Die Bilder des Ukraine-Krieges in den Nachrichten belastet vor allem die älteren Generationen. Jene, die schon einmal einen Krieg miterleben mussten. Die Berliner Zeitung sprach mit Thomas de Vachroi, dem Leiter des Hauses Britz in Berlin-Neukölln, einer Einrichtung für barrierefreies Wohnen, in der viele Senioren leben. Er erzählt von den Sorgen und Nöten der Bewohner in diesen angespannten und unsicheren Zeiten.
„Das Wichtigste ist jetzt für genau diese Menschen da zu sein und ihnen zuzuhören“, sagt de Vachroi. Etliche hätten traumatische Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg gemacht, die jetzt wieder hochkämen und eine Lebensangst bei ihnen auslösten. „Sie fragen zum Beispiel, ob wir eine Sirene auf dem Dach haben, und was sie machen sollen, wenn eine Bombe ins Gebäude einschlägt und ob die Tiefgarage sicher genug ist, um sich dort vor den Angriffen zu verschanzen.“ Besonders das Thema „Einquartierung“ (Unterbringung von Soldaten in Privatunterkünften, Anm. der Redaktion) beschäftigt die Bewohner, die als Kind zu Kriegszeiten groß geworden sind. „Sie wollen wissen, ob sie demnächst auch jemanden in ihren Räumen aufnehmen müssen.“
Andere wiederum haben Sorge vor Hungersnöten und einer Gefährdung der Trinkwasser- und Energieversorgung. Sie fangen an, Konserven und Trinkwasserflaschen zu hamstern oder überlegen, sich zum Kochen Notstromaggregate anzuschaffen, berichtet der Einrichtungsleiter. Die Senioren, die Kinder und Enkelkinder haben, machten sich vor allem um deren Zukunft Gedanken. „Es geht ihnen weniger um ihre eigene Existenz, sondern um das ihrer Familienangehörigen. Wie werden sie künftig weiterleben können, wenn der Krieg ausbricht.“ Vor dem Tod hätten sie weniger Angst, eher vor der Art und Weise, wie sie sterben könnten und fürchten, lange leiden zu müssen.
Sie wollen wissen, wie sie helfen können
Doch die Älteren kreisen nicht nur um sich und ihre eigenen Nöte, sondern fragen auch vielfach nach, ob sie den ukrainischen Geflüchteten helfen können, sagt de Vachroi. „Sie wollen ihnen von ihren zum Teil sehr geringen Ersparnissen und schmalen Renten etwas abgeben und sind sehr solidarisch.“ Gerade das Schicksal der Frauen, die mit ihren Kindern alleine nach Berlin kommen, weil ihre Männer an der Front kämpfen müssen, geht ihnen sehr ans Herz. Es erinnert sie offenbar an ihren eigenen damaligen Kampf ums Überleben. „Eine ältere Dame hat mir erzählt, wie froh sie darüber waren, dass der Bauer ihnen damals sein Feld frei gegeben hat, damit sie dort Kartoffeln und Kohlköpfe ernten können. Sie glaubt, dass sie ohne seine Hilfe verhungert wären.“ Eine andere Bewohnerin hat daran gedacht, wie sie früher mit ihren Eltern im Wald Bucheckern gesammelt und später zu Hause gemahlen hat, damit die Familie etwas zu essen hat.
Das Vorgehen von Putin macht den Senioren des Hauses Britz sehr zu schaffen. „Sie fragen sich, warum ein einzelner Mensch so viele andere unschuldige Menschen ins Elend stürzen kann“, sagt de Vachroi. Die Bewohner seien alle sehr gut informiert, weil sie täglich Nachrichten schauten und sie sich intensiv mit dem politischen Weltgeschehen auseinandersetzten. Manche sitzen auch zu viel vor dem Fernseher oder Computer. Ihnen rät er, lieber mal einen spannende DVD oder ein Video anzuschauen oder einen Roman zu lesen. Kreuzworträtsel lösen, lenkt auch sehr gut ab, weiß der Angestellte des Diakoniewerks Simeon, das die Einrichtung an der Buschkrugallee betreibt.

