Ohne Umsteigen viel schneller als heute mit dem Zug von Berlin nach Usedom: Das könnte Anfang der 2030er-Jahre möglich sein, sagte Alexander Kaczmarek von der Deutschen Bahn (DB) der Berliner Zeitung. Das seit langem dahindümpelnde Projekt, eine brachliegende Schienenstrecke auf die Ostseeinsel wiederzubeleben, habe an Fahrt aufgenommen. Wenn es tatsächlich gelinge, werde die Reisezeit enorm schrumpfen, so der Bahn-Manager. „Dann dauert die Fahrt von Berlin ins Seebad Heringsdorf nur noch zwei bis zweieinhalb Stunden. Das ist mit dem Auto nicht zu schaffen,“ sagte er.
Berlin und Usedom: Das ist seit mehr als 150 Jahren eine stabile Verbindung. Die Sandstrände der sonnenreichen Insel gehören zu den Lieblingszielen vieler Hauptstädter. Wer klimafreundlich anreisen und sich Stau ersparen will, fährt mit dem Intercity Express (ICE) oder anderen Zügen zunächst nach Züssow. Dort übernehmen Dieseltriebwagen der Usedomer Bäderbahn (UBB) im Stundentakt, während der Saison sogar halbstündlich, die Beförderung in die Badeorte – von Ahlbeck bis Zinnowitz.
Allerdings dauert eine Umwegreise zum Beispiel von Berlin nach Heringsdorf in der Regel um die vier Stunden. Als Soldaten der deutschen Wehrmacht 1945 Teile der Karniner Hubbrücke sprengten, wurde die direkte Route unterbrochen. Seitdem liegt die Trasse, die bei Ducherow von der Hauptstrecke abzweigte und über die Stadt Usedom und Swinemünde nach Ahlbeck und Heringsdorf führte, größtenteils brach.
Sieben Kilometer lange Neubaustrecke durch den Wald geplant
Seit vielen Jahren gibt es Bemühungen, die Südanbindung Usedoms wiederzubeleben. Doch mal ließ das Land Mecklenburg-Vorpommern Engagement vermissen, dann hieß es beim Bund, dass andere Projekte dringlicher seien. „Inzwischen ist der Tenor quer durch alle Parteien positiv“, sagt Alexander Kaczmarek, der Konzernbevollmächtigte der Bahn für Berlin und den Nordosten Deutschlands. Sowohl bei der Schweriner Landesregierung als auch den Parteien spüre die Bahn „Begeisterung“.
Wie berichtet hat das Bundesunternehmen im Auftrag des Landes eine Grundlagenuntersuchung erstellt. Ergebnis war, dass die Wiederinbetriebnahme der Südanbindung in Form einer eingleisigen elektrifizierten Strecke grundsätzlich möglich sei. Einer der drei Varianten wird der Vorzug gegeben.
„29 Kilometer würden auf der alten Trasse verlaufen, die weiterhin der Deutschen Bahn gehört und für den Bahnverkehr gewidmet ist“, erklärte Kaczmarek. Neben den Resten der Karniner Brücke ginge es über den Peenestrom. In Karnin, Usedom und Zirchow, unweit vom Inselflughafen gelegen, würden Stopps für den Regionalverkehr entstehen. Dann würde die Trasse landeinwärts schwenken.
Auf einer sieben Kilometer langen echten Neubaustrecke ginge es an Korswandt vorbei, wo ebenfalls ein Haltepunkt entstehen könnte, ins Seebad Heringsdorf. Der dortige Kopfbahnhof würde so umgebaut, dass zwei Bahnsteigkanten entstehen, an denen ICE-Züge in Einzeltraktion halten könnten. Dort würde die elektrifizierte Strecke enden. Wer weiterreisen will, würde in die UBB umsteigen – etwa nach Bansin, Koserow, Zempin und Zinnowitz, aber auch nach Ahlbeck und Świnoujście, ins einstige Swinemünde.
