berlin wieder eine U-Bahn-Strecke in Betrieb. „Die Verlängerung der U5 darf nicht die letzte Ausbaustufe des U-Bahn-Netzes sein“, forderte der AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann. So sieht man es auch bei der SPD und CDU. Bei Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) stapeln sich bereits die Machbarkeitsuntersuchungen.

Die nun vorgestellte Studie soll den vielen Wünschen Fakten entgegensetzen. Unterstützt wird sie vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Fahrgastverband IGEB, der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Berliner Grünen sowie der Initiative Stadt für Menschen. „Wir wollen dazu beitragen, dass ideologische Sichtweisen abgelegt werden“, sagte Dittmer. Auch wenn das Ergebnis die Annahme widerlege, dass jede Investition in Schienenwege dem Klima dient.

Klimabilanz für Straßenbahn deutlich besser

Für fünf der sieben derzeit diskutierten Neubautrassen standen genug Daten zur Verfügung, um eine Klimabilanz ziehen zu können. „Zunächst haben wir berechnet, welche Kohlendioxidemissionen beim U-Bahn-Bau entstehen“, sagte Axel Schwipps, Bauingenieur und früherer Mitarbeiter der Senatsverkehrsverwaltung. Wie viel Beton wäre erforderlich? Wie viel Stahl wäre dafür herzustellen, wie viel Zement? Die Werte wurden niedrig angesetzt, weil die Verlängerungen der U3, U6, U7, U8 und U9 außerhalb der Innenstadt entstehen sollen – was den Bau erleichtern würde. Trotzdem fiel der erste Teil der Bilanz schlecht aus. Denn für den Bau eines Kilometers U-Bahn werden im Durchschnitt 99.000 Tonnen Kohlendioxid freigesetzt, hieß es.

Wie sieht der andere Teil der Rechnung aus? Wenn U-Bahnen in Betrieb gehen, können Buslinien eingestellt werden und Autofahrer steigen um. Das spart Kohlendioxid. „Allerdings handelt es sich um Vorortbahnen“, sagte Schwipps – zum Beispiel nach Schönefeld und zum BER, zum Mexikoplatz in Zehlendorf oder ins Märkische Viertel. Weil dort das erwartete Aufkommen mit 7000 bis 40.000 neuen Fahrgästen pro Tag relativ gering sei, halte sich auch das Kohlendioxid-Einsparpotenzial in Grenzen. Je nach Strecke wären es zwischen 700 und 5.000 Tonnen pro Jahr. Umgerechnet auf einen Kilometer U-Bahn würde der Ausstoß von 714 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr vermieden. Das ist der Durchschnittswert für die fünf einbezogenen Strecken.

Setzt man die beiden Seiten der Bilanz ins Verhältnis, fällt das Ergebnis für U-Bahn-Fans niederschmetternd aus. „Bis die beim Bau freigesetzten Kohlendioxidmengen durch Einsparungen im Betrieb amortisiert werden könnten, würden zwischen 109 und 230 Jahre vergehen“, hieß es. In dieser Spannweite würde die Verlängerung der U9 von Osloer Straße zum Bahnhof Pankow am Besten abschneiden, gefolgt von der U7 von Rudow zum BER. Die U6 zur Urban Tech Republic, die auf dem Gelände des früheren Flughafens Tegel entstehen sollte, bräuchte am längsten, bis sie sich klimamäßig amortisiert hätte. Auf jeden Fall wäre die Zeitspanne lang: im Durchschnitt 128 Jahre. U-Bahn-Bau verschärft die Klimakrise, sie lindert sie nicht – das ist das Resultat.

Ganz anders sei es bei der Straßenbahn: Die Berechnung für die geplante Strecke vom Alexanderplatz zum Kulturforum ergab, dass pro Kilometer entweder 7100 oder 12.210 Tonnen Kohlendioxid freiwerden – je nachdem, ob ein Schottergleis oder eine feste Fahrbahn entsteht. Im Fall dieses Tramprojekts würde die Klimabilanz schon nach 8,1 oder 9,4 Jahren positiv ausfallen, so die Studie.

Senat hält sich bedeckt

„Wir sind kein Feind der U-Bahn. Viele von uns nutzen sie fast täglich“, so Matthias Dittmer. Er und seine Mitstreiter Axel Schwipps und Frank Geraets würden auch nicht jeden Tunnelbau ablehnen. So haben sie errechnet, dass sich der Bau der zweiten Berliner Nord-Süd-S-Bahn in Sachen Klimabilanz bereits nach 20 Jahren amortisieren würde. „Auf der S21 werden sehr viele neue Fahrgäste erwartet“, erklärte  Schwipps.

Sollten statt in den Vororten nun im Zentrum U-Bahn-Strecken gebaut werden? „Die Innenstadt ist schon gut versorgt“, entgegnete Dittmer. „Mit dem Geld sollten besser bestehende Tunnel saniert und Fahrpersonal eingestellt werden, damit die U-Bahnen häufiger verkehren können.“

Für den Ausbau der Infrastruktur ist die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zuständig. Eine inhaltliche Stellungnahme gab es dort am Mittwoch nicht. „Die genannte Studie steht uns auch erst seit heute zur Verfügung. Wir konnten sie daher bisher weder prüfen noch bewerten“, sagte Jan Thomsen, Sprecher von Senatorin Regine Günther (Grüne), auf Anfrage.

Auch ob und wo das Berliner U-Bahn-Netz ausgebaut wird, könne noch nicht gesagt werden. „Eine Positionierung kann erfolgen, wenn alle vorliegenden Machbarkeitsuntersuchungen geprüft und bewertet worden sind. Dies ist noch nicht der Fall“, so Thomsen. Präferenzen gebe es ebenfalls bislang nicht. Die Machbarkeitsstudien liefern erste Ergebnisse über die technische Realisierbarkeit und auch einen Überblick über die Kosten, teilte der Sprecher mit. „Auf ihrer Grundlage kann entschieden werden, welche Projekte danach vertieft zu untersuchen wären, also etwa einer konkreten Nutzen-Kosten-Untersuchung zu unterziehen sind, um einen volkswirtschaftlichen Nutzen festzustellen. Erst mit dem Beleg des volkswirtschaftlichen Nutzens sind etwa Fördergelder des Bundes beantragbar.“