Kolumne

Menschen ohne Maske: Wie ich im ICE eine Phobie gegen Löcher bekam

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach steht auf Maskenpflicht. Die Deutsche Bahn offenbar nicht. Unseren Autoren macht das krank, doch er heilt sich selbst.

Tragen alle Passiere eine Maske? Eine Zugbegleiterin schaut in einen ICE.
Tragen alle Passiere eine Maske? Eine Zugbegleiterin schaut in einen ICE.dpa/Schmidt

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Trypophobie. Und das kam so: Ich war mit Darth Vader unterwegs. Genau genommen war es Frau Vader, Car Wars statt Star Wars, präsentiert von der Deutschen Bahn, featuring Corona. Auch entsprach ihre Maske nicht ganz dem Original bei Darth, der finsteren Filmfigur, und war nicht schwarz, sondern transparent, hing lässig vor Mund und Nase, ohne Helm, obwohl sie den hätte brauchen können, die Zugbegleiterin, in dem optimal ausgelasteten ICE.

Frau Vader schützte sich im Gewühl mit heiterer Gelassenheit, sah über diese und jene Unzulänglichkeit hinweg, sodass ich mir schon überlegte, die Kontrolle meiner Reiseunterlagen mit einem Quiz einzuleiten: Was stimmt hier nicht? A) Fahrgäste haben sich nach dem Toilettengang nicht die Hände gewaschen. B) Einige beabsichtigen, im Ruhebereich unentwegt zu telefonieren. C) Die Hälfte der Mitinsassen verzichtet grundlos auf eine FFP2-Maske. Auf C) wäre sie garantiert nicht gekommen.

Ich zeigte mein Ticket vor und schloss die Augen. Hinter mir begann jemand zu husten. Jemand anderes nieste großzügig in den Waggon hinein. Ich wünschte, Frau Vader hätte ihr Online-Boarding-Scanner-Laser-Schwert ausgefahren und rigoros durchgegriffen, doch sie entfernte sich fröhlich plaudernd und ließ mich mit einer Vision zurück: Im Geiste sah ich Löcher, Löcher, Löcher, sah Nasen, Münder, Nasen, denen unsichtbar und ungefiltert ein Pesthauch entfuhr.

Schrecklich, diese Vorstellung, wobei ich doch ins Grübeln kam. Wer war hier krank? Am Ende ich? Nachdem die Klimaanlage mutmaßlich mit der freigesetzten Virenlast fertig geworden war, öffnete ich die Augen, griff zum Smartphone, suchte Antworten, wurde fündig. Ich litt unter einer Angst vor kleinen, aneinandergereihten Öffnungen, unter Trypophobie eben.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Die Symptome passten haargenau: Ekel, Übelkeit, Atemnot, Schweißausbruch. Ich las, dass die Ursachen wissenschaftlich erforscht würden. Allerdings bleibe es bisher bei Spekulationen. Möglicherweise handele es sich um eine Urangst, weil zum Beispiel Löcher in Obst, Fisch oder Fleisch darauf hindeuteten, dass sich Parasiten darin befänden.

Ich bekam heraus, dass keine Therapie gegen Trypophobie existiert. Jedoch lindern Übungen zur Entspannung die Beschwerden. Immerhin, das war ein Anfang. Ich schloss erneut die Augen, dachte an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, und bald schon war alles wieder gut. Ich war bereit für einen Selbsttest. Den bot mir ein Reportage-Magazin auf seiner Homepage an, indem es mich etliche Fotos durchklicken ließ: Bienenwaben, Schwammporen, Siebe – keine Reaktion.

Ein Spray, das bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit im ICE hilft

Es musste an den Nasen liegen, auch wenn meine Suchmaschine keinen entsprechenden Befund auftreiben konnte. Es gab weder Nasophobie noch Naresphobie, nichts. Und während ich noch darüber nachdachte, fiel es mir plötzlich ein: Ich trug die Lösung bei mir! Seit Beginn der Corona-Sommerwelle! Ein Erkältungsspray, das laut Packungsbeilage allerlei Erreger dezimiert!

Sprühstoß links, Sprühstoß rechts, Kopf in den Nacken, damit die Tinktur in den Rachen floss. Ich saß da, die Armlehnen umklammernd, zur Decke starrend, als gehörte ich einer neuartigen Religionsgemeinschaft an. Vermutlich glotzten die anderen mich jetzt so ratlos an wie ich vorher sie, ihre unbedeckten Münder weit geöffnet. Ich aber war für immer geheilt von allen Löchern des Universums. Ob klein oder groß, in Gesichtern oder sonst wo.