Wenn die Anschlussstrecke von Berlin nach Stralsund wie im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen für Tempo 160 ausgebaut würde, ließe sich die Fahrzeit zwischen Berlin und Heringsdorf tatsächlich stark verkürzen, auf maximal zweieinhalb Stunden, so Kaczmarek. Doch die Südanbindung hat ihren Preis: Momentan rechnet die Bahn mit Planungs- und Baukosten von 700 Millionen Euro. Weil sie aber einen echten Mehrwert schaffen würde, rechnet Kaczmarek damit, dass das Vorhaben die anstehende Wirtschaftlichkeitsprüfung besteht. Wenn alles gut laufe, könnten in zehn Jahren die ersten ICE-Züge von Berlin nach Heringsdorf rollen, sagte er.
Trasse spart Polen aus – fünf Kilometer gespart
Doch die Pläne stoßen auf Kritik. Wie berichtet wird zum Beispiel bemängelt, dass die nun geplante Trasse Polen ausspart und um Świnoujście, Hafenstadt und Tourismuszentrum mit mehr als 40.000 Einwohnern, herumführt. Das sei die Vorgabe des Landes gewesen, das sich mit den Nachbarn darauf verständigt habe, erklärte Kaczmarek. In Polen seien sowohl die alte als auch Teile einer Alternativtrasse überbaut worden. Zudem gab es den Eindruck, dass Interesse „gebremst bis nicht vorhanden“ war. Świnoujście werde mit Umsteigen in Heringsdorf gut erreichbar sein, sagte er. Die Trassenentscheidung erspare den Verantwortlichen komplizierte internationale Abstimmungen – und den Reisenden nach Heringsdorf rund fünf Kilometer Umweg.
Bürger, die an der alten Trasse ihr Wohnhaus oder Wochenendgrundstück haben, favorisieren andere Varianten. So könnte auf die Südanbindung verzichtet werden, wenn in Züssow eine Verbindungskurve angelegt und die heutige Strecke der Bäderbahn ausgebaut würde, sagen sie. „Aber dann bliebe der jetzige Umweg bestehen, und die Reisezeiten wären weiterhin nicht konkurrenzfähig“, entgegnete Kaczmarek. Zudem müsste die Strecke der UBB für den Fernverkehr umfangreich und kostspielig erweitert werden, weil die derzeitige Kapazität während der Saison bereits ausgelastet sei.
Der erste Bahntunnel in Mecklenburg-Vorpommern
„Auf der geplanten neuen Strecke werden leise elektrische Züge verkehren“, so der Bahnmanager. Tempo 250 oder 300 werde es nicht geben. „Der Zugverkehr wird nicht wirklich stören.“ Dampfloks wie früher oder Erztransporte seien nicht in Sicht – es gebe überhaupt keinen Güterverkehr. Auch die Anwohner würden profitieren, wenn die Bahnverbindung von Berlin auf die Insel attraktiver würde. Ende Mai 2023 soll der Swinetunnel eröffnet werden. Dann werde es einfacher, mit dem Auto nach Usedom zu fahren – über Szczecin (Stettin). „Wenn man nicht will, dass die Insel im Autoverkehr ertrinkt, brauchen wir Bahnverkehr in einer ganz neuen Qualität“, sagte Kaczmarek.
Bei der Bahn ist man sich bewusst, dass die Neubaustrecke zwischen Zirchow, Korswandt und Heringsdorf durch einen sensiblen Bereich mit diversen Schutzgebieten und Seen führen würde. Wald müsste gerodet werden. Das Areal ist auch topografisch anspruchsvoll. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Trasse den ersten Bahntunnel in Mecklenburg-Vorpommern bekäme. Dies alles trage dazu bei, dass die erwarteten Kosten der Südanbindung von 150 Millionen auf 700 Millionen Euro gestiegen sind.
Wie fällt die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung aus?
Beobachter fragen sich, ob das Projekt die anstehende standardisierte Bewertung unbeschadet übersteht. Weil sich der Verkehr auf die Saison konzentriert, könnten die erwarteten Fahrgastzahlen möglicherweise nicht reichen. Doch Alexander Kaczmarek erwartet, dass bei der Rechnung der Nutzen die Kosten übersteigt. „Bei solchen Untersuchungen haben Projekte, die in einem Umfeld mit vielen guten Nahverkehrsverbindungen stattfinden, schlechte Karten. In diesem Fall ist das Umfeld anders.“ Die Südanbindung von Usedom werde einen echten Nutzen schaffen.